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Archive for Januar 2017

Das Recht des Hundes am eigenen Bild

Light in January Fotos © FJK,ADe

Light in January
Fotos © FJK, ADe

Es war wie ein Osterspaziergang im Januar. Je nachdem, wohin die winteraktive Sonne kam und wohin nicht, Eiskruste, verharschter Schnee oder Pfützen. Der alte Winter in seiner Schwäche zog sich in rauhe Berge zurück. Von dorther sendet er fliehend nur ohnmächtige Schauer körnigen Eises, doch die Sonne duldet nichts Weißes. Soviel weiß ich noch aus dem Kopf von Goethe, Faust und dem Ostspaziergang. Unsere gerade von einer nicht allzu animierenden Reise zurückgekehrte Freundin sagte „die Eltern meiner Tochter” und stutzte, weil diese Formulierung sie ja zu mindestens 50 Prozent einschloss, ohne dass sie sich selbst gemeint hatte. In der Fremde hat sie die Ästhetik halber Sätze entdeckt.

… auch Pferde

… auch Pferde

Eine Schautafel mit Verlautbarungen über das Schicksal und die Perspektiven der Zauneidechsen in der Karlshorster Heide. Auf einer verharschten Wiese eine dicke Frau mit einem dicken Pferd, daneben eine dritte sitzende, weitgehend unbeteiligte Person. Die dicke Frau hat eine schlanke Reitgerte in der Hand, eher zum Streicheln als zum Schlagen geeignet. Ein Stück weiter ist ein verschwundener Teich wieder an die Oberfläche gedrückt worden, eine Eisfläche ist entstanden. Da spielen Kinder, Erwachsene und ein riesiger brauner Hund. Sieht alles ein bisschen nach Pieter Breughel aus. Der Hund hat strenge Hundehalter, die ihr Tier vor Übergewicht bewahren wollen. Sie halten ihn knapp mit der Nahrung, er nagt vor Hunger an einem abgebrochenen Ast. Plötzlich springt er an mir hoch, legt die Pfoten auf meine Schultern, schnappt nach der Kamera. Wird von seinen strengen Hundehaltern zurückgerufen und pariert sofort. Ich bin froh, dass ich unter dem Aufprall nicht umgefallen bin, und stolz, dass ich keinen Schreckensschrei ausgestoßen habe. Allerdings entschuldigen sich die Hundehalter nicht bei mir. Wenn ich mich nicht täusche, murmeln sie etwas vom Recht des Hundes am eigenen Bild. Da hört sich doch wohl alles auf.

Breughel hätte noch einges Gewimmel hinzugemalt

Breughel hätte noch einiges Gewimmel hinzugemalt

Wir umgehen die beeindruckende Immobilie der Wasserwirtschaft und landen auf einem Deich zwischen Trabrennbahn und neuerbauter Einfamilienhaussiedlung. Ein Deich mitten in der Stadt! Die Siedlung war einst vor dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin für die Bundestags- und Regierungsmitarbeiter geplant. Aber die waren leicht zu erschrecken. Als sie hörten, dass in der Nähe mal die Russen hausten, schreckten sie sofort zurück. Nun ist die Siedlung zwar trotzdem gebaut, aber ziemlich kleinzügig geraten, wenig Platz zwischen den Mauern, wenig Busch und Baum. An Infrastruktur ist nur ein Kindergarten zu erblicken. Es gibt die Bauhaus-inspirierte Klar- und Schlichtheit, es gibt aber auch die unermüdlichen Kultur-am-Heim-Aktivisten, die nicht ruhen, bis  überall ein Türmchen, ein Wendeltreppchen und ein Zierleistchen angebracht ist.

Die Schatten werden länger

Die Schatten werden länger

Am Tag danach sind die Pfützen überfroren, Ostern ist vertrieben und der Winter zwischen Stärke und Schwäche zurückgekehrt. Jedenfalls müssen wir zu Ostern keinen Osterspaziergang mehr machen, den haben wir abgehakt.

Stumm und verstört am Rand

Januar 21, 2017 3 Kommentare
Als wär’s ein Stück von ihr – Siri Hustvedt

Als wär’s ein Stück von ihr – Siri Hustvedt

Das neue Jahr ist schon alt. Fast schon zu spät, um noch einen letzten Blick auf den Aufbau-Literaturkalender 2016 zu werfen. Vorne drauf Siri Hustvedt, die blonde Frau Paul Austers, norwegischer Herkunft, ich habe noch immer kein Buch von ihr gelesen, obwohl zwei im Regal stehen, nur ein Interview, in dem sie etwas zu oft zu ihren eigenen Bemerkungen lachte, was mich stutzig machte, ist aber vielleicht auch blöd vom Interviewer, immer zu notieren: … (lacht). Das will ich gar nicht wissen. In der 1. Woche Franz Hessel, der Vater aller deutschen Flaneure, Spazieren in Berlin, Spazieren in Paris, er sieht fast aus wie ein tibetanischer Mönch, kurz geschorene Haare, weiße Kleidung, einen Strohhut auf dem Knie abgelegt. „Langsam durch belebte Straßen gehen, ist ein besonderes Vergnügen.” Im Februar Thomas Bernhard, die Abbildung ein Composing nach einem Foto, das Gesicht des Dichters resoluter als im Realen. Ich las „Wittgensteins Neffe”, und Verheugen fragte mich, wie es mir gefiel. Gut, sagte ich, schön nacherzähltes Leben, aber was ist daran Kunst? Da wurde er fuchsteufelswild, Verheugen. Die großen entrückten Augen Inge Müllers, die den Freitod wählte, Spätfolge vielleicht eines dreitägigen Verschüttetseins nach einem Bombenangriff. Harper Lee auf einem Liegestuhl auf einer Terrasse in Monroeville. Die Zigarette in der Linken, sportlich sieht sie trotzdem aus. Mit dem Welterfolg von „Wer die Nachtigall stört” trat sie in die Literatur ein, und ihr Gesicht scheint zu fragen, warum danach nichts mehr ging. Eine Seltenheit ist ein Bild von Margarete Steffin, eine Geliebte und Mitarbeiterin Brechts, mit dessen Familie sie 1933 emigrierte. Brecht ließ sie mit einer Tuberkuloseerkrankung in Moskau zurück, während er weiterzog nach Amerika. Sie starb 1941. Man möchte es nicht wahrhaben. Das Bild zeigt ein unwiderstehliches Lächeln, die Hände in einer unentschiedenen Bewegung, die kurze karierte Jacke, alles sieht so nach Zukunft aus. Elizabeth von Armin, die Gartenschriftstellerin, gewiss nicht uneitel vor dem Spiegel. Um den Spiegel herum sind Hundebilder platziert, ihr Kleid (oder Morgenrock) ist mit Blumen verziert, mit Männern hatte sie kein Glück. Fritz J. Raddatz in einer der von ihm geliebten hochanimierten Posen, er dachte, sprach, schrieb schneller als alle anderen, hielt sich darauf viel zu Gute und war – sein zweites Tagebuch zeigt es – in seinen letzten Jahren bestürzend desillusioniert. Das Kindergesicht von Marina Zwetajewa unter einer voluminösen Pelzmütze. Da steht ein schöner und schmerzlicher Satz unter dem Bild: „Ihre Liebe zu Frauen und Männern war auch im Verzicht maßlos.” Arthur Rimbaud auf einer Zeichnung von Paul Verlaine, eine Pfeife mit langem Schaft und kleinem Kopf rauchend, noch in der Versonnenheit rebellisch, vor ihm aufgereiht Tassen, Gläser, Flaschen und Buchstabenkolonnen. Am Ende des Jahres dann Robert Walser, der Dichter, den man 1956 tot auf verschneiten Wegen fand in der Nähe der Heilanstalt Herisau, deren Patient er war. Walser war nicht wie Hessel Flaneur, sondern Wanderer oder besser Fußgänger. Einmal war er die Strecke zu einer Lesung um die acht Stunden zu Fuß gegangen. Er kam völlig erschöpft und derangiert am Veranstaltungsort an. Ein anderer musste Walsers Texte lesen. Walser saß stumm und verstört am Rand.

*

Und nun noch was: Am Ende des Jahres 2016 erinnerte man noch einmal an die großen Toten, die im Verlauf des Jahres gestorben waren. Es ist so zufällig wie zwangsläufig, dass der Name Hermann Kant dabei kein einziges Mal erwähnt wurde. Kant war im Juni 90 Jahre alt geworden. Der Aufbau-Verlag richtete in Neustrelitz eine Ehrung für seinen Autor aus. Da kamen viele Leute, die Kant zu danken wussten, auch wenn er oder gerade weil er bekennender Sozialist und Exponent der DDR war. Bald darauf starb Hermann Kant. Unter den Nachrufen konnte man auch diesen von Wolfgang Thierse lesen: „Die gut lesbare ›Aula‹ und der ernsthafte ›Aufenthalt” – das sind wichtige Bücher des Autors Kant, ansonsten viel oberflächliches, eitles und apologisches Geplauder. Der Funktionär Kant bleibt mir in unangenehmster Erinnerung als brutal und verlogen und bis zum Schluss zu wirklich selbstkritischer Einsicht weder fähig noch willens.”

Mir wurde übel. So nennt man das also, wenn jemand bei seiner Haltung bleibt, auch wenn der Wind sich gedreht hat. So hört sich das an, wenn Mittelmaß sich über Größe erhebt. Hermann Kant war sicher auch ein harter Mann. Er war nach der Wende in sich gegangen, ohne Lärm zu machen. Zog sich zurück nach Prälank in Mecklenburg, in einen Bungalow, der im Winter einfach nicht warm zu kriegen war. Er hörte nicht auf zu schreiben. Was auch immer er falsch gemacht haben mag im Leben, durch das niemand kommt ohne Schuld – er hörte nicht auf zu kämpfen. Und das ist Größe. Davon wissen die Thierses dieser Welt nichts.

 

Die Pause

Man dachte, Betriebe müssten so sein © Christian Brachwitz

Als man dachte, Betriebe müssen so sein …
© Christian Brachwitz

Dies wird ja auch in Buna gewesen sein, wo Brachwitz Betriebs- oder Kombinatsfotograf war. Irgendein Pausenraum in irgendeinem Teilkomplex eines unüberschaubaren Gesamtkomplexes, in dem der Mensch Mühe hat, sich als Individuum zu empfinden. So lange man arbeitet, nimmt man es nicht so wahr, aber wenn die Pause kommt und man den Pausenraum betritt, der etwas Niederschmetterndes hat mit seinen über Putz gelegten Leitungen, dem Ölsockel und dem abgefuckten Mobiliar – dann kommt sie, die Müdigkeit, die nicht nur diesen Tag betrifft, sondern das ganze lange Leben. Es sei denn, man trägt eine intelligente Brille und hofft inständig, dass dies nur eine Zwischenstation ist. Die Frauen aber sind ihrer Matronenhaftigkeit anheimgefallen. Augen zu und durch. Das heißt nicht, dass sie nicht auch aufleben, witzig sein und schöne Geschichten aus ihrem Leben erzählen können. Nicht aber in dieser lähmenden Pause mit diesen lähmenden Getränken und diesem entlastenden Schweigen.

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Verlassenheit

Kein Durchkommen mehr

Kein Durchkommen mehr

Der Neujahrsspaziergang fällt moderat aus. Wir betreten das abgesoffene Gartengrundstück durch die leicht zu öffnende Tür und haben doch das angenehm-unangenehme Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Diese Gärten waren nicht zu retten. Oft standen sie unter Wasser, weil in der Nähe irgendwann mal ein kleiner See oder großer Teich zugeschüttet wurde. Das Wasser drückt immer wieder hoch. Der Mensch soll die Natur nicht dominieren, das wissen wir jetzt, handeln aber meistens nicht danach. Das vertrocknete, zähe Schilf steht übermannshoch und wirkt abweisend. Eine ummauerte Klärgrube stöbern wir unter der Vegetation auf, zu der zwei dicke Schläuche führen. Könnte auch ein Brunnen gewesen sein. Man hat ja keine Ahnung. Die sich selbst überlassenen Bäume strecken ihre Äste auf bizarre Weise aus. Sie kommen uns so eigenwillig vor, dass wir wirklich den Eindruck haben, sie in ihrer Eremitenexistenz zu stören. Mehr gibt’s jetzt hier nicht zu sehen.

Ein Baum, der allein sein will

Ein Baum, der allein sein will

Auf der Wiese, wo sich vielleicht einmal der Teich erstreckte, spielen Jungs Fußball, könnte sein mit den neuen Bällen von Weihnachten. Ein Vater denkt schon an eine mögliche Karriere und trainiert seinen Sohn, stoppen mit links, stoppen mit rechts, Vollspannschüsse. Der Junge möchte sicher lieber mit den anderen kicken; aber besser als mit dem Gameboy spielen ist dieses Training auf jeden Fall. Und man kann auch Empathie für den Vater empfinden, der Ziele hat. Um die Jugend ist mir nicht bange. Das hat auch Hauke Hückstädt vom Literaturhaus Frankfurt heute Morgen im Deutschlandradio gesagt. Da ging’s aber nicht um Fußball. Da ging’s um Bücher und darum, ob überhaupt noch gelesen wird.

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… und das undichte Dach über mir

Mit dem Himmel auf du und du

Mit dem Himmel auf du und du

Ich bin der Mann im zehnten Geschoss. Über mir ist nur noch das undichte Dach. Bei Starkregen regnet’s durch. Ich hasse diese Wasserflecken an der Decke. Im Sommer könnte ich Krokodile züchten. Deshalb liebe ich die Übergangszeiten. Im Winter graut mir vor Silvester. Ich sehe, wie die lebenslustige Familie unter mir auf dem Balkon schon Getränkekästen und Geschosse aufstapelt. Ich weiß, dass bei Frauen Leibesfülle und schrilles Gelächter in einem engen Zusammenhang stehen. Und die Frau ist füllig, ihr Gelächter geht mir durch Mark und Bein. Ich will gar nicht wissen, was sie derart zum Lachen oder Kreischen bringt. Der Mann spielt Gitarre und hat ein Sky-Abo. Er sieht quasi jedes Fußballspiel. Ich bangte vor dem Beginn der Party. Und dann glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Der Balkon war plötzlich leer. Alle Getränke und Geschosse weg. Das Paar feierte woanders. Es war ein, nein, kein schönes Silvester, aber ein ruhiges. Wer kann heute so etwas noch erleben. Ich machte eine Flasche Rotwein auf und trank sie nur zur Hälfte aus. Dann legte ich mich nieder. Wurde wieder und wieder vom Raketenlärm der Stadt geweckt, aber bitte, was ist das schon. Die Ruhe im neunten Stock hat mich gerettet. Auch der Vater der lachenden Frau wohnt in unserem Block, im fünften Stock. Er hat, tüchtig wie er anscheinend ist, seiner Tochter und ihrem Gitarre spielenden Fußballfan die Wohnung unter mir besorgt. Hat auch noch zwei weitere Töchter, die auch nicht schlanker sind als die Dicke unter mir. Und alle drei sind glücklich verheiratet. Ich spreche das hier nur mal aus. Mehr nicht. Es kann sein, dass ich nicht mehr die richtigen Maßstäbe habe.

Unklare Zeit

In Krimis sind alle verdächtig, besonders natürlich die mit den dunklen Brillen © Fritz-Jochen Kopka

In Krimis sind alle verdächtig, besonders natürlich die mit den dunklen Brillen
© Fritz-Jochen Kopka

Letzte Woche fühlte ich mich bemüßigt, ein Wort für den Tatort aus Frankfurt einzulegen. Viele haben an dem rumgenörgelt, fanden ihn (natürlich) langweilig (das ist ja die Lieblingsbeschäftigung der Langweiler: Alles langweilig zu finden), unschlüssig, krampfhaft aktuell (Flüchtlingsproblematik), konstruierte Geschichte, schablonenhafte Darstellung, moralisierender Anspruch. All das kann ich nicht nachvollziehen. Die Zeit der spannenden Krimis ist sowieso vorbei. Suspense lässt sich für den Zuschauer, der allen Mustern der Spannungserzeugung einige Dutzend Male beigewohnt hat, nicht mehr oder nur in Glücksfällen noch herstellen. Die Tatorte und Polizeirufe bringen immerhin viel mehr Realität und Alltag auf den Schirm als Komödien. Sicher ist es richtig, dass die Krimis in letzter Zeit immer unklarer werden, das ist ja doch nur ein Reflex auf unsere unklare Zeit. Den Ermittlungen fehlt oft die Logik, die Zwangsläufigkeit, die Ermittler sind keine Superhirne, ohne den helfenden Zufall wären sie oft aufgeschmissen. Zum anderen häufen sich Krimis, die uns weismachen wollen, dass die Zukunft schon längst begonnen hat und wir keine Menschen mehr sind, sondern Datenträger, die jederzeit ein- und abgeschaltet werden können. Diesen Eindruck kann ich nicht teilen. Das Leben, das man hier führt, ist sich immer noch sehr ähnlich, Digitalisierung hin oder her. Ich mag auch die Krimis nicht, die so realistisch sind, dass man die Dialoge nicht mehr versteht, weil sie von den Geräuschen der Straßen und Büros, der Tage und Nächte zugedeckt werden. Und ich empfinde es nach wie vor als Zumutung, wenn die Akteure gleichzeitig essen und reden; das finden manche Regisseure offensichtlich komisch. Vielleicht trauen sie ihren Schauspielern auch nicht zu, ohne solche Hilfsmittel agieren zu können.

Mir hat der Film gefallen. „Land in dieser Zeit” zeigt, dass Deutschland dieses und jenes ist, aber eben auch ein Chor-Land (neulich im bayrischen Tatort gab’s sogar einen Polizisten-Chor). Immer amüsant zu sehen, wie die Choristen mit Leib und Seele am Liedgut arbeiten und dass das Singen sie mitunter keinesfalls davon abhält, der nationalistischen Gesinnung kriminelle Taten folgen zu lassen. Ich finde auch gut, dass Roeland Wiesnekker als Kommissariats-Leiter abgelöst wurde (was andere bedauern, er sei eine heimlich Hauptfigur gewesen). Für diesen Mann in all seiner Selbstgewissheit, Uninformiertheit und Faulheit fiel den Autoren gar nichts mehr ein. Statt ihrer haben wir nun einen Chef, der öfter mal verquere Bemerkungen von sich gibt und ohne Vorwarnung mit hoher Intensität Jandl-Gedichte vorträgt. Ich teile die Feststellung, dass Führungskräfte auf dem Weg nach oben fast immer seltsam geworden sind. Da ist der Jandl-Rezitator noch ganz gut erträglich. Seine Mitarbeiter blicken sich irritiert an. Lass den Alten doch verrückt sein, so lange er mit seiner Unwissenheit nicht nervt wie sein Vorgänger.

Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht bald die Friseurin Vera, gespielt von Jasna Fritzi Bauer. Was sie macht, ist immer spannend. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir in Deutschland eine so unausrechenbare, rätselhafte Schauspielerin haben. Der Rezensent, der das nicht mitbekommt, tut mir leid. Er muss über kurz oder lang das Ressort wechseln. Auch Margarita Broich spielt eine Kommissarin, wie wir sie noch nicht hatten, so zwischen naiv, tuttlig und klugen Instinkten.

Winterliches aus dem Leben der Raucher

Leben und Rauchen im Winter © ADe

Leben und Rauchen im Winter
© ADe

Wir sitzen in den Wernesgrüner Bierstuben und trinken Pilsner Urquell vom Fass. Gutes, frisches Bier. Nur mit Mühe konnten wir einen Tisch bestellen; es ist einer neben der Tür mit hohen Stuhlhockern oder Hockerstühlen, man kommt da schwer rauf und wenn man drauf sitzt, kann man den Hocker nicht an den Tisch heranziehen, aber man ist ja dankbar für alles. Die Kneipe ist tatsächlich voll, und die Kellner gerieren sich wegen dieses Erfolgs so, als seien sie was Besseres als Kellner. Entertainer, Coaches oder Philosophen. Sie fabrizieren ein instrumentiertes Lächeln und zwinkern verschwörerisch mit dem linken Auge; keine Ahnung warum. Wir wollen eigentlich nichts essen, höchstens was Kleines, und bestellen Eisbein. Nach dem dritten Bier soll zu Schnaps übergegangen werden, obwohl ich an diesem Tisch unter Leuten bin, die Schnaps trinken für eine Marotte halten. Sie sind eben von Kopf bis Fuß auf Pilsner eingestellt. Whisky ist hier doppelt so teuer wie Wodka, da schlage ich Moskowskaya vor, eine gute Wahl, wie ich finde, sauberer Schnaps. Wieviel Prozent hat der? Der Kellner weiß es nicht, vermutet 38 %, das kann nicht sein, schauen Sie bitte nach. Es sind natürlich 40 Prozent. Nach dem dritten Wodka sind wir irritiert. Ständig strömen Leute in die Kneipe, die ja ohnehin voll ist. Sie müsste eigentlich aus den Nähten platzen, tut sie aber nicht. Wie kann das sein?

Des Rätsels Lösung sind wie so oft die Raucher. Sie gehen hinaus mit ihren Entzugserscheinungen, um draußen bei Frost und Glatteis ihre Lulle zu genießen und kommen glücklich wieder rein, bis erneut Entzugserscheinungen auftreten. Was können wir für unsere Raucher tun? Nichts. Sie sind ja glücklich so.

 

 

Herbert Roth und die Berge

Herbert Roth, wahrscheinlich am Rennsteig

Herbert Roth, wahrscheinlich am Rennsteig

„Erinnerungen an Herbert Roth” brachte der MDR. Das weiß jeder im Osten: Herbert Roth schrieb das Rennsteiglied, sang das Rennsteiglied und machte das Rennsteiglied zum Hit. Jeder kann es singen. Der Film zeigt Fernsehstudios und Säle. Das Rennsteiglied erklingt, die Leute singen selig mit und schunkeln noch dazu. Die Sendung war auch für Leute interessant, die über sowas spöttisch lächeln oder es gänzlich ablehnen. Denn Herbert Roth war ein Phänomen. Er war ein musikalisch begabter Sohn von Thüringer Friseurmeistern aus Suhl, sollte den Salon übernehmen und wurde Friseur, der viele Instrumente spielte und Melodien erfand. Dann kam der Krieg, und Roth wurde Soldat, kam nach einjähriger englischer Kriegsgefangenschaft zurück nach Suhl, da war Karl Müller, sein bester Freund, schon ein Jahr wieder zu Hause, hatte im Krieg aber den linken Arm verloren. Müller schrieb die Texte, Roth die Melodien, Waltraud Schulz war die Gesangspartnerin, beide standen mit riesigen Akkordeons neben den drei Musikern, und die Leute wollten das hören. 1956 gab Roth den Friseurjob auf. Wo der Erfolg übermächtig wird, formieren sich die Gegenkräfte. Da ging es auch um Begrifflichkeiten. Waren Herbert Roths Lieder Volkslieder, nur weil das Volk sie mitsang? Wenn man so will, waren Herbert Roth und seine Musikanten die Gartenzwerge der DDR-Musik. Der Kitschverdacht wurde nicht umsonst geäußert. Es ging in den Texten um die Berge und das Wandern, kleine Häuser am Wald und Vöglein, die Lieder sangen, um Pulverschnee und frisch gewachste Ski. Und genau so waren die Melodien und die Instrumentierung. Die Schroffheit der Berge, die Unbilden der Natur, die Launen des Schicksals kamen nicht vor, von sozialen Problemen zu schweigen. Die Harmonieschraube wurde immer noch ein Stück weitergedreht. Na und? Das konnte man aushalten, auch wenn man der Meinung war, dass authentische Folklore immer auch etwas Irrationales, Unerklärbares, Zufälliges, Unverdientes enthält.

Diesen Konflikt, der durchaus auch mit Niedertracht ausgetragen wurde, hätte man so genau wie möglich beschreiben können. Beide Seiten hatten Argumente. Aber dem war der Film nicht gewachsen. Er huldigte Herbert Roth mit einer Ansammlung von Sprachschablonen und sah ihn von böswilligen Übeltätern umstellt. Das hätte man offener und unvoreingenommer gestalten können. Die Sendung hat man dennoch mit Anteilnahme gesehen. Herbert Roth hatte ein Gesicht ohne Arg, er schrieb sicher nicht aus geschäftlichem Kalkül, sondern so, wie er empfand. Seine Duettpartnerin Waltraud Schulz besaß einen frischen Charme und war anscheinend ein Naturtalent auf der Bühne. Wieso sie sich letztlich aus der Roth-Gruppe zurückzog, konnte nur angedeutet und nicht geklärt werden.

Herbert Roth war auch ein Familienmensch. Das erzählt seine Tochter Karin, die später an die Stelle von Waltraud Schulz trat, aber eben keine Waltraud Schulz war. Rührend, wenn sie berichtet, wie die Mutti (Edeltraud) nachts, wenn der Vati von den Konzerten nach Hause kam, immer noch eine warme Mahlzeit für ihn bereithielt, zum Beispiel Spaghetti mit Sauce. Denn wenn er unterwegs war, aß Herbert Roth nichts, nur die Stulle, die die Mutti ihm mitgegeben hatte.

Herbert Roth starb 1983 mit 56 Jahren an Magenkrebs. Ich glaube, dass dieser Mann und seine Geschichte ein großes Thema sein könnten, wenn man sich ihm offen stellt.

 

Das Schloss liegt gut im Plan

Marx schaut noch grimmig, Engels hat resigniert © Fritz-Jochen Kopka

Marx schaut noch grimmig, Engels hat resigniert
© Fritz-Jochen Kopka

Angeblich lohnt es sich, nach dem Berliner Schloss zu sehen, dem Neubau, bei dem es nicht die üblichen Schwierigkeiten sonstiger Großprojekte gibt. Ist in diesem Fall kein Wunder: Erstens haben unsere Vorfahren den Bau schon mal vorgemacht, es ist in den modernen Zeiten allemal leichter, ein altes Schloss zu bauen als einen Großflughafen, eine Philharmonie oder einen unterirdischen Bahnhof. Und zweitens: Was hindert die Bauherren eigentlich, die Kosten und die Fristen schon von Anfang an realistisch einzuschätzen und noch ein Polster draufzugeben, n plus x oder so. Kann sein, dass man das Projekt schwerer durch die Gremien bekommt und lieber den Spott über die explodierende Bausumme und die Verschiebung der Fertigstellung erträgt. Jeder Hohlkopf in Presse, Funk und TV glaubt, da noch einen Witz in petto zu haben; und es stimmt ja, die Leute lachen immer noch und fühlen sich erhaben über solchen Planungsmurks. Beim Schloss stimmen die Kennziffern anscheinend mehr oder minder.

 

Die Rückseite des Schlosses ist schon ziemlich fertig

Die Rückseite des Schlosses ist schon ziemlich fertig

Der Baum über der Kuppel muss noch entfernt werden

Der Baum über der Kuppel muss noch entfernt werden

Wer vom Alexanderplatz aus zum Schloss will, muss über den Weihnachtsmarkt. Jeder Berliner, der nach dem Anschlag über einen Weihnachtsmarkt geht, erhält die Heldenmedaille, wenigstens virtuell. Wir sehen zuerst die moderne Rückfront des Schlosses auf der Spreeseite und diesseits der Spree, in einer Dreckecke, das Marx-Engels-Forum, das zu einem Wanderdenkmal geworden ist. Sacco und Jacketti alias Marx und Engels schauen bedröppelt auf den Fortgang der Bauarbeiten, sie sind mit ihrer stolzen Idee nun in der Freiluft-Besenkammer des Hohenzollern-Schlosses gelandet und bewahren Haltung im Gegensatz zu den Edelstahlstelen mit Schattenrissen von Fotos aus der Geschichte der Arbeiterbewegung; das sieht schon ziemlich kläglich aus. Und das Schloss, ja, da Schloss, es ist einfach sehr, sehr groß. An der historischen Fassade wird gearbeitet, Gerüste erlauben nur einen fragmentarischen Blick, das mag alles sehr schön werden, aber wie man diesen Koloss füllen und bespielen will, ist rätselhaft. Im Halbschlaf träumt mir, dass in Deutschland die Monarchie ausgerufen und Angela Merkel zur Königin erklärt wird, was ihr einen schweren und verletzenden Wahlkampf ersparen würde. Dann bekäme sie das Schloss und mit ihr die Ex-Kanzler und nunmehr Ex-Könige Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Die drei müssten die Köpfe zusammenstecken und beraten, wie sie das Gebäude füllen. Jeder der drei hätte da seine Wohnung, seinen Hofstaat und die Sachzeugen der Highlights seiner Regierungszeit. Damit wäre das Schloss sicher noch nicht voll, aber den drei Kanzlern/Königinnen würde schon noch was einfallen. Die Frage ist, ob wir mit dem Schloss glücklicher sein werden als ohne das Schloss und ob dieser Platz schöner aussehen wird als vorher, was kein Kunststück wäre.

Blick aus der Humboldt-Box

Blick aus der Humboldt-Box

Wenn man das Schloss besucht, ist man drin in den Touristenströmen und empfindet die Ödnis vorgezeichneter Wege. Der Fremde wird einiges Aufregende entdecken, er ist in der Gruppe und findet Platz in überdimensionierten Restaurants, wo das angeboten wird, was es überall gibt. Der Einheimische sieht, dass die Stadt sich viel zu schnell verändert und dass sie in ihrer Mitte alles Inoffizielle und Intime verliert. Du kannst eine Idee haben, du musst aber auch die Miete zahlen können. So doof war der Plan nicht, ein Haus des Volkes in die Mitte der Stadt zu setzen mit originellen Restaurants, Sälen für große Konzerte, einem kleinen Theater, einer Bowling-Bahn, einem Jugendtreff, einer Galerie. Einerseits soll die Stadt aussehen wie zu Königs Zeiten, andererseits soll sie den Ansprüchen der Zukunft genügen, und noch mal: Man gibt ihr zu wenig Zeit.

Zwischen den Zeiten

Zwischen den Zeiten …

Immerhin gibt es ein Entrinnen aus der Mitte, du kannst schon am Hackeschen Markt draußen sein, in die Sophienstraße und in die Großen Hamburger einbiegen, wo zwei junge Männer in einem irischen Shop etwa hundert Kopfbedeckungen ausprobieren und von jeder noch ein bisschen mehr fasziniert sind als von der vorher ausprobierten. In der Boutique nebenan läuft ein Song von Angus und Julia Stone. „I’m a soldier, but I don’t know, how to fight … I’m the darkness but I want to be the light.” Beim Schreiben der Rechnung versagen sämtliche analogen Kugelschreiber. Wir sind endlich wieder in Berlin. Das Eckhaus, das vor Jahren seine grob gemauerten Wände in ihrer verwirrenden Nacktheit darbot, ist inzwischen vornehm verputzt. Ein Paar Meter weiter leuchtet der Laden „Viel Spiel” durch die Dunkelheit. Kein elektronisches Fiepen ist zu vernehmen im Paradies zeitloser Spielsachen aus Holz und Blech, Pappe und Papier für Kreative und Phantasten.

… und jenseits der Zeit

… und jenseits der Zeit