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Archive for Februar 2017

Schnapsideen

Haus-Schwarzenberg-Höfe. Bestellung mit dem Smartphone ordern? © Fritz-Jochen Kopka

Haus-Schwarzenberg-Höfe. Bestellung mit dem Smartphone ordern?
© Fritz-Jochen Kopka

Er rieb sich ein / mit Franzbranntwein. / Er trieb sich rum / mit Kuba-Rum. / Er tat sich schlau / mit Curacao / Er fiel vom Ross / zwecks Calvados.

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’n Fuß in eine fremde Stadt setzen

Die Stadt, die auf sich hält

Wenn ich mal ’ne Kur kriege, warum nicht

Auf dem Bahnhof von Bad Wilsnack pfeift ein Greis, der aus dem Zug von Berlin gestiegen ist, das Rennsteiglied und kann gar nicht wieder damit aufhören, obwohl er sich orientieren muss in dem Städtchen. Und obwohl das Rennsteiglied nicht hierher gehört. Diesen Weg auf den Höhen bin ich oft gegangen. Es gibt hier keine Höhen. Einige Leute von den wenigen, die man auf den stillen Straßen sieht, benötigen Gehhilfen zur Fortbewegung. Der Greis hört auf, das Rennstieglied zu pfeifen, und spricht ins Handy. Er ist ein moderner Greis. Vom Rennsteiglied abgesehen.

Bad Wilsnack, die Stadt in der Prignitz mit 2500 Einwohnern, zerfällt am Bahnhof in zwei Hälften. Den Stadtteil und den Kurteil. Kliniken, Residenzen, Parks. Als wäre es selbstverständlich, trippeln Pfauen mit prächtigen blauen Kämmen die Treppen herauf und herunter. Im Kindergarten werden vier Kinder betreut.

Der Stadtteil auf der anderen Seite des Bahnhofs hat seinen Höhepunkt nach zehn Minuten Weg, an Vorgärten und Einfamilienhäusern vorbei, auf dem Markt mit der großen Nikolaikirche, zu der man früher wallfahrte, weil dort heiliges Blut aufbewahrt wurde und man Ablassscheine kaufen konnte. Der Markt hat noch die Form eines langgestreckten Angers. Zu beiden Seiten alte Häuser mit Apotheke, Restaurants („Der Grieche”), Kunsthandwerk, Mode, Fleischerei mit Imbiss, Bäcker mit Imbiss. Frau Heusmann erzählt aus der Bibel. König David, der bedeutendste König Israels.

Der Bewohner der Kurstadt ist geneigt, den Fremden zu grüßen. Er sagt „Servus” oder „Guten Appetit”. Der Fleischer im Fleischerimbiss ist in den Hinterräumen verschwunden. Ich werde seine Buletten nicht essen können. Der Grieche richtet die Tische vor seinem Restaurant her. Das Antiquariat hat nur zweimal in der Woche geöffnet. Der Hähnchenverkäufer hat kein Wechselgeld, aber gute Laune.

Es war ja nur ein halber Tag

Es war ja nur ein halber Tag

Am Bahnhof wird vor schnellen Zugdurchfahrten gewarnt. Eine ungewöhnliche Menschenmasse von zwölf Personen wartet auf den Zug nach Berlin. Im Zug sprechen zwei Männer vom Auf und Ab eines Menschenlebens, von Hochzeiten, Kindern und Scheidungen. War schön, sagt der eine Mann zu einem kleinen Mädchen, war doch schön, mit Papa etwas unternommen zu haben. Das Mädchen äußert sich dazu nicht. Es soll sich diese Worte einprägen, um sie später wiederzugeben, wenn sie bei der Mutter ist. War schön mit Papa was zu unternehmen. Oder unternommen zu haben. Wenn sie’s denn sagt.

 

 

Die Nachspielzeit, die nie vergeht

Und ein Haus der Fußballunkulturen brauchen wir auch © Fritz-Jochen Kopka

Und ein Haus der Fußballunkulturen brauchen wir auch
© Fritz-Jochen Kopka

Dem FAZ-Fußballredakteur Horeni verdanken wir die Erkenntnis, dass Schiedsrichter Patrick Ittrich, im Hauptberuf Polizeibeamter, die gegen die Münchner Bayern 1:0 führende Berliner Hertha keineswegs mit einer überdimensionierten Nachspielzeit, die man eher eine Verlängerung nennen sollte, benachteiligt oder gar betrogen, sondern dass er dem Fußball damit ein Geschenk gemacht hat.

Fünf Minuten Nachspielzeit waren angezeigt, man fragte sich wieso, langwierige Verletzungsunterbrechungen gab es nicht, drei Minuten wären angemessen gewesen, und als die fünf Minuten vorüber waren und die Bayern immer noch nicht den Ausgleich geschossen hatten, ließ Wachtmeister Ittrich weiterspielen, bis den Bayern endlich das 1:1 gelang und sie herumtanzen konnten, als wären sie soeben allesamt Weltfußballer des Jahres geworden, die Betreuer und der Präsident eingeschlossen.

In der Folge beeilten sich die Medien zu beteuern, dass alles mit rechten Dingen zugegangen war und dass man auch nicht vom Bayern-Dusel sprechen kann. Den Vogel schoss Horeni ab, der auf die Idee mit dem Geschenk kam, das der Schiedsrichter der Fußballhistorie gemacht hat, denn: „Nur so konnte mit dem aus der Zeit gefallenen Tor von Lewandowski eines jener für Fußballfan-Herzen unvergesslichen Spiele entstehen, das auch kühle Profis aus der Fassung bringt … ”

Was für eine frivole Gedankenakrobatik! Da fiele einem noch einiges ein, womit Spiele unvergesslich gemacht werden könnten. Hoeneß steigt von der Tribüne herab und versucht, den gegnerischen Torwart durch Muskelspiele und Grimassenschneiden abzulenken. So ein Spiel würde ich auch nicht vergessen. Man kann sich andere haarsträubende Schiedsrichterentscheidungen vorstellen (und hat sie auch schon erlebt), mit denen man Fußballspiele unvergesslich machen könnte. Die meisten Fußballfans würden allerdings auf solche Unvergesslichkeiten gern verzichten.

Ein für allemal: Es droht nicht der Untergang Deutschlands, wenn die Bayern mal ein Spiel verlieren und Präsident Hoeneß wird in einem solchen Fall bei aller Leidenschaft auch nicht gleich einen Bürgerkrieg entfesseln.

Der zeitgenössische Hund

Februar 16, 2017 2 Kommentare
Der Hund fühlt sich nicht wohl in seiner Unangezogenheit © Fritz-Jochen Kopka

Der Hund fühlt sich nicht wohl in seiner Unangezogenheit
© Fritz-Jochen Kopka

Früher fiel ein bekleideter Hund auf. Heute ziehen sich die Hunde im Winter alle was an. Zu meiner Zeit wurde dem Tier in Einzelfällen ein Deckchen über den Rücken gelegt und mit Riemen befestigt. Ob die Hunde sich damit wohl fühlten, ob sie nicht gar von ihren Artgenossen ausgelacht wurden, ist schwer verifizierbar. Im Netz wirst du heute sofort fündig, wenn du Hundebekleidung eingibst. Du findest Hundemäntel für 5,99 plus 1,99 € Versand, Kapuzenshirts, Outdoorjacken (heißt das, dass es für Hunde auch behagliche Hausjacken gibt?), modische Hundepullover, Sicherheits- und Schwimmwesten, rutschfeste Hundeschuhe, Hundeanzüge, Hundeparkas sowie Wintermäntel im Hochpreissegment für 84,99 €.

Und neuerdings leuchten die Hunde im Dunklen auch. Wenn man das noch nicht weiß, wundert man sich. Was schleichen denn da für magische Lichter am Erdboden entlang. Das ist ja wie im Gruselfilm. Es sind aber die Hunde, die zu ihrer eigenen Sicherheit sichtbar bleiben sollen. Das elastische, reflektierende Warnband mit Steckverschluss, heißt es, eignet sich für Hund und Mensch. Es ist mit einem Steckverschluss zu schließen und sorgt bei jedem Wetter für gute Sichtbarkeit. Das könnte auch von Loriot formuliert sein. Bitte schön: Der schicke Pulli im Norwegerstil hält an kalten Wintertagen kuschelig warm und passt sich dabei perfekt dem Hundekörper an. Passend mit Rollkragen und mit dem dehnbaren Strickgewebe ist er für Hunde jeden Alters und jeder Rasse geeignet. Der einmal angezogene Hund möchte auch in den warmen Jahreszeiten seine Kleidung nicht mehr missen. Dafür werden Regenjacken und -mäntel, Kühlwesten und Sonnenbrillen angeboten. Für die Faschingszeit sind Verkleidungen im Programm der Hersteller, zum Beispiel Löwenmähnenperücken.

Ich muss sagen, ohne all das lebten wir einst wahrlich in archaischen Zeiten. Das ist die eine Seite. Andererseits fragt man sich, ob wir nicht mit all diesen Dingen in die Evolution eingreifen und zur Verweichlichung der Hunde, letztlich zu ihrem Untergang (siehe Saurier) beitragen. Ich weiß es wirklich nicht.

Nichts für Pedanten

Das Eis war dicker als gedacht

Das Eis war dicker als gedacht

Warum finde ich, dass der Polizeiruf aus Magdeburg gar nicht mal so schlecht war, wie ihn sich die Feuilletonisten zurechtschrieben, während ich normalerweise strenger bin als diese Apologeten? Das liegt daran, dass sie in ihrer Berufsroutine vergessen haben, worum es im Krimi (und vielleicht auch in anderen Genres der Kunst) geht. Man sollte schon detailversessen oder detailverliebt sein, aber auf keinen Fall ein Pedant. Dem Pedanten fallen laufende Meter unlogische Schritte in der Ermittlung auf, Fehler, Sachverhalte, die sich ausschließen. Aber wenn man beim Schreiben und Drehen vornehmlich darauf achten wollte, dass vor allem alles hundertprozentig zueinander passt, dann gerät einem das Wichtigste aus dem Blick: die Geschichte, die zu erzählen ist, die Täterprofile, die Charaktere der Ermittler. Die Täterprofile waren hier echt originell. Die Ermittler waren nicht albern und auch nicht zu sehr miteinander verstritten, und obwohl der Kreis der Verdächtigen ziemlich klein war, gab es am Ende doch noch ein überraschendes Ermittlungsergebnis. Und für die Langeweile des Zuschauers ist jeder Zuschauer selbst verantwortlich. Soll er doch wegschalten oder sein Interesse für den Gang der Dinge wachhalten. Ein lebhafter Geist kann das. Natürlich: Man kann immer meckern, dass der Krimi nicht spannend war. Aber das ist nun wirklich langweilig. Spannung ist schon lange ausverkauft. Dafür kennen wir aus langer Krimierfahrung die möglichen Abläufe und Wendungen viel zu gut. Es gibt kaum noch etwas, das uns noch auf die Folter spannen könnte, Sonntagabend für Sonntagabend. Also schauen wir unvoreingenommen auf das, was auf dem Schirm geschieht. Hier konnten wir uns für einiges erwärmen, auch wenn der Film „Dünnes Eis” hieß.

Köstlich, köstlich

 

Jedes Fenster ist auch ein Zitat

Jedes Fenster ist auch ein Zitat

Vor der Verschiedenheit der Geschmäcker kann man nur kapitulieren. Für mich war der Tatort aus Weimar („Der scheidende Schupo”) der reine Murks, ein großer Schritt auf dem Weg zur Münsteranisierung des Krimis, aber vor der Quote und dem Quatsch knicken dann auch die vornehmen Gemüter in der FAZ und die Cineasten ein. Sie haben sehr gelacht und vor allem viele Zitate gefunden, und daran erkennt man dann eben den Experten: Er ortet Zitate anderer Filme und Dialoge, er lacht befreit auf, sieht sich als Kenner bestätigt, und es ist doch immer belustigend, wenn ein Satz oder ein Gag von A nach B transportiert wird und nun in einem anderen Zusammenhang wieder auftaucht. Ich glaube, solche Leute sehen sich insgeheim als Feinschmecker und als Ästheten sowieso. Für mich bleibt unterm Strich, dass hier mit Carmen Maja-Antoni an der Spitze nur Clowns rumrennen. Am Anfang gibt es noch einen Mord, der auch ein Unfall sein könnte, danach einen Halbtoten, dessen letztes Stündchen geschlagen hat. Man staunt, wie es in der langsam verrinnenden Zeit immer gleichgültiger wird, wer es getan hat, der Halbtote wird wieder ganz lebendig, die Tote war von Anfang an eine solche Karikatur, dass man sie vergessen hat, was man auch schon wieder vergessen hat. Und so schafft es der Tatort aus Weimar, dass man Verbrechen und Tod nicht mal mehr halb ernst nehmen kann, und damit passt er schon in unsere Zeit. Der scheidende Schupo heißt übrigens Lupo. Einer der Drehbuchautoren nennt sich Murmel Clausen. Und der Typ von der FAZ meint, dass das Chaosfilmchen breit grinsend „Weimars Relevanzbesoffenheit” unterläuft. Über Geschmack kann man nicht streiten, über Humor noch viel weniger.

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Die Hilfe des Stalinisten

Normalität am anderen Ufer. Das Wasser ist viel zu tief. © Fritz-Jochen Kopka

Normalität am anderen Ufer. Das Wasser ist viel zu tief.
© Fritz-Jochen Kopka

Im Traum bin ich als Reporter in Rumänien. Da war ich schon mal, vor 40 Jahren oder so, fühle mich fast als Experte, obwohl mir so gut wie nichts in Erinnerung geblieben ist, nur unser Betreuer, ein Stalinist mit Übergewicht, Geheimagent sicher auch. Ich habe dieselben Schwierigkeiten wie in allen Reporterträumen. Ich komme mit den Verkehrsmitteln nicht zurecht und bin auch nicht in der Lage, mich zu erkundigen, wie ich von A nach B gelange. Alle Busse fahren an mir vorbei, ich würde sowieso in den falschen einsteigen. Ich bin nie da, wo ich sein soll, und überlege fieberhaft, was ich denn in meine Reportage schreiben soll, irgendwas Atmosphärisches vielleicht. Erlebnisse und Fakten habe ich nicht. Fehlanzeige. Null. Ich vergesse die Nummer meines Hotelzimmers, die Anzeichen verdichten sich, dass es auch von anderen Leuten genutzt wird, wie auch ich fremde Zimmer benutze, ohne es eigentlich zu wollen. Meine Sachen verschwinden nach und nach, am Hotelempfang ignoriert man mich, die Preise im Restaurant würden meinen Ruin bedeuten und den Rückflug verpasse ich, weil ich nicht in der Lage bin, von A nach B zu gelangen. Unser Betreuer von damals, der Stalinist von gewaltigen Ausmaßen, hätte mir sicher geholfen. Aber soll ich mich in seine Hand begeben? Man weiß ja, wie das endet. In solchen Träumen hasse ich mich, obwohl ich für nichts was kann.

 

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Segen und Verhängnis zugleich

Generationen beim Fest © Christian Brachwitz

Generationen beim Stadtfest
© Christian Brachwitz

So. Das ist ja nun, ist ja nun ein Foto von einem Stadtjubiläum, wie sie überall mal gefeiert werden, in diesem Fall in Werben an der Elbe; das Städtchen hat sich schon einige Male auf diesen Seiten gezeigt. Werben hat eine 1000-Jahr-Feier gefeiert, das geht wohl auf einen Kaiser Heinrich II. zurück und eine Urkunde, die in seinem Namen ausgefertigt wurde. Ich habe solche Stadtjubiläen auch schon in Güstrow und in Berlin erlebt; sie sind ein Segen in Frakturschrift, wie man auch auf diesem Bild sieht, eher für die Älteren, denen es zwar nicht an einer Perücke, aber an Distanz fehlt zum Jubiläum und der Art, wie es gefeiert wird, nämlich mit einem große Festumzug, für den ein sogenannter Fanfaren- oder Spielmannszug die schamlos schiefen Begleittöne liefert. Da wird alles, was je in der Stadtgeschichte eine Haupt- oder Nebenrolle gespielt hat, aufgeboten, alle Berufe, alle Institutionen parlieren in selbstangefertigten Kostümen vorüber, Lanzen, Kutschen, Trecker, Mähdrescher, und das zieht sich. Man sieht es den Gesichtern der Burschen auf dem Bild, die offenkundig Zwillinge sind, an: Man kann die Freude, den Stadtstolz und die Heimatliebe schon teilen, aber nicht den ganzen Tag, vom Morgen bis in die Nacht, man möchte dann auch wieder mal was Normales machen, nicht immer nur winken und trinken, wachen und lachen, jubeln und trubeln.