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Archive for April 2013

Berlin Alexanderplatz (4): Virtuelle Wolkenkratzer

Aus dem Schatten ins Licht

Aus dem Schatten ins Licht

Berlin schuldet dem Bund acht Hochhäuser am Alexanderplatz, sie sind lange geplant und sollen der Stadt und dem Staat ein futuristisches Image geben, und wenn wir Hochhäuser sagen, meinen wir wirklich Hochhäuser, 150 m hoch oder mehr, doch keiner der Investoren hat bisher gebaut, stattdessen entstand ein Saturn-Gebäude, das jetzt das Alexa als hässlichstes Bauwerk am Alexanderplatz und überhaupt abgelöst hat und verspottet wird als weiteres Zeichen von Berlins Unfähigkeit, irgendetwas, das größer ist als ein Pissoir, auf die Reihe zu bekommen. Ich finde den Saturn nicht mal so schlimm, das ist ein einfaches klares Gebäude aus hellem Beton und Glas, das deutlich zu erkennen gibt, Platz machen zu wollen, wenn wirklich etwas Großartiges realisiert werden kann. So lange aber nicht die acht Hochhäuser auf dem Alexanderplatz stehen, wird der Platz von den feinsinnigen Architektur-Kennern eine Brache genannt werden.

Aber Freunde! Brache! Wie oft habt ihr Euern Fuß auf den Alex gesetzt? Da ist immer was los. Keine Massen, gewiss, aber jede Menge Typen. Ich stehe im zweiten Stock des Saturn und beobachte, wie Leute den Platz kreuzen. Ich sehe das Oktoberfest, den Weihnachtsmarkt, Frühlingsevents, die Strand-Bar. Hütten und Buden. Die Straßenkids, die sich am Womacka-Brunnen niederlassen.  Pflastermüde Wanderer. Alle wissen, dass sie nicht irgendwo auf der Welt sind, nicht in Krähwinkel, sondern Berlin-Alexanderplatz. Weltberühmt und doch so normal, wenn man da ist. Döblin sah zu seiner Zeit Zeitungsverkäufer, Viehhändler, Fliegende Händler, Marktschreier. Und Franz Biberkopf verkoofte Schlipshalter.

Wo soll’n hier noch ’n Hochhaus hin?

Wo soll’n hier noch ’n Hochhaus hin?

In den umliegenden Büros finden kleine Überlebenskämpfe statt. Etwa so:  „Hier wird gerade wieder getippt, ohne Punkt und Komma, ohne nachzudenken.  Okay, dann tippe ich mal wieder mit, und jetzt heißt es aufgepasst: Wir tippen um die Wette – das neue Bürospiel, kann ich sehr empfehlen, und wir sehen: Wer als erster aufhört, hat verloren, zumindest seine Nerven oder was davon übrig geblieben ist, im langen Berufsleben, das ist nicht sehr viel – die Hölle, das sind die Kollegen, deren Eigenheiten man den ganzen Tag ertragen muss, so dass man am Abend völlig erschöpft ist.” Die Hauptsache ist, Kopf haben und dass man ihn gebraucht, und dass man weiß, was um eenen los ist, dass man nicht gleich umgeschmissen wird. Deutscher Michel, du gehörst in den Dreck, wo du drin liegst. Schön, Kollege, schönchen.

In der Zentrale der Berliner Sparkasse lässt eine Dame sich einen Teil ihres Vermögens auszahlen, 200 000 €, sie hat einen Sicherheitsdienst angeheuert, zwei feiste Männer in blauer Uniformkleidung, die führen nur Transporte bis zu eben dieser Summe durch. Die Frau will ihr Geld in einem Tresor unterbringen, sie findet diesen Vorgang aufregend, sie hat auch schon Geld im Garten verbuddelt. War ooch uffregend gewesen. Nicht vor dem Staat will sie ihr Geld verstecken, sondern vor ihren Erben, die immer nur nehmen und nie geben, und jetzt ist mal Schluss.

Der Alex macht Luftsprünge

Der Alex macht Luftsprünge

Neben der Weltzeituhr geht die Post ab. Zwei junge Männer, ein Weißer und ein Schwarzer, wirbeln durch die Luft, wirklich aufregend, was sie machen, die Zuschauer jubeln und klatschen, manchmal holen die Akrobaten sich jemanden aus der Menge und machen ihn auch zu einem Akteur, indem sie per Salto über ihn rüberspringen oder ihn zu ungewollten schlangenartigen Bewegungen veranlassen. Komisch und gekonnt.

Ich wende mich ab von diesen sportlichen Höhen und stoße dabei fast die unbemerkt heran geschlichene Straßenbahn um oder sie mich. Kleiner Schreck am Nachmittag.

Die Hochhäuser sollen solvente Leute zum Alexanderplatz locken. In den luftigen Straßenzügen im Umfeld sollen günstige Wohnbauten entstehen, und so soll es zu einer sozialen Durchmischung des Quartiers kommen, die eine Gegend aufregend macht. Dieses oder jenes Gebäude der DDR-Moderne wird diesen Plänen wohl zum Opfer fallen, aber vielleicht fallen die Pläne auch der Realität zum Opfer. Der Alexanderplatz lebt auch so.

Besser wie Vermögensberatung, wa? Vermögen wat?

Besser wie Vermögensanlage, wa?
Vermögen wat?

Eine Stadt, die Hauptstadt ist, kann nur zum Teil sie selbst sein. Gehört allen. Das sehen wir ein. Wir verstehen auch, dass Berlin ständig animiert wird, etwas Großes zu bauen. Einen neuen Hauptbahnhof, ein altes Schloss, einen Großflughafen, ein Mahnmal. Wolkenkratzer. Kanzler-U-Bahnen. Wie ich Berlin kenne, will es das alles selber nicht. Und wenn es dann nicht funktioniert mit den Bauten und wenn sie doppelt und dreifach so teuer werden wie geplant, dann höhnen die Länder und der Bund, die fest davon überzeugt sind, dass sie alles auf die Reihe kriegen. Kriegen sie ja auch, wenn sie die Augen verschließen.

Das versteht man unter Föderalismus.

Kursive Zeilen aus Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz

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Ein neuer Bulle ist wie ’ne geile Stulle

Falkes Katze, hier bei einem Besuch im Gerhart-Hauptmann-Haus zu Kloster auf Hiddensee

Falkes Katze, hier bei einem Besuch im Gerhart-Hauptmann-Haus zu Kloster auf Hiddensee

Wie wird im Film ein neuer Kommissar aufgebaut? Dieser bekommt den Namen Thorsten Falke, ist ein Trinker (Vollmilchtrinker) und wohnt mit einer Katze zusammen. Sehr verwöhnt. Die Katze. Am Morgen jede Menge Klimmzüge und Liegestütze. Der Kommissar. Lässig bis nachlässig gekleidet. Gespräche von Mann zu Katze. Cholerische Züge. Ein Sohn („der lebt aber komplett bei der Mutter”). Ja, klar, schwierige Beziehungen zu Frauen. Und eine Männerfreundschaft zum Softie Jan, die schwer gestört ist, weil der werdende Vater Jan fürsorglich in den Innendienst wechselt. Ziemlich ungebildet, der Thorsten. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, sagt er. Woher kennen Sie Karl Marx, fragt die Hospitantin. Stand heute im Kalender.  Büchse der Pandora oder Dose der Pandora ist für ihn Jacke wie Hose. Deprimierendes Großraumbüro. Nervende Hospitantin. Kurz und gut: Wotan Wilke Möhring als Thorsten Falke hat Potential. Das haben sie gut hingekriegt, im Tatort Hamburg. Am Ende will Falke die nervende Hospitantin in seinem Team halten. Aber die ging dir doch auf die Ketten? Dann hab ich mich halt geirrt.

Spannung aufzubauen gelang nicht unbedingt in diesem Tatort. War aber nicht schlimm. Es ging weniger darum, Täter zur Strecke zu bringen als darum schwierige menschliche Schicksale aufzudecken, die auch tödlich sein können.

Außerdem: Horst Tappert war bei der Waffen-SS. Dieter Moor heißt jetzt Max Moor. Und Uli Hoeneß war Vorbild, Idol und Mutter Theresa dazu. Sowas gehört auch zur Allgemeinbildung in Deutschland. Anscheinend. Scheinbar.

Traumreste

Irgendwo bei Itzehoe

Irgendwo bei Itzehoe

Im Traum bin ich bei Günter Kunert zu Gast. Ein dunkles altes Haus auf dem Land, irgendwo bei Itzehoe. Am Ende gibt mir der fürsorgliche Dichter die Reste des Mittagessens mit. Anscheinend sehe ich immer noch bedürftig aus. Ich bedanke mich, ahne aber schon, dass gut gemeint das Gegenteil von Kunst ist. Oder anders rum. Kunst ist das Gegenteil von gut gemeint. Das Zeug suppt durch meinen Rucksack durch, meine Notizbücher triefen von der Sauce.

Am nächsten Tag bin ich wieder bei Kunert, ich gebe ihm sein Geschirr zurück. Viele Leute sind anwesend, im Fernsehen soll ein tolles Fußballmatch laufen, ich sitze auf einem wackligen Stuhl. Vor dem Fernseher sind mehrere Reihen mit Stühlen aufgebaut. Ich setze mich bescheiden in die vorletzte und, wie gesagt, der Stuhl wackelt. Wie ich mich umsehe lauter alte Leute, wie Fußballenthusiasten sehen die nicht gerade aus. Es ist ein Spiel wie eine Beerdigung.

Alles sitzt und schweigt mit sich selbst beschäftigt. Das Fernsehbild ist trübe, der Ton lückenhaft und fußballfremd. Etwa in der Art, dass man Mahlzeiten aufessen und nicht die Reste durch die Gegend tragen soll. Könnte von mir sein.

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Frage an den Fußballgott

© Andrea Doberenz

Was plant der Fußballgott?

Keine Ahnung, was der Fußballgott mit dieser Saison im Sinn hat. Es kann doch nicht sein, dass er von A bis Z diese staatstragende bayrische Dramaturgie durchziehen will. Was kommt noch? Championsleague-Finale Bayern München gegen Borussia Dortmund, und Mario Götze, noch vom BVB, schießt seinen künftigen Verein Bayern München ab? Oder das Triple für die Bayern und Uli Hoeneß im Knast? Oder hat der Fußball-Gott vor, seine eigene Schöpfung zu vernichten, durch Langeweile, Charakterlosigkeit oder die Allmacht des Geldes? Oder weitermachen auf kleiner Flamme? Soll die dritte Liga die letzte interessante von allen Ligen werden?

Des Bösen zuviel

Max Ballauf wirkte in dieser Folge des Kölner Tatorts („Trautes Heim”) weniger verhärtet und genervt als gewöhnlich. Hatte auch Sonne abbekommen und war beim Friseur. Eigentlich verwunderlich, dass er für seine Verhältnisse so relativ gut drauf war, denn vom Bösen dieses Landes bot der Film mehr als genug. Der Mann, der sich so omnipotent vorkommt, dass er zwei Leben führen zu können glaubt mit zwei Frauen, zwei Söhnen, zwei Wohnungen, alles sorgfältig voneinander getrennt. Die Leute in der Alibi-Agentur, die bei bester Laune Leuten helfen, ihre Lebenslügen durchzuziehen. Neiderfüllte, rachedurstige, zu allem entschlossene Familienangehörige.  Die betrügerische und die kriminelle Energie sind besonders begabt darin, Argumente für ihr Wirken zu finden. Ich könnte ihm eine Kugel in den Kopp schießen, sagt die aus allen Wolken fallende Ehefrau des doppelten Roman Sasse, eines zierlichen, zähen Mannes, der immer glaubt, alles im Griff zu haben. Das kann ich Ihnen nicht verübeln, muss Ihnen aber davon abraten, entgegnet Ballauf der Frau mit sprödem Charme.

Kurz vor Ende, da wir dem Täter selbständig auf die Spur gekommen sind, erliegt die Regie der Versuchung, die Schraube des Schreckens zu überdrehen. Da sollte man nun sagen: Weniger ist manchmal mehr. Sagen wir aber nicht. Köln ist okay als Stadt des Verbrechens und der Aufklärung des Verbrechens.

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Wie ein Leben zu Ende geht

Sie hat das Ihre gegeben

Sie hat das Ihre gegeben

Seit 1960 schrieb Christa Wolf Tagesberichte über den jeweiligen 27. September. Als Buch erschien das, noch bei Luchterhand, 2003: Christa Wolf „Ein Tag im Jahr 1960 – 2000”, ein beachtetes und beachtliches Werk zweifellos, das die Frage stellt, wie Leben zustande kommt und Antwort gibt wie von selbst, eine Antwort von Milliarden möglichen. Da äußerte sich eine – immer sorgende – Stimme der Vernunft, die nichts anders kann als Anteil zu nehmen. Man wollte das oft und von bestimmten Seiten nicht gern wahrnehmen, musste es aber bei jedem neuen Werk doch konstatieren: Christa Wolf ist eine moderne Prosaautorin, war immer interessiert an neuen Formen, war nicht selbstzufrieden, ist nie stehengeblieben. Sie schreibt auch über den Kleinkram des Lebens, was auch den Autor oft klein zu machen scheint, sie schont sich nicht, sie scheut nicht das Banale.

Am 1. Dezember 2011 ging dieses Leben zu Ende. Nun erschien, bei ihrem neuen Verlag Suhrkamp, die Fortschreibung des 21. September von 2001 bis 2011. Ein schmales Buch dieses Mal, ein wertvolles Dokument, nahe an uns dran. Wir lesen betroffen, wie ein Leben zu Ende geht. Wie man sich weniger freut, wie man sich weniger aufregt, wie man weniger zürnt. Wie die Familie immer wichtiger wird, und welch ein Glück, dass man sie hat. Den Mann, die Töchter, die Schwiegersöhne, die Enkel.

Christa Wolf hat viel mit Krankheiten zu tun gehabt, die Hüfte, das Knie, das Vorhofflimmern. Sie hat sich dem gestellt, sie hat mit „Leibhaftig” ein enormes Buch über eine Operation geschrieben. Schreiben über das, was man gern ignorieren würde. Ausprobieren, ob man darüber reden kann. Und ob es sich bewahrheitet, dieses „benannt – gebannt”. Wenn man die Kinder besucht, die Angst vor der Qual des Treppensteigens. Die Unlust, überhaupt zu gehen, es wird ohne Schmerzen nicht möglich sein.

Christa Wolf scheut sich nicht, davon zu erzählen, dass sie Zeit mit trivialen Dingen vertut (wie wir alle). Fernsehen, Krimis lesen. Das gewöhnliche Leben in der Wohnung am Amalienpark in Berlin-Pankow. Gerd geht einkaufen, Gerd zeigt und berichtet, was er eingekauft und beim Einkauf erlebt hat (sie beneidet ihn fast darum), Gerd kocht. Er lässt sich immer was einfallen. Es gibt wohl keine Schriftstellerin, bei der sich so oft der Satz findet: „Es schmeckt”. Und so kommt es zu dieser schlichten, gleichwohl großartigen Passage: „Gerd hat alles mit großer Lust zubereitet und freut sich an meiner Begeisterung. Soll ich dir mal was sagen? sage ich. Ich habe dich lieb. – Das beruht auf Gegenseitigkeit, antwortet er trocken.”

Auch so kann man das Resümee eines geglückten Zusammenlebens ziehen.

Reden wir über das Wort alt. Schreibt hier eine alte Frau? Möchte man nicht sagen. Man spürt es, das Alter, nur an den körperlichen Beschwerden, den Mühsalen, der Klage über das schnelle Vergessen der Lektüren und Filme, der Sehnsucht nach dem Mittagsschlaf. Im Denken war Christa Wolf nicht alt. Nicht im Beobachten und Aufschreiben: „Wir sitzen auf Klappstühlen im Flur, so dass die Patienten an uns vorbeiparadieren müssen. Fast alles ältere und alte Leute, wenig ansehnlich. Die Frauen meist kompakt bis dick – wie ich auch. Dazu ungünstig gekleidet. Und die alten Ehepaare – man hat das Gefühl, die langweilen sich miteinander und überhaupt, haben aber eine fast kindliche Abhängigkeit voneinander entwickelt. Wie sehen die anderen uns?”

Unter den täglichen Bemühungen die Zeitungslektüre, hier der Berliner Zeitung. Christa Wolf schreibt auf, was im Großen und Kleinen wichtig ist, den Sportteil überblättert sie wie immer, sagt sie fast stolz. Ja, wenn es einen Bereich des Lebens gab, der ihr verschlossen blieb, war das der Sport. Der aber wichtig ist und immer wichtiger wurde. Es scheint so zu sein, dass sich der Sport an seinen Ignoranten und Verächtern rächt (was ernsthafter Weise nicht sein kann).

Christa Wolf soll einmal, wie mir Eugen Verheugen erzählte, jungen Autoren zugerufen haben: Ihr müsst groß von euch denken! Auch das ist Christa Wolf. Kleinmütig wird man den Fragen der Zeit und aller Zeiten nicht beikommen. Andererseits dürfte es schwerfallen, als Leser der Berliner Zeitung groß zu denken. Aber auch das hat einen gewissen Charme.

Die Autorin zieht die Konsequenz im Strom der Ereignisse: „Das alles betrifft mich nicht mehr. Meine Zeit ist vorbei. Ich sehe den Ereignissen zu. Man 80 ist man nicht mehr dabei. Dies ist nicht mehr meine Zeit.”

Liegt das ausschließlich an dem Menschen, der das so empfindet? Oder liegt es auch an der Zeit mit ihrer Selbstbezogenheit und Geschichtslosigkeit …

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Und noch ein Patent

April 17, 2013 1 Kommentar
Der Umhängebart (rechts) macht Sinn © Duden.Bilderwörterbuch. Bibliographisches Institut.

Der Umhängebart (rechts) macht Sinn
© Duden,Bilderwörterbuch, Bibliographisches Institut

Wie kann der Mensch sein Gewicht halten oder wie kann er gar abnehmen, ohne sich Prozeduren unterziehen zu müssen wie Fett absaugen oder Diätkuren, die doch immer auf den JoJo-Effekt hinauslaufen? Ein Gang zum Ernährungsberater kann nicht schaden, auch wenn der Ausgang ungewiss bleibt.

Meine Methode, die ich gerade zum Patent anmelde, beruht auf Lebenserfahrung und Beobachtungsgabe, etwas, das jedem Menschen zur Verfügung steht.

Ich greife zurück. Auf unserer Arbeitsstelle saßen wir mittags an einem langen Tisch beieinander, das gesamte Team, Tag für Tag, unter uns der cholerische Kollege Sauerbach, mittelgroß bis klein, temperamentvoll bis leicht erregbar, und obwohl seine konstitutionellen Voraussetzungen, wie man sehen konnte, keineswegs günstig waren, nahm er selbst bei bestem Appetit nicht zu, es blieb bei einem leichten, nicht unsympathischen Übergewicht.

Wie konnte das sein?

Wer genau hinblickte, kam dahinter. Sauerbach war Bartträger, und die Hälfte der Mahlzeit erreichte nicht seine Mundhöhle, sondern blieb in den Untiefen seines Barts hängen, wo sie sich anpasste, kompostierte oder einfach herunter fiel. FdH. Sauerbach fraß die Hälfte, ohne dessen innezuwerden.

Und das ist mein Patent. Bart gegen Übergewicht.

Das Patent sei sexistisch, wird mir entgegengehalten. Frauen seien von seinen wohltätigen Wirkungen ausgeschlossen. Nicht doch. In gut geführten Apotheken und Drogerien, teilweise auch schon in Bio-Märkten, wird der formschöne Hans-Werner-Sinn-Umhängebart angeboten. Den verstaut frau in der Handtasche und bindet ihn vor den Mahlzeiten um. Anschließend empfiehlt sich sorgfältiges Auskämmen.

Damit ist das Patent wasserdicht. Jeder kann danach leben und schlank bleiben.

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Conny geht zur Polizeischule

Ein ernstzunehmender Krimi könnte so aussehen wie „Wer das Schweigen bricht”, der Tatort aus Frankfurt. Mord im Jugendknast. Türken, Libanesen, Russlanddeutsche, Nazis. Düstere Location, gehemmter Anstaltsleiter, tyrannischer Aufseher. Der Ausbruch der Gewalt kann jeden Moment wieder geschehen. Und geschieht auch. Linkische Wärter und Polizisten. Die Ermittler scheinen überfordert. Am Ende haben wir nicht mitbekommen, ob der Fall sauber und konsequent ausermittelt wurde. Täter sind irgendwie alle. Manches Verbrechen ist simuliert.

Es war der letzte Fall von Conny Mey zum großen Bedauern der bundesdeutschen Leitmedien, und die Folgemedien ziehen selbstverständlich nach. Conny Mey wird uns fehlen, sie kann sogar türkisch. Jetzt geht sie zur Polizeischule nach Kiel, will jungen Polizisten was beibringen und hält die Welt für verbesserbar. „’ne größere Scheiße haben Sie noch nie von sich gegeben”, sagt der Kollege Steier ungehalten, der gern mit Conny weiter arbeiten würde, auch wenn er sich nie besonders charmant zeigte ihr gegenüber und überhaupt.

Es ist ja so, dass die Schauspielerin Nina Kunzendorf von sich aus aussteigen wollte aus dem Tatort. Und wirklich: Trotz aller medialer Lobeshymnen zeigt sich, dass die Gestalt der Conny Mey etwas eindimensional angelegt ist. Enge Lederjacke, enge Jeans, hohe Absätze, üppige Schals. Während Lene Odenthal durch ihre Tatorte sportiv durchlaufen muss, marschiert Conny Mey durch die Krimis, aufrecht, unerschütterbar, mit strammem Hintern. Wo ihr Kollege Steier an der Welt, an der Stadt, am Personal und an sich verzweifelt, ist die mindestens einen halben Kopf größere Conny ohne Arg. Und ihre Stimme hat diesen reizvollen Bruch. Es ehrt die Schauspielerin Nina Kunzendorf, wenn ihr das zu wenig war. Ich bedauere ihr Fortgehen nun auch. Da war Entwicklungspotential.

Ganz lustig: Der Feuilletonchef der Berliner Zeitung spricht vom Kommissar Steuer. Mit konstanter Bosheit. Aber der heißt ja nun doch Frank Steier, und wird vom nie einschichtigen Joachim Król dargestellt. Wahrscheinlich dachte der Autor beim Verfassen seiner Rezension unbewusst an seine Steuerklärung. Anders lässt sich sowas wohl kaum erklären.

Zum Thema des Humors in harten Krimis noch etwas: Obwohl Mey und Steier/Steuer in düsterer, bedrohlicher Atmosphäre ermitteln, obwohl sie kaum weiterkommen und nach Strohhalmen greifen müssen, unzufrieden mit sich und der Welt, manchmal am Rande des Nervenzusammenbruchs, sind sie doch auch komisch. Es ist wie im Leben. Der Humor kommt von allein. Da muss nichts übers Knie gebrochen werden.

Wir armen Hansa-Rostock-Schweine (5)

Seize the right moment, 1

Seize the right moment, 1

In Phasen nicht aufhören wollender Erfolglosigkeit fangen Fußballtrainer an, Unfug zu reden. Man muss nicht darauf warten, es geschieht unweigerlich. Und: Sie können nichts dafür, die Trainer. Es kommt wie von selbst. Das Gehirn ist vernagelt. Sie kriegen den Tunnelblick.

Wer hätte das schmerzvoller erfahren als wir armen Hansa-Rostock-Schweine. Wir traten an, um den sofortigen Wiederaufstieg in die zweite Liga zu schaffen, wir murksten in der dritten Liga herum, hatten zu Hause manchmal Glück, bekamen auswärts kein Bein auf den Rasen und der  Trainer begann, diesen unvermeidlichen Unfug zu reden. Wir lösten ihn ab. Holten den neuen Mann.

Mit ihm begann eine Erfolgsgeschichte. Und nach der Erfolgsgeschichte begann eine katastrophale Missrfolgsgeschichte, die uns in Abstiegsgefahr führte.

Was ist das für ein Unfug, den der Trainer dann redet, wie intelligent er ansonsten auch immer sein mag?

Zunächst mal gratuliert er nach dem Spiel dem Trainer des gegnerischen Teams zum Sieg. Wenn das mal für mal passiert, kann ich es wirklich nicht ertragen. Dann redet er von den ungünstigen Zeitpunkten, zu denen die Tore des Gegners fielen. Für ein Gegentor ist jeder Zeitpunkt ungünstig, sag ich mal. Sag ich mal so. Es folgt, dass wir einen hohen Aufwand betrieben haben, für den wir uns leider nicht belohnt haben und dass wir das hoffentlich beim nächsten Mal tun werden. Uns belohnen. Bei der Pressekonferenz vor dem nächsten Spiel beantwortet der Trainer jede Frage mit dem Satz: Wir wissen um die Bedeutung dieses Spiels. Und er sagt, dass in der dritten Liga ein Rückstand sehr schwer aufzuholen sei und dass man deshalb vermeiden wolle, in Rückstand zu geraten.

Alles Unfug, wie man weiß. Wir schießen ein Tor in der 22. Minute, haben also dafür gesorgt, dass der Gegner in Rückstand geraten ist, den er umgehend, in der 23. Minute, aufholt. Zu einem ungünstigen Zeitpunkt (45. Minute) geraten wir in Rückstand und zu einem weiteren ungünstigen Zeitpunkt geraten wir in einen schier aussichtslosen Rückstand, den wir aber binnen fünf Minuten in ein 4:3 umwandeln. So viel zum Thema, einen Rückstand kann man in der dritten Liga kaum wieder aufholen.

Es folgen acht Minuten Nachspielzeit. Acht. Als lebten wir noch in der DDR und spielten gegen den BFC Dynamo. Sind wir also gewöhnt, wir armen Hansa-Rostock- Schweine, wenn wir mal vorne liegen. Trotzdem. Wir fressen kein Tor mehr.

Alles gut?

Nein. Der Gegner erwägt, vor Beendigung der Saison in die Insolvenz zu gehen. Damit würde man uns die Punkte, die wir gegen ihn herausgespielt haben, wieder klauen.

Fass dir an Kopp und sag Kürbis gedeihe.

Seize the right moment, 2

Seize the right moment, 2

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Helden des Ostens (3)

Berlin Mitte. Zwischen allen Zeiten

Berlin Mitte. Zwischen allen Zeiten

1996 oder so sahen wir den Dokfilm „Dämmerung – Ostberliner Boheme der fünfziger Jahre”. Ich war damals bei der „Wochenpost”, die es nicht mehr gibt, und schrieb eine Rezension. Die wurde nicht gedruckt, weil in derselben Woche ein wichtiger Film aus England den Platz beanspruchte. Der Film und der Text passen zu dem, was man jetzt in den späten Abendstunden manchmal im TV sieht. Helden des Ostens. Viele Leute, die erwähnt werden, sind inzwischen im Himmel. Oder in der Hölle. Das „Ganymed” ist ins Leben zurückgekehrt. Und der Text erblickt jetzt hier das Licht der Öffentlichkeit und umgekehrt.

Die Erinnerung kommt, der Grauton der fünfziger Jahre. Zerstörung, die Krieg und Nachkrieg überdauert. Lückenhafte Straßen, die man ihrem Schicksal überläßt. Räudige Ecken mitten in der Stadt. Man ge­wöhnt sich daran, daß es ein Ostberlin gibt, das etwas an­deres wird, als Berlin war und Westberlin ist. Man hat Zeit, sich zu bilden, sich zu betrinken und aus­zunüchtern.

Nebenan verlangt die Morgen­dämmerung der Marktwirtschaft den Leuten schon eine andere Stressbereitschaft ab. Im Osten gibt es genug blöde Hunde, die ihr Le­ben versauen durch die Sauferei. Der Kul­turminister mit dem extrabreiten Hosenschlag schickt sie zur Bewährung nach Stalinstadt. Oder er steht am Pult und deklamiert beschwörend den Text seiner Nationalhymne, wodurch er auch nicht besser wird. Die Friedrichstadt. Es gibt das Ganymed (heute verrammelt und verriegelt), die Hajo-Bar (nur noch Schutt und rauchende Trüm­mer des Bedauerns), das Pressecafé (heute Besucherdienst des Metropoltheaters, zwi­schendurch Goldbroiler), die Koralle, den Esterhazy-Keller. Nichts ist geblieben, wie es war, es hat nicht sollen sein. Dafür kommt die Erinnerung.

Sie kommt in einem Dokumentarfilm von Peter Voigt, sie kommt in einem Konvolut kurzer Sentenzen. Menschen sagen Sätze, die – gleicher Sinn, gleicher Unmut – förmlich in­einander verlaufen. Bilder versie­gen und fin­den eine ungewohnte Fortsetzung. Zeichen und Wörter hängen im Vagen, bis man erfährt, daß sie etwas angekündigt haben. Die Gegen­wart, die auch nicht von Dauer ist. Ein Chaos, das seine Gesetze hat. Man wird nicht ganz dahinter kommen. Wozu auch.

Es gab eine Ostberliner Bohème der fünfzi­ger Jahre. Für sie hat der Regisseur das ver­lassene Ganymed öffnen lassen, ein Ort nun, wie man sich auch Himmel oder Hölle vorstel­len kann. Hans-Dieter Knaup und Stefan Li­sewski, die Schauspieler. Werner Stötzer, der Bildhauer. Barbara Brecht. Ekkehard Schall. Karl-Eduard von Schnitzler. Gerd Zeuchner, der Baumensch. Kurt Mühle, der Architekt. Rudi Ebeling, der Maler.

Alles ist weg. Der Schauspieler Rolf Ludwig liest seine Lieblingsgeschichte von Wolfgang Borchert: Die Kuckucksuhr. Ludwig führte in jenem Berlin einen pazifistischen Partisanen­kampf. Rolf wurde immer liebenswürdiger, wenn er blau war, erzählt Charlie Weber in Amerika. Es war alles neu, sagt Barbara Brecht. In diesem räudigen Ostberlin gelang es, ein Theater zu erschaffen, von dem die Welt sprach. Die wa­ren auch versoffener als wir, sagt ein Schauspieler des Deutschen Theaters über die Leute vom Berliner En­semble und nennt die versoffenen Genies. Die Landschaft war öde. Die Menschen waren optimistisch. Der Schnaps war gut. Die Bars waren wunderbar, das Urteil des Bildhauers Igael Tumarkin, der für kurze Zeit am BE wirkte. Berlin – wide open city, deklamiert Charlie Weber in Stanford. Es war das größte Vergnügen zu le­ben. Hier war alles. Und warum soll ich nicht frei gewesen sein! erin­nert sich Werner Stötzer.

Wir wußten von Verfolgungen. Wie sind wir damit fertig geworden, insistiert der Regis­seur. Ja, da hast du recht, antwortet der arme Stötzer. Durch Arbeit… Der Mensch, wenn er früh aufsteht… Man probiert, mit dem Ge­genstand eine andere Wirklichkeit zu schaf­fen!

Trauernde bei Stalins Tod. Walter Ulbricht hüpft gelenkig ans Rednerpult. O-Ton Wo­chenschau: Ein amerikanischer Panzer fuhr in eine deutsche Straßenbahn.

Die Kneipen wur­den Werke genannt. Werk 1: Pressecafé, Werk 2: Hajo-Bar. Werk 3: Möwe. Früh um neun machte das Pressecafe auf, Werk 1 haben wir immer gesagt, da saßen wir mit ’ner Träne im Knopfloch, weil: Man hätte ja auch arbeiten können, erzählt Mühle, der legendäre Anti-Held, früher Architekt von Messepavillons, heute privater Aktzeichner. Am 17. Juni ’53 hat er im Konsum sämtlichen Schnaps gekauft. Bei Revolutionen wird im­mer zuerst der Alko­hol gesperrt. Von den Or­ten des Ge­schehens wandte er sich sofort ab. Panzer hatte er genug gesehen. Nun sitzt Mühle im hellen Trenchcoat allein an einem weißgedeckten Tisch im Ganymed, eine Fla­sche Rotwein vor sich, ein Glas. Das Sächsi­sche, das Berlinische und die Zahnlosigkeit sind eine unnachahmliche Fusion eingegangen in seiner Sprache. Mühle fröstelt. Mühle lä­chelt. Er beschreibt, wie leicht man sich hun­dert, zweihundert oder auch fünfhundert Mark borgen konnte. Die Notgemeinschaft arbeitsscheuer Intellektueller funktionierte immer. Seine Worte. Mühle, wann stirbst du? fragt der Regisseur eine heikle Frage. Da hab ich noch keene Absicht, antwortet Mühle freundlich. Da warten wir noch ’ne Weile. Ich will noch den Aufschwung erleben.

Natürlich war nicht alles Suff und Witzelei. Die Theater waren gut, die Bilder waren gut. Das haben die selben Leute gemacht. Sie holten sich die Geschichten, die sie brauchten, in diesen Kneipen, in diesen Nächten ab. Man sprach viel mehr als heute mit Leuten anderer Berufe, sagt Schall, wir waren eben Träumer, wir haben an was geglaubt, der Maler Ebeling, wir hatten sehr viel Zeit, wir lebten alle hier mit so einem römischen Stipendium, der Bau­mensch Zeuchner, und Schnitzler improvisiert auf dem Klavier Moskauer Abende. „Nje slüschnü w sadu…”

Es gibt ein Leben vor dem Tod, sagt der Regisseur im Kommentar. Es gibt ein Leben neben der Politik. Es gibt ein Leben neben dem Geld. Es gibt ein Leben neben der Liebe. Aber nicht ohne Liebe. Denn nebenan saßen die Mädchen aus der Mo­debranche. Sie waren siebzehn. So schön fand ich die Zeit nicht, sagt eine. Ich weiß nur, daß die Männer sich mit uns geschmückt haben, weil wir hübsch aus­sahen. Interesse hatten sie sowieso nicht an uns, weil wir nichts zu sagen hatten.

Peter Voigt hat die Bestandteile des Lebens, die Bilder und Töne, so geschnitten und ge­mischt, daß seine Erinnerung zu schweben scheint. Er hat das Leben auf den Kern kom­primiert, der nicht erklärbar, nicht interpre­tierbar ist. Da sind Leute dritte, vierte und fünfte Wege gegangen, als es nur zwei Haupt­straßen zu geben schien. Das Paradies ist nicht, was kommt, sondern was war. Dreimal erzählt Knaup die Geschichte des Australiers, der ins Irren­haus geschafft wurde. Er hatte sich einen neuen Bume­rang gekauft und wollte den alten wegschmeißen.

Man kann die vergangene Zeit nicht weg­werfen. Sie kommt immer wieder.