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Archive for the ‘On the Road’ Category

Der fliegende Teppich

(Marrakech 6)

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In the garden © ETh,FJK

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In den Souks: Gewürze

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Tausendundein Teppich

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Die Schlacht wird sich im Pavillon entscheiden

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Rot verliert

Ich sah vier Männer in einer Reihe mit dem Rücken zur belebten Straße. Der Abend war schon hereingebrochen, es wurde kühl, die Mopeds und Motorbikes knatterten noch um die Ecke. Es war einer unserer letzten Tage in Marrakech. Die Männer sanken auf die Knie und beteten. Ich weiß nicht, ob das Gebet ihnen Kraft gab oder ob es eine Pflicht für sie war, ob sie sich etwas wünschten oder erhofften. Es war jedenfalls ganz anders, als ich es einmal in Sagorsk bei Moskau erlebt  hatte, wo ich die Gläubigen, besonders Frauen, in einer religiöser Ekstase sah, die kein Mensch lange aushalten kann. 

Unsere Frauen waren in einem kleinen Laden verschwunden, sie suchten Gläser für Shortdrinks, ja, was nimmt man überhaupt mit, wenn man neun Tage in Marrakech war, außer den Fotos, die das Smartphone gemacht hat, und den Erinnerungen im Kopf, auf die man sich nicht wirklich verlassen kann. Ich hatte schon was. Mehrfach waren wir in den Souks an Handwerkern vorbeigegangen, die Schachfiguren schnitzten und drechselten, das war etwas, dachte ich, das ich mir kaufen könnte, das würde mich erinnern an Marrakech und das wimmelnde Leben in den Souks, aber dann kam mir unser Freund Mohamed zuvor und schenkte mir so ein Schachspiel. Ich hätte mir vielleicht noch das Emailschild „Storyteller“ kaufen können; aber es ist genug, es ist genug, was zu Hause rumliegt und Staub fängt.

Aber welche Frau kann in Marrakech Tausenden Teppichen vorbeigehen, ohne schwach zu werden! Es gab einige Gespräche in einigen Läden, die immer mit dem Satz endeten: Heute nicht, wir kommen wieder. 

Jetzt hab ich das Wort, das die Situation in den Souks für mich am ehesten beschreibt. Anarchie. Gelassene Anarchie. Die Bikes, die Kleintransporter, Touristen, Händler, Einheimische, Nähe, Ausweichen, Entschuldigen, Lachen. Das ungeregelte Leben funktioniert. Wir haben nicht einen Händler gesehen, der die Geduld verloren hätte. 

Als wir den Glauben an einen Teppich schon verloren hatten (Na und? Eigentlich brauchen wir nichts.) führte Mohamed uns in ein Teppichlager, etwas abseits der Souks. Das Besondere an diesem Lager war, dass der Teppichhändler im Hauptberuf Gefängniswärter ist, was man ihm nicht ansieht. Ein markanter Typ. Wie viele Marokkaner in ihren reifen Jahren echte Charakterköpfe kriegen; das scheint mit dem Leben in Marokko zu tun zu haben. Die Helfer des Händlers breiteten geduldig Teppich über Teppich aus, Teppiche mit grafischen, mit orientalischen Motiven, Tausendundeine Nacht, gemütliche, verspielte Muster. Viele hätte man nehmen können, aber so richtig abgefahren waren wir nicht. An der Wand hing einer, der wär’s gewesen, ein roter, orientalisch anmutender, aber der war zu klein. Wir vertagten uns. Am Abend schickte der Mann mit dem Doppelberuf das Foto eines Teppichs, der die richtigen Maße hatte, und der war’s, kein Zweifel mehr. Wie kriegt man den nach Hause? Wenn man ihn schickt oder aufgibt, wird’s gleich noch mal so teuer. 

Der Teppich wurde profimäßig zusammengelegt und verschnürt geliefert, und er passte genau in unseren Koffer. Eine Punktlandung, wie so vieles, was wir in Marrakech erlebten. Alles andere wurde in den Rucksack gequetscht. 

Mit dem gemieteten Dacia fuhren wir in den Jardin Bio-Aromatique d’Ourika. Da muss man sich anmelden und das Essen vorbestellen. Marokkanische Salate, Hähnchen-Spieße und Tajines in vielen Variationen. Es macht Spaß über Land zu fahren in Marokko, weil der Straßenrand so abwechslungsreich ist. Das ist ein Land, in dem man Geduld hat und Warten-können zu den Grundtugenden gehört. Das Tor öffnete sich. Die Katzen hatten erst mal nichts gegen unsere Anwesenheit. Wir besichtigten die Kräuterbeete, betätigten eine Mandelmühle und ließen uns in einem der Pavillons nieder. Das marokkanische Schachspiel wurde ausgepackt. Mohamed, der es mir geschenkt hatte und noch niemals Schach spielte, wollte gegen mich antreten, nachdem ich ihm die Regeln erläutert hatte. Ich hatte mich vorbereitet: Wie sind die Namen der Figuren im Englischen, wie sagt man für Decken oder Schützen, und dann ging’s los. Jule, die zuletzt vor vielleicht zwanzig Jahren Schach gespielt hatte, stand an Mohameds Seite. 

Wo kann man besser Schach spielen als im Pavillon eines orientalischen Gartens! Ich begann mit dem üblichen E 2 nach E 4. Mohamed spielte, als hätte er Becketts Murphy gelesen. Er machte nur kurze Züge, die er mehr oder weniger zurücknahm, so dass da eine kompakte Barrikade aus schwarzen Steinen entstand, an die ich unversehens meine Dame verlor. Ohne diese mächtige Figur zu spielen, macht mich resignativ. Immer, wenn ich versuchte, Mohamed eine Falle zu stellen, scheiterte ich daran, dass Jule aufpasste wie ein Schießhund und alle meine Versuche abschmetterte. So kam es, wie es kommen musste. Der alte Hase unterlag dem blutigen Anfänger und seiner hellwachen Helferin. Die eigene Tochter!, krächzte ich. Sie sprang auf und jubelte, während Mohamed den Sieg dezent genoss. Hatte ich ihm das Schachspiel vielleicht zu perfekt erklärt? Besser, als ich es selbst verstanden habe? Mohamed meinte, dass ich womöglich mit Absicht verloren hätte, um ihm eine Freude zu machen. No, Mister. Ich verliere nie absichtlich. Wer mit Absicht verliert, versteht den Sinn des Spiels nicht und beleidigt seinen Gegner. 

Es war der letzte Tag in Marrakech. Am nächsten Morgen stiegen wir um halb fünf in den Flieger. Der Teppich flog mit. Wobei man nicht weiß, ob so ein Teppich nicht selbständig fliegen könnte, wenn es sein müsste.  

Wie Brad Pitt einmal fast in Marrakech war

(Marrakech 5)

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Street Art und Elektrizität  © FJK, AR

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Erkundung der Medina

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Der Kunst entkommst du nicht

Ich habe in Marrakech keine Briefkästen gesehen und erst recht keinen Briefträger. Gibt’s in Marokko keine Post? Schreibt man sich keine Briefe, schickt man sich keine Päckchen? Vielleicht gibt’s das alles, aber eher unauffällig.

An einem jener Tage trafen wir Anja und Alex, die zufällig eben auch in Marrakech waren, im Club Med, einer exklusiven Sache. Sie spielten den ganzen Tag Tennis (was zu leichten Irritationen führte – Ehepaare, die auf Tennisbälle starren), oder sie schwammen ein paar Bahnen. 

Irritationen? Beim Tennis? Anja hatte sich einen Franzosen namens Jean Jacques als Doppelpartner erwählt, weil sie ihn irrtümlich für den leistungsstärksten Spieler hielt. Sie hätte ja auch mit Alex ein Doppel bilden können, ein Paar, jeder kennt die Stärken und Schwächen des anderen und außerdem … 

Was außerdem? Na ja, das hatte sie einfach nicht bedacht. 

Von Marrakech bekamen sie nicht viel mit. So kam es zu einer Art Tour durch die Stadt (www.marrakecharttour.com). Wann treffen sich Berliner schon mal in einer fremden Stadt und haben Zeit für einander! Ich erinnere mich, wie meine verehrte Kollegin Rosemarie Rehahn nahezu vor einem halben Jahrhundert über Egon Günthers Film „Die Schlüssel“ schrieb: Die fremde Stadt schärft die Sinne. In dem Film damals ging’s um Warschau. Hier nun Marrakech. Und es stimmt: Man denkt und fühlt anders in der fremden Stadt, ist wacher, unsicherer, offener. 

Die Art Tour unserer Guide will die Kreativität der Stadt zeigen. Street Art an Mauern und Wänden, minimalistisch, beiläufig, farbensatt, sinnlich, Europa und Afrika treffen sich an den Mauern. Unbekannte und prominente Streetart-Artisten von überall machen die Stadt zu einem Kunst-Ort. Unsere Guide ist Berlinerin und doch keine Fremde, alle Türen öffnen sich für sie. Wie hat sie das gemacht? Anrufen, klingeln, erzählen, was man sich vorstellt, englische Konversation, ein bisschen Darija (was nicht leicht zu lernen ist) und nach zwei, drei oder vier Jahren ist man in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund. 

Oft zeigt sich das Bild alter Mauern und verschlossener Tore. Wenn sie sich öffnen, triffst du auf paradiesische Zustände. Brunnen, Pools, grünen Innenhöfe, Gärten, elegante Salons, Dachterrassen, Galerien. Im BCK Art Riad heißt uns Alami, der Manager, willkommen, ein Mann im feinen Zwirn mit ebenso feiner Ironie. Das Riad ist ein Kunst-Hotel, könnte aber auch Galerie genannt werden. Ein Ort, um zu relaxen ebenso wie kreativ zu sein. Im TV läuft die Wiederholung das Spiels der U 17-WM in Thailand, ach nee, in Indonesien war’s, die jungen Marokkaner besiegen den Iran im Elfmeterschießen. Find ich gut, wenn vornehme Leute sich für Fußball interessieren. 

Alami verrät uns, dass er Historiker ist, Spezialgebiet Französische Revolution, wir stimmen die Marseillaise an (nicht wirklich). Alex hat es ihm angetan, Alami versucht seinen Beruf erraten, Buisiness-Man, nein, Writer, schon eher. Er erinnert Alami an einen amerikanischen Filmstar, Brad Pitt?, sagt Alex blitzschnell, nein nein, sagte Alami, ich komme noch drauf: Woody Allen! Der Kontrast könnte nicht größer sein, aber ja, eine Mischung aus Brad Pitt und Woody Allen könnte dem Kino weiterhelfen, und damit ist über die Kunstwerke in diesem besonderen Haus noch gar nichts gesagt. 

Die Paläste in Marrakech sind Oasen der Ruhe, des Friedens, der Kontemplation. Das Abenteuer ist draußen vor der Tür, das Abenteuer, die Abgase, der Lärm. 

Wieder in den Souks fragt Alex: Gefällt dir die Stadt, gefällt dir Marrakech? 

Das weiß ich noch nicht, sage ich. 

Die Stadt ist viel zu komplex, zu chaotisch, ich habe noch zu wenig von ihr verstanden. 

Und wieder sitzen wir auf einer Terrasse, dieses Mal der Terrasse des Chez Bimillah, schauen auf die Dächer von Marrakech; der Lärm aus den Souks erreicht uns kaum.

Wir sind erleichtert, dass uns nach all den Vorspeisen nur eine kleine Schüssel Couscous serviert wird; aber das ist nur für die Vegetarierin. Für die anderen gibt es einen Riesentopf, der letztlich ein Couscous-Trauma auslöst, wie wir es schon einmal vor Jahren in Tunesien erlebt haben. 

Am Abend warten wir am großen Platz auf den Transfer, der Anja und Alex zurück zum Club Med bringen wird. Andere Gäste kommen des Clubs trudeln ein, etwas erschöpft, etwas ratlos. Die Erkundung der Medina von Marrakech ist etwas anderes als ein Tennis-Match.

Die Katzen, der Garten, der große Platz

Dezember 12, 2023 3 Kommentare

(Marrakech 4)

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Ein letztes Highlight von Anima © FJK, ETh, JuTh, Corinna Fricke

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Stellvertretend für alle Katzen von Marrakech

Katzen finden sich überall in Marrakech.  Sie sind manchmal kaum größer als eine Maus und dünn wie ein Bindfaden. Sie können auch fett, selbstgefällig und phlegmatisch sein. Wenn es mal rummst in unserem Riad, dann kann das eine Katze sein, die aufs Schiebedach der Terrasse geplumpst ist. Die Katzen von Marrakech bilden eine Parallelgesellschaft; sie kümmern sich nicht um die Bürger, und die Bürger kümmern sich nicht um sie. Die Katzen betteln nicht, sie schmiegen sich nicht an deine Hosenbeine; sie leben von dem, was auf der Straße liegt, von den Resten, die fallengelassen werden. Die Stadt, der Lärm, der Müll.

Anders die Katzen, die sich in die exklusiven Resorts gemogelt haben. Im Garten der aromatischen Kräuter (Jardin Bio-Aromatique d’ Ourika) haben uns zwei Katzen regelrecht angebrüllt. Sie waren empört, dass wir uns an den gedeckten Tisch gesetzt hatten, ohne sie einzuladen. Reden wir da jetzt über schlechte Beispiele, die Schule machen?

Einen Stadtplan von Marrakech haben wir nicht gesehen. Auch nach acht Tagen Hin-und Herlaufen haben wir die Topographie der Stadt nicht mal im Ansatz begriffen. Wenn wir Emilia nicht gehabt hätten, unsren Guide, hätten wir uns gefühlt wie Hänsel und Gretel, die keine Chance hatten, den Weg nach Haus zu finden. Der einzige Orientierungspunkt war der Djemaa el-Fna, der Große Platz mit der Großen Moschee. Von dort fuhr der Kleinbus zum Anima-Garten. Und abends wieder zurück. Vom Großen Platz hätten wir mit Glück und Google Maps vielleicht den Weg nach Haus gefunden.

Wenn du aus der Stadt rausfährst, südwärts, Richtung Atlas-Gebirge, bist du beschäftigt mit dem, was an den Straßenrändern passiert. Da werden Paläste gebaut, Villen, Hotels, Wohnblocks. Mit der gedrängten Fülle der Medina hat das nichts zu tun. Neue Bauten, anderes Lebensgefühl, mehr Europa. Weiter draußen Baumschulen. Interessant, wie die Gärtner ihre Gehölze formen. Dörfer und kleine Märkte. Staubige Fußballplätze für die nachrückenden Generationen. Die Landschaft, nein, der Straßenrand. läuft ab wie ein Film. Unvermittelt Töpfer, Korbflechter und Teppichweber, die ihre Waren vorzeigen. Riesige Krüge, enorme Körbe, farbenfrohe Teppiche. Weit ab von einer Ansiedlung wie verloren ein Mann, ein Kind, eine Frau, ein Paar in der Sonne, wie kommen die wieder nach Hause. Der Verkehr flutet vorüber. Die zwei Unfälle, die wir in diesen Tagen sehen, ereignen sich auch hier, auf der Chaussee. Es sind immer die Motorbikes, die sich in die Quere kommen. Ein Fahrer hockt benommen auf einem Stein und weiß nicht, was werden soll. Die Zeit steht still. 

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In the Garden

Wer war André Heller, fragte André Heller schon am Anfang seiner Karriere. Damals war er ein Liedermacher, der tiefer und furchtloser in die Metaphern- und Gefühlskiste griff als alle anderen. An ihm schieden sich die Geister, viele hielten ihn für einen Kitsch-Apostel, aber er ist eben ein Wiener und Weltkulturbürger; sein Witz verbirgt sich im Dschungel großer Emotionen, wir haben ihn immer gemocht, Verheugen und ich; und hier, eine knappe Autostunde von Marrakech, hat er Anima geschaffen, den magischen Garten, wo noch vor fünfzehn Jahren nichts war außer fruchtbarem Boden. Heller und sein Team haben Berührungen zwischen Natur und Kunst hergestellt, eine Landschaft gestaltet, die einmalig ist. Man kann ja sagen, dass die Natur der Ergänzung durch die Kunst (hier Picasso, Keith Haring, Igor Mitoraj, Auguste Rodin und andere) nicht bedarf, aber wir fühlen uns wohl in diesem afrikanischen Garten, in dem man lustwandeln, sich ausruhen, staunen und immer wieder einen weiteren Einfall bewundern kann, der Zivilisation entrückt. Hier windet sich ein kleiner Fluß durch den Dschungel, da sehen Baumstämme wie Ringelsöckchen aus, über dir wacht freundlich ein Paar blaue Augen. Du kannst dich als Denker neben Auguste Rodins Denker fotografieren lassen. Am Horizont die Gipfel des Atlas.

Und dann tritt in meiner Phantasie André Heller aus seinem Refugium und lässt es sich nicht nehmen, einige seiner schönsten Lieder für uns zu singen. Bei einigen kann ich sogar einstimmen, was Heller sich höflich verbittet. Er hat ja recht, und ein Wunder wär’s gewesen, wenn es wirklich passiert wäre. 

Wir fahren beseelt zurück. Am Straßenrand wieder der Film, dem man ewig zusehen kann. Am Ende landen wir auf dem Djemaa el-Fna. Als Heller nach drei Jahrzehnten wieder ein Album einspielte, war er stark von Marokko geprägt, da gibt es auch ein Lied, das „Marrakkech“ heißt: “Der große Platz Djemaa el-Fna /wo alles traumbeladen scheint / und sich zum Klang der Berberflöten die Kobras schräg wie Schilfrohr biegen …“

Am Abend beginnt das Leben noch mal richtig auf diesem Platz, während die Sonne hinter der großen Moschee im Untergang begriffen ist. Heller ist ein Mann der Überfülle, und Djemaa el-Fna ist ein Ort der Überfülle, Zauberer, Wahrsagerinnen, Künstler, Köche, Geschichtenerzähler, Tänzer. Für uns ist es wirklich traumhaft; für die Einheimischen vermutlich eher das wahre Leben nach dem erhitzen Tag.

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Abend auf dem Großen Platz Djemaa el-Fna

Die Bremer Stadtmusikanten von Marrakech

(Marrakech 3)

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Fahrräder – mehr als eine Werkstatt © FJK, ETh, Mohi

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Issam, Manager der Fahrräder. Zufällig hatte ich wieder das richtige T-Shirt an

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Habibs Aliens

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Wo man den Koran studiert

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Jarjeer, Donkey Refuge oder Gnadenhof

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Lebensabend eines alten Esels

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Am Stausee

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In Tameslouht, dem denkwürdigen Dorf

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Wie man Olivenöl presst

In Marrakech lebten wir ganz anders als in Berlin. Kein Radio, kein fern, kein Kochen, wenig Alkohol. Ich hatte meinen kleinen Flachmann dabei, den mir Verheugen vor langer Zeit geschenkt hatte, Dinge, die ein Mann eben braucht, ein Taschenmesser oder ein Leatherman (oder beides), ein Notizbuch. Das wurde eine Punktlandung. Jeden Abend ein Mini-Schlaftrunk und am Ende unserer Tage in Marrakech war der Flachmann leer. 

Unentwegt waren wir unterwegs. Gärten, Paläste, Museen, Galerien, Ateliers, Werkstätten, ein Gnadenhof, ein Stausee, ein Dorf. Wir aßen meistens auf Terrassen, Tajine, Wraps, Couscous, manchmal reichte ’ne Portion Pommes. 

Am Abend sahen die Frauen auf ihr Handy und sagten: 17000 Schritte. Dreitausend mehr als gestern. 

Der Tag war sinnvoll. 

Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Das ist von Ludwig Wittgenstein. Aber von dem kann ich es nicht haben. Ingeborg Bachmann hatte den Satz aufgegriffen, und er gilt, sowohl im philosophischen, im poetischen als auch in einem trivialen Sinn. Mein Englisch war eingetrocknet auf eine ziemlich spezielle Art. Ich konnte Eric Hobsbawm’s „Age of Extremes“ lesen, aber über die einfachen Dinge des Lebens nicht reden, während Andreas Französisch aufblühte. Es lag vielleicht auch an einer leichten Schwerhörigkeit meinerseits (oder einer schweren Leichthörigkeit, wer weiß das schon). Vielleicht auch daran, dass in der Realität keine deutschen Untertitel laufen.

Wir konnten dem Fahrer, der uns zu André Hellers Anima-Garten fuhr, sagen, was für ein guter und vorausschauender Driver er ist. Wir bewunderten Issam, den Manager des Pikala-Bike-Ateliers. Nach der Idee einer Niederländerin möbeln sie da alte Fahrräder auf, machen aus manchen kleine Kunstwerke, sie bringen den Marokkanern, die aus den Bergdörfern zum Studium nach Marrakech kommen, das Fahren bei; sie fahren Essen aus. Issam war so heiter, so aktiv, so innovativ, immer auf der Suche nach Ideen. Wir haben den Maler Habib Kibari in seinem Atelier in der Neustadt besucht und seine Serie „Aliens“ in Augenschein genommen. Menschen im Zeitalter von Social Media. Die Augen dieser Aliens! In Tameslouht, einem vom Erdbeben heimgesuchten Dorf, haben wir zugesehen, wie die Arbeiter Olivenöl pressen. Die Leute sahen uns, die Fremden, an, und es war klar, sie wollten nichts weiter, als ein bisschen Freundlichkeit erfahren, und die gaben sie gerne zurück. Ein Mann in roter Alarmkleidung raste mit einem Fahrrad ohne Bremsen durch die Straßen, um zu zeigen, dass er jeden Crash vermeiden konnte. Im Café Clock hörten wir den Geschichten der Märchenerzähler zu, wir sahen, wie sie die Zuhörer einbezogen und aktuelle Bezüge einbauten. Wir ließen uns von Charles und Susan, Engländern, die wahre Geschichte erzählen, wie sie, ein ganzes Stück von Marrakech entfernt, ein  Stück Land kauften, um das zu tun, was alle in der Lage tun, Hotels darauf zu bauen. Aber dann wurden sie auf ausgesetzte Tiere aufmerksam, Esel, Pferde, Hunde, altersschwach und krank, die Bremer Stadtmusikanten von Marrakech, und so machten sie aus ihrem Land Jarjeer, einen Gnadenhof, wozu viel Geld, Hingabe und Logistik nötig ist. Wir sahen die Balancierübungen einer strammen Influencerin auf der Umrandung eines Wasserbeckens in der Koranschule, aufgenommen von ihrer Mutter vermutlich und demnächst irgendwo im Netz, völlig abwegig an diesem Ort, wenn man nur einmal in die kargen Studier-Kammern der Koranschüler geblickt hat. 

Ach, Canetti! „Die Stimmen von Marrakech“. Canetti, du hattest es besser. „Ich habe während der Wochen, die ich in Marokko verbrachte weder Arabisch noch eine der Berbersprachen zu erlernen versucht. Ich wollte nichts von der Kraft der fremdartigen Rufe verlieren.“ Das klingt vermessen, aber ich muss zugeben, dass ich selbst bei Rocksongs nie dem englischen Text nachgegangen bin. Das, was ich mir beim Hören vorstellte, war, wie ich dachte, viel bunter, viel größer als das, was tatsächlich ausgedrückt wurde.

Aber die Geschichten der Menschen von Marrakech hätte ich gern in allen Tiefen und Untiefen verstanden. Nun weiß ich immerhin, da ist doch eine Vielfalt menschlicher Erfahrung, die ich mir nicht erträumen kann.

In den Souks

Dezember 3, 2023 2 Kommentare

(Marrakech 2)

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Als ich Hakimi war © ETh, FJK

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Vor der Schlacht

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Nette Ecke

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Universum der Schilder

Unser Riad, das Haus wo wir wohnen, heißt The Gardens. Es liegt unweit eines lebhaften Parkplatzes, dann geht’s durch eine Straße, an deren Anfang ein Metzger mächtige Fleischseiten aufgehängt hat (die Vegetarier schütteln sich), es folgen zwei kleine Läden für alles, was man so braucht, dann biegen wir links in eine schmutzige Gasse ein, landen vor einer Tür, die eher zu einer Werkstatt führen könnte. Wo sind wir denn hier hingeraten, denke ich, das wird hart. Und dann platze ich heraus: Das ist aber schön! Das Haus ist um einen Innenhof herum gebaut. Unten haben wir einen kleinen Salon. Küche, Zimmer, Bad. Von der Galerie im ersten Stock gehen zwei Zimmer und das Bad ab. Und dann geht’s noch mal ’ne Treppe hoch, zur Dachterrasse, zu ihren Füßen das durchsichtige Schiebedach. Wir sehen hinunter auf einen Park. Am Ende unserer Zeit in Marrakech werden wir sagen, dass wir viel zu wenig Zeit auf der Terrasse verbracht haben. Die Zimmer haben keine Fenster nach draußen. Man hat sich vor Sonne, Lärm und Dreck zu schützen. Die Treppen sind steinerne Stiegen, die Abstände unregelmäßig, die Warnung Caution: Watch your Steps, ist mehr als angebracht, Watch your Head, muss noch hinzugefügt werden; denn da taucht über dir immer mal unvermittelt eine Zwischendecke auf. 

Wenn ich die Architekten Marrakechs, jedenfalls die der Altstadt, richtig verstehe, haben sie keinen Wert auf äußere Pracht gelegt. Ein Haus hat seine Schönheit, seine Zweckmäßigkeit, seine Charme innen zu entfalten. Das ist ein Prinzip, mit dem ich gut leben kann. Im Haus lebt man hier immer auch mindestens halb draußen, in Sonne und Luft. Marrakech ist nicht nur eine Katzen-, sondern auch eine Terrassenstadt.

Es sind 28 Grad, wir sind unterwegs zu den Souks, von denen wir viel gehört haben. Was aber sind die Souks? Die Souks, werden wir sehen, sind unerschöpflich und labyrinthisch. Sie bilden das Wirtschafts- und Geschäftszentrum einer orientalischen Stadt. Lange Schneisen, meist überdacht mit Lattenrosten oder gelben Plastikplatten, bergen zu beiden Seiten Gelasse, in denen die Händler inmitten all ihrer Waren sitzen. Die Überfülle der Überfülle der Überfülle. Du hast Geschrei erwartet, Hektik – ist aber nicht. Es gibt charmante Einladungen, keinen Kampf, keine Nötigung. Das Absurde ist der Verkehr, der sich durch diese Gassen schiebt. Autos, Fahrräder. Motorbikes, Mopeds, Phantasiefahrzeuge. Und die Fußgänger natürlich, die sich möglichst nah am rechten Rand halten. Walk on the right side. Es ist unmöglich, dass sich all das aneinander vorbeizwängen kann. Und doch fließt es. Es wird gehupt, geknattert, gerufen. Der Verkehr in den Souks läuft regellos; er funktioniert, weil alle jederzeit geistesgegenwärtig und reaktionsschnell, gewandt und furchtlos sind und ihren Instinkten trauen. Streit und Handgreiflichkeiten kommen nicht vor; Unfälle haben wir nicht gesehen, niemand liegt am Boden. Diese Dynamik ist nicht durch Fotos und Filme vermittelbar. Sie ist nur live erlebbar. Was zur Wahrheit dazugehört: Dieser Fuhrpark ist letztlich Schrott, der in China und Europa nicht mehr gebraucht und nach Afrika verkauft wird, wo er für massenhafte individuelle Mobilität und Abgase sorgt. Eine entkarbonisierte Welt ist nicht vorstellbar.

Ich habe gesehen, wie die Händler in ihren Gelassen Schachfiguren schnitzten oder mit einem rotierenden Faden Rillen ins Holz schnürten. Das Handwerk blüht. Tischler, Holzschnitzer, Teppichweber, Keramiker, Töpfer, Seiler, Zeichner und Maler, Korpusgürtler, Gestalter. Wer etwas kaufen will, lässt sich Zeit, der Verkäufer ebenso. Kann sein, dass du den Händler halbierst, aber leicht ist das nicht. Du brauchst Nerven und Charme.

Es war der Tag, an dem ich Hakimi war. Wir erinnern uns an die traumhaften Auftritte der marokkanischen Fußballnationalmannschaft zur WM in Qatar. Seitdem besitze ich ein Trikot von Hakimi, dem stürmischen rechten Verteidiger, ich habe auch eines von Bono, dem lachenden Torwart, der mir fast noch lieber ist. Hakimi habe ich schon im Blick, seitdem er, damals noch als Leihspieler von Real Madrid, beim BVB in Dortmund spielte, wo er gern ein Extrator schoss (Nina Hagen). „Wir“ hätten ihn gern behalten. Aber das war nicht darstellbar, er zog weiter zu Inter nach Mailand und nach Paris zu Saint Germain. An diesem Tag in den Souks trug ich das rote Hakimi-Trikot mit seiner Nummer 2. „Hakimi!“, riefen die Marokkaner, „Hakimi!“, wir klatschten uns ab und waren eine Familie. Die Leute mögen es, wenn man ihre Helden auch anderswo verehrt. Kulturelle Aneignung hat keine Chance, körperkulturelle Aneignung auch nicht. Kultur ist immer universal, gehört allen. 

Traumsequenzen

(Marrakech I)

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Gleichzeitig in und über der Stadt ©FJK

Berlin empfing uns mit Frost und Schnee. Wir kamen aus dem sonnigen Marrakech und zwanzig Grad plus. Die wieder erreichte Heimatstadt war ein Alptraum, aber nicht nur. Da war der Taxifahrer, der leise auf Klassikradio gestellt hatte (beruhigt eure Nerven) und uns von seiner Zeit als Stahlbauschlosser erzählte, als es noch keine Ewigkeitsbaustellen gab, wie wir sie heute nur noch kennen. Sie machten massig Überstunden und verdienten schweres Geld. Inzwischen hatte er die Flughafenlizenz für Taxifahrer aus dem Land Brandenburg, umfuhr sicher alle Baustellen, trug uns die Koffer und Rucksäcke bis vor die Tür und war ein ausgeglichener Mann.

*

Wenn du um sechs aufgestanden und durch die Rituale der Flughäfen gegangen bist, die Kontrollen, die Überprüfungen, das Warten, die unverwandten Blicke, die Unmengen von Whisky im Duty Free, Duftexplosionen, die Lufträume zwischen Afrika und Europa, die Passagiere (auch du) mit ihren (auch deinen) Marotten, bist du in eine Zwischenwelt versetzt…

*

War es nicht auch eine Traumsequenz, wie wir am ersten Abend in Marrakech durch die fremde Stadt zum Restaurant Limoni gingen? Die Stadt der Katzen. Häuser, wie aus Lehm gebaut. Gesichter, die aus dem Dunkel auftauchen. Ausgestreckte Hände. Kinder, die vor den Häusern hocken und etwas zu verkaufen suchen. Mopeds, die an dir vorbeiknattern. Der Verkehr, der niemals schläft. Die durch Horror-Lautsprecher verzerrte Stimme des Muezzin (der strafende Gott). Männer in weiten Gewändern, auf dem Pflaster sitzend, Spielkarten in die Mitte werfend. Plätze und Straßen, die sich zu Gassen verengen. Die Grenze von Außen und Innen ist vage, löst sich auf. Traumhäuser tauchen auf. Einige hundert Gäste könnten im Limoni Platz finden. Die wenigen an ihren Tischen Sitzenden sind eher Filmgestalten. Bäume im Gastraum, in der Zwischen-Etage. Wir gehen auf die Dachterrasse, ein Blick über die funkelnde Altstadt. Du erinnerst dich an Träume, in denen es auch so aussah, an Träume, in denen du durch fremde oder unbekannte Städte gingest und etwas finden wolltest, das du noch nicht kanntest, etwas Verheißungsvolles, was sich als unmöglich erwies. Du isst eine Tajine Royale, und alles ist real, auch wenn du es nicht glauben magst. Jede Gasse scheint im Nichts zu enden und führt doch in dein Zuhause für ein paar Tage. Allein würdest du es nicht finden. Du bist hier fremd.