Schöner Schreck in der Abendstunde
Ich komme vom Training (mit Höhen und Tiefen) und schaue auf den Bildschirm, sehe nur 5:0 und denke, ach: Das gewöhnliche Elend, könnte Gladbach die Sache nicht wenigstens mal spannend machen und ein 1:2 halten oder so, und dann merke ich, es ist ja Gladbach, das 5:0 führt, 5:0 gegen die Bayern, was ist da los, ist da eine Parallel-Welt aufgemacht worden im TV? Es ist die sechzigste Minute und allmählich sieht man, dass der FC Bayern nichts zustande bringt; der „Welttorhüter” kassiert fünf Gegentore, und „der beste Stürmer der Welt” hat keine einzige echte Torchance. Und die Gladbacher nehmen den verwirrten Bayern immer wieder den Ball ab und spielen nach vorn, aber sie müssen ja jetzt kein Tor mehr machen; das Spiel ist durch, die Sensation perfekt.
Jetzt werden sich Hohn und Spott über uns ergießen, sagt Dino Toppmöller in Vertretung des an Corona erkrankten Julian Nagelsmann. Aber nein! Ich höre Hasan Salihamidzic und Thomas Müller, die kein gutes Haar an ihrem Auftritt lassen und suchen nicht nach billigen Erklärungen. Zwei ernste Männer stehen vor einem Rätsel. Die üblichen FC-Bayern-München-Triumph-Gesichter finden nicht statt. Da können wir uns den Spott und die Häme sparen!
Für den Skandal-Schiedsrichter Tobias Stieler könnte dieses Spiel einen Karriereknick bedeuten. Er hat es nicht vermocht, die Bayern, die einen schlechten Tag erwischt haben, zum Sieg zu pfeifen. Zwei mögliche Elfmeter hat er den Gladbachern verwehrt, aber das reichte nicht vorne und nicht hinten.
Im Nebel von Regensburg
Als wir jüngst in Regensburg waren, wir armen Hansa-Rostock-Schweine, trafen wir auf dichten Nebel. Wir dachten schon, unsere Pyrotechniker wären wieder aktiv gewesen, aber nein, es war echter Naturnebel, der gar nicht genug von sich bekommen konnte. Dadurch war der ganze Pokalfight gegen den Jahn etwas unklar. Nach der hingenommenen Abschlachtung gegen den Erzrivalen St. Pauli haben wir reagiert und auf sechs Positionen umgestellt. Unser guter alter Julian Riedel stand wieder in der Startelf. Er hat erst im letzten Jahr seine ersten Pflichtspieltore gemacht, aber es waren wichtige Tore, und so auch hier, in Regensburg. In der 9. Minute stochert Jule als Innenverteidiger den Ball ins Tor des Zweitplatzierten der 2. Liga. Und Streli Mamba, der bisher auch noch nicht viel Zielwasser getrunken hat, macht früh in der 2. Halbzeit das 2:0. Vielleicht haben wir uns dann zu weit zurückgezogen, wie es eben so unsere Art ist. Schon in der Nachspielzeit gleicht der Jahn aus und geht in der Verlängerung in Führung. Spiel gedreht, könnte man sagen, wenn es nicht so zynisch klänge und wenn nicht Pascal Breier, der auch noch kein Glück in dieser Zweitligasaison hatte, im letzten Moment den Ausgleich geschossen hätte. Elfmeterschießen. Wir sind uns ziemlich sicher, dass Markus Kolke, unsere Krake, von fünf Elfmetern wenigstens einen hält. Wir müssen halt nur unsere Elfer versenken. Und so kommt es auch. Den entscheidenden verwandelt Pascal Breier. Jetzt hat die Saison für ihn begonnen, wir sind in der 3. Runde und verdienen Geld.
A German Revolution
Ich hätte nicht gedacht, dass ich Döblins „November 1918”-Tetralogie zu Ende lesen würde, aber ich hab’s, mit Pausen, gemacht, zuletzt Band 4, „Karl und Rosa”, 800 Seiten. Man glaubt ja, bescheid zu wissen, über Liebknecht und Luxemburg; tragische Helden einer steckengebliebenen Revolution, aber das ist ein Trugschluss. Döblin weiß viel mehr. Er schrieb das Werk in der Emigration, in Frankreich und dann im Amerika, er schrieb unter erschwerten Bedingungen, hatte wenig Geld und wenig Zugriff auf Dokumente; er konnte in den fremden Ländern nicht in seinem Beruf als Arzt arbeiten; aber er hatte einen enormen Antrieb: Döblin war überzeugt, dass die verlorene November-Revolution von 1918, die Haltung der Sozialdemokraten Ebert, Scheidemann, Noske, die Ursache für die faschistische Machtergreifung 1933 und damit auch für sein Schicksal waren.
„Noske war ein baumlanger Mann mit Stahlbrille und niedriger Stirn. Er stammte aus Brandenburg und hatte sich vom Holzarbeiter zum Gemeindevertreter, Journalisten und Reichstagsabgeordneten heraufgearbeitet. Aber das Eigentliche sollte erst kommen.” Noske, der Bluthund der Reaktion. So griffig ist der Text in seinen 2400 Seiten nicht immer. Döblin bemüht sich, nah an seinen Figuren zu sein, den fiktiven ebenso wie den historischen. Wer Lust hat, kann darauf achten, wie der Autor mit den erfundenen und wie mit realen Personen umgeht. Sicher ist er bei den historischen Gestalten unfreier, auch bei großem Einsatz geraten sie flacher. Wie authentisch die Dialoge der Luxemburg und Liebknecht, der Ebert, Noske und Scheidemann sein können, ist dahingestellt. Sie geben ein Bild der Akteure und der Verläufe dieser deutschen Revolution, in der es keinen kaltblütigen Strategen gab, jedenfalls nicht auf der Seite der Revolutionäre. Wenn es um das Voreilige, Verzagte, Kleinmütige im Handeln der Protagonisten geht, kann Döblin nichts anders, als zu Spott und Sarkasmus zu greifen, was vielleicht nicht seine stärksten Seiten sind. Es war auch in der Zeit des Exils, da er sich tief in die Religion versenkte und die Ereignisse aus christlicher Sicht deutete, wobei er wohl unter seinen intellektuellen und erzählerischen Möglichkeiten bleiben musste.
Döblins Held ist der Studienrat und Offizier Friedrich Becker, als Faust-Figur angelegt, im Krieg schwer verwundet, dem Tod entronnen, daheim in Berlin auch mit seinen seelischen Verletzungen und seine Dämonen kämpfend, ohne Chance gegen Restauration und Nationalismus verliert er seinen Beruf, sein Zuhause, seine Liebste und ist gleichsam auf mystischer Wanderung unterwegs. „So trug sich Becker, ein hoher, bärtiger und immer mehr gebrechlicher Mann, noch jahrelang durch die deutschen Gaue.” Döblin erklärte: „Der Mann, den meine Geschichte in Karl und Rosa darstellt, war bewusster Christ in einer verwahrlosten Zeit; er fühlte sich gedrängt zu bekennen.”
Der Heimkehrer Döblin hatte, wie der Heimkehrer Becker, kein Glück mehr in Deutschland. Er war vergessen oder als Milieu-Autor herabgestuft. Für die November-Tetralogie war im Nachkriegsdeutschland kein Papierkontingent und auch keine geistige Bereitschaft vorhanden. Erst lange nach seinem Tod, zu seinem hundertsten Geburtstag, konnte das Werk erstmals geschlossen in einer Taschenbuchausgabe erscheinen.
Nicht zuletzt: Man kann mit den Bänden durch Berlin gehen und findet alle beschriebenen Orte wieder. Die Topographie ist exakt. Wir leben in einer historischen Stadt. Das ist ja klar. Aber so anschaulich wie in diesem Werk wird es nicht noch mal.
Alfred Döblin: November 1918, Tetralogie, Rütten & Loening, Berlin, 1981
Wilfried F. Schoeller, Döblin. Eine Biographie, Carl Hanser Verlag München, 2011
Frauensachen
(… häng dich da nicht rein)
Ist das Verhältnis der Frauen zum Alkohol möglicherweise verlogen?
Ich könnte Feministinnen (und Frauen überhaupt) absolut verstehen, wenn sie dagegen kämpften, dass diese Computer mit Frauenstimmen sprechen; es schürt Abneigung, wenn die Maschinen mit weiblichen Stimmen reden und uns des öfteren nicht verstehen wollen oder sich stur stellen.
Frauenweisheit: Männer müssen beschäftigt werden. Sonst machen sie Dummheiten.
Erst kam die Allergie und dann noch die Pandemie.. Sie hat ein neues Medikament, das das alte ablösen soll, das sowieso nicht hilft. Das neue wahrscheinlich auch nicht, aber es ist eben neu, es könnte sich ein Placebo-Effekt einstellen. Ich habe aber viel Zeit gehabt, sagt sie, und meinen Balkon auf Vordermann gebracht.
Das ist sexistisch, sagt der Mann. Es sollte heißen: auf Vorderfrau. Ich habe meinen Balkon auf Vorderfrau gebracht.
Wir bemühen uns um Gendersternchen, wir achten auf die indiskrete Pause zwischen dem r und dem folgenden I (Teenager-Innen). Viel wichtiger ist es doch, die Sprache nach solchen ungerechten Maskulina zu durchforsten, die letztlich die Rolle der Frau in der Geschichte und im alltäglichen Leben ignorieren und neue, geschlechtergerechte Neubildungen anzustreben.
Ist auch beleidigend für ’ne Frau, als moralischer Kompass Europas bezeichnet zu werden. Ist doch ein Mensch aus Fleisch und Blut, die Frau Merkel. Moralischer Kompass, was soll das. Auch sie als mächtigste Frau der Welt zu bezeichnen, finde ich nicht in Ordnung. Wie soll ein Mann einer solchen Frau noch gegenübertreten. Ich hab’s jetzt mit der mächtigsten Frau der Welt zu tun; wie soll ich mich bloß verhalten. Am besten nur mit ja und nein antworten, gnädige Frau. Außerdem wissen wir, dass auch die Mächtigen oft genug ohnmächtig sind und nichts ausrichten können.
Wenn eine Frau ausfegt, habe ich manchmal die Zwangsvorstellung, sie könnte sich gleich auf den Besen setzen und als Hexe davonfliegen – durch die Lüfte.
Wenn wir den Klatsch nicht hätten
Wenn der Brautzug sich auf den Weg zur Kirche macht, ist die Stadt leer, vom Hochzeitspaar und seinen Gästen abgesehen, so siehts aus. Die Stadt ist alt, von den Fassaden fällt der Putz, doch das Fallrohr ist noch intakt, wenn auch der Regen, falls er denn fällt (wir hatten immer schon mal diese Dürrephasen), ungebremst auf den Bürgersteig rauscht, das machte man so, auch wenn es den Kellern nicht gut tat, man dachte da nicht groß weiter. Man will nicht viel wissen von der Außenwelt, die Jalousien sind unten. Die Männer tragen schwarz, die Frauen eher weiß. Wie die Stadt ist auch das Paar nicht mehr taufrisch; umso jünger ist die Begleitung, Teenager und Twens, kein graues Haar, keine gebeugte Gestalt, keine Gebrechlichkeit, seltsam. Vielleicht haben wir es mit Zugezogenen zu tun. Ich weiß es nicht.
Mag sein, dass die Protagonisten nicht ihre erste Ehe schließen. Ein Kind aus einer vorvergangenen Beziehung ist dabei. Woran frühere Ehen gescheitert sein mögen, die Frau, die sich in klassischer Pose aus dem Fenster lehnt, weiß das natürlich und amüsiert sich. Man hat ja den Klatsch in einer kleinen Stadt und wenn man ihn nicht hätte, den Klatsch, wäre alles noch älter, grauer und bröckliger.
An die Befreier denkt keiner
Vorjahrescollage April – Mai – Juni
Da spielten bei uns Bob Dylan, Herman van Veen, Konstantin Wecker, Georges Moustaki, José Feliciano, John McLoughlin und Paco de Lucia. Vor der Freilichtbühne der Trabrennbahn tanzte der Heizer in der Dämmerung. Das ist doch keine Seuchenmusik. Der Mensch lebt nicht von Brot und Klopapier allein. Noch immer fällt es mir schwer, das wegzuschmeißen. Corona-Aprilscherze werden weltweit streng bestraft. Barbara T. brachte ins Studentinnen-Wohnheim frische Eier vom Lande mit. Robert Byron starb südwestlich der Faröer-Inseln. Immer neue Konfliktfelder. Es ist immer noch Krieg. Die Rolle des Pferdes als Partner des Menschen in seiner Verbindung zur Entwicklung Berlins. Kulturell hatte die DDR irgendwie ihr bestes Jahr. Sie drücken sich aneinander vorbei, als wäre jeder ein Verbrecher. Jeder kann Täter, jeder kann Opfer sein. Der Gemüsevietnamese kann wieder lächeln. Hoffentlich denunziert uns keiner, denn wir sind ja eine Menschenansammlung. Ich glaube ihn gesehen zu haben, wie er mit seiner Frau und einer Krücke ins Auto stieg. Das ist ein Punkt, bei dem das Stadion die Kirche ersetzt hat. Die Alten, das waren früher immer die anderen. Die Liebe überwindet spielend und unbedenklich den Mindestabstand. Schenk, der DEFA-Guru, liefert den Nachruf. Viele Gräber waren mit bunten Ostereiern geschmückt. Wir mussten Schnaps trinken. Der war in Ordnung. Den Streit sprach keiner an. Mehr depressive Fußballprofis. Auch so sehen die Helden der Seuche aus. Die volle Ladung banales Leben. Ihr Freund hatte breite Schultern und große Ohren. Und dann meinte er, dass Anna Karenina für ihn sowieso eine Schlampe sei, und der Landarzt Bovary tat ihm auch leid. Er trank das mit den Zähnen geöffnete Bier und redete auf die Blonde ein. Philemon und Baucis warten wieder auf die Götter. Er hat es satt, Perlen vor die Säue zu werfen. So wirr Peggy im Kopf ist, so handfest packt sie zu, wenn es hart auf hart kommt. Ich möchte mir von Frau Merkel nicht sagen lassen, dass ich mir die Hände waschen muss.
Was machen wir jetzt ohne Fußball. Oh Mann, mir geht’s so schlecht. Wir hatten wilde Ballwechsel vor dem Lockdown. Am Ende sind doch fast alle tot. Sogar die Dummen. Das Grundgesetz ist Gott. Er ist sein Hirte. Er ist auch Musiker und hat einen Ehemann. Gestern unternahm er einen Versuch, mich (oder eine Wählerstimme) zu grüßen. Sperrbarrieren, Familien, Fahrräder, Kinderwagen, Idioten. An die Befreier denkt keiner. Wir schlugen unser Wasser im Garten ab. Wetterberichte sind für mich die reine Blasphemie. Ich lese kurz rein und lege sie in die Papiertonne. Das war das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte: eine Wespe mitzutrinken. Ich nehme den Hörer ab und habe einen Sachsen an der Strippe. Die Technik macht, was sie will. Man hat ja in unseren Kreisen seit Ewigkeiten keinen Betrunkenen mehr gesehen. Manchmal schütteln ihn Lachanfälle, die klingen aber so, als würde er gewürgt. … ihr wisst ja selbst, nehmt es mir nicht übel, einer Frau fällt es leichter, den Teufel zu küssen, als eine andere Frau schön zu nennen. Das Geld wird sowieso nichts mehr wert sein, er möchte es ausgeben, weiß aber nicht wofür, weil er keine Ansprüche hat. Sylvius vereinte die Eleganz und geistige Gepflegtheit, die angenehme Form einer humanistischen Bildung mit der Beschränktheit eines reaktionären Geistes … Er sägt seine Möbel von Ehepaar-Format auf Single-Größe zurück, das Ehebett, die Schränke, das Sofa. Ich nenne ihn Hiob. Könnte uns alle so nennen. Es drängt sich der Eindruck auf: Je nach Tabellenplatz entdeckt man plötzlich die Moral. In den Stadien lief es besser als in den Kneipen und in den Kirchen. Die Nachbarin hatte Lockenwickler eingearbeitet und wirkte ein Science-fiction-Monster. Unverständlich ist das, was sie machen. Unverständlich.
Arno ist ein dicker alter Mann, der jede Menge dicker alter Sätze schreibt, mit denen er schlanke junge Frauen bezaubern möchte. Ihre Treppe ist sehr steil, sagte er. Mit solchen Spielern macht sich jede Mannschaft unbeliebt. In der ersten Halbzeit waren wir die klar bessere Mannschaft. Man soll nicht selbständig eintreten. Bin ich jetzt schon entmündigt? Alfreds Mutti ist sehr dick und sehr sportlich. Stör sie nicht, wenn sie telefoniert. Glatzen, Übergewicht und Gebrechlichkeit auf dem Flur, nur die Jungen sitzen. So muss man denken in der Marktwirtschaft. Es gibt zusätzlich das Geräusch der Presslufthämmer. Die Frau des Schriftgelehrten hängt die Wäsche auf (wie jeden Tag). Eindrücke von anderen Lebenswegen und Arbeitskämpfen. Irgendwann wird sich das auszahlen, dass er überall mal reingerochen hat. Ab und zu fragte er: Adolf Hitler? Mich hat dieser kleine nervöse und irgendwie gestörte Mann immer interessiert. Wenn’s keine Rassen gibt, kann’s auch keinen Rassismus geben. Die werfen doch auf alles ein Auge. Für ein Weißbrot und ’ne Flasche Rotwein wird es immer reichen. Erstmals war der Schauspieler Krause nicht unter den Gästen. Da lecken sich doch die Weiber alle zehn Finger nach! Man saß zusammen bei Bier und Schnaps und die Zeit spielte keine Rolle. Der Regen kümmert sich nicht um den Wetterbericht. Wenn du ihn verstanden hast, dann war es nicht Gott. Die greise Helga hat für die DDR den Bachmann-Preis erkämpft. Alle Organe sind betroffen. Aber den kategorischen Imperativ und den gestirnten Himmel über mir führen wir alle im Munde. Auch beim Bürger Gramberg brannte Licht. Seitdem ich weiß, dass ich sowieso alles falsch mache, geht es mir viel besser. Für Menschen wie mich ist Macht irrelevant.
Zitate: Wieland Freund, Pferdesportpark Karlshorst, Hans Ulrich Gumbrecht, FAZ, Frank Castorf, Jerome Charyn, Nikolai Gogol, Martin Gumpert, Christian Seifert, der Schriftgelehrte, Florian Kohfeldt, FAZ-Leserbrief
Der Bürgeramt arbeitet trotzdem
In den Institutionen werden zur Zeit allenthalben die Toiletten rekonstruiert, im Dussmann-Kultur-Kaufhaus und im Bürgeramt, dieses „Unser Klo soll schöner werden” liegt im Interesse des Kunden, das nächste öffentliche WC gibt’s im Fall Dussmann am Bahnhof Friedrichstraße. Im Bürgeramt am Tierpark wird gleich der ganze Gebäudekomplex rekonstruiert; außerdem regnet’s. Man kann froh sein, wenn man schlau genug war, einen Termin zu ergattern. Ohne Termin wird gar nicht erst abgefertigt. Kannste gleich wieder nach Hause oder in den Septemberregen gehen. Zugang ist möglich über den verlotterten Dienstboteneingang. Durch Dreck und uninspiriertes Graffiti steigst du hinauf. Sie haben sicher einen Termin. Ja. Dann dürfen Sie sich am Tresen melden. Ich will sicherheitshalber noch ein Passfoto machen, es soll ja aktuell sein, und der Automat steht hinten links in der Ecke. Ich komme mit der Münzeinwurftechnologie nicht zurecht und verliere ein paar Euro. Da ich denke, dass das auch so angedacht ist, verzichte ich auf einen Protest. Die staatlichen Einrichtungen sollen gewinnbringend arbeiten, es wenigstens versuchen. Auf dem Foto sieht mich ein anderer Mensch an; das sind wir schon gewöhnt.
Es sind hauptsächlich Migranten, die sich hier in Passangelegenheiten versammelt haben, und sie kommen gut mit den Regularien zurecht, auf jeden Fall nicht schlechter als ich. Nach der Fotografiererei habe ich vergessen, die Maske wieder aufzusetzen, werde aber nicht des Raumes verwiesen. Dann bin ich dran. Ich kenne dieses Office schon. Die Beamten (wenn sie denn Beamte sind, keine Ahnung), sitzen weit verstreut an ihren Arbeitstischen. Meine Bearbeiterin macht, soweit ich das beurteilen kann, einen guten Job; sie will wissen, ob ich eine weitere Staatsbürgerschaft beantragt habe („Die eine reicht mir.”), nimmt auch meine Fingerabdrücke und ist dabei sehr genau. Ich leiste zwei Unterschriften und werde gefragt, ob ich mit der Unterschrift, wie sie dann im Pass stehen wird, einverstanden bin („Besser wird’s sowieso nicht mehr.”) Die Bearbeiterin scheint mit meinen Antworten zufrieden zu sein und lässt mich unter der Hand wissen, dass der Staat alles über mich weiß, etwa, dass ich noch einen abgelaufenen, aber nicht ungültig gemachten Pass besitze und dass ich vor vier Jahren keinen Reisepass beantragt habe, weil ich nicht mehr reisen wollte. So war’s. Macht mir nichts aus. Ich kenne den Staat ja auch. Dann bin ich fertig. Es kann jetzt vier Wochen dauern oder auch fünf. Bescheid bekomme ich im Netz. Draußen trifft mich die Tristesse eines Septemberregentages und der Trübsinn eines lange vernachlässigten Gebäudekomplexes, dem nun wieder aufgeholfen werden soll. An der Laterne hängt noch ein zuversichtliches Giffey-Plakat und unmittelbar darüber wie die Zusatz-Info eine Belehrung über den Vogelzug. Wann beim Vogel die Zugunruhe einsetzt, sei genetisch festgelegt. Was nicht passt, wird passend gemacht. Aber es passt ja irgendwie.