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Archive for Juli 2020

Von der Verbotskultur

Ich esse mein Eis, wo ich will
© FJK

Die Seuche hat Vater Staat Gelegenheit gegeben, streng zu sein. Keine Partys feiern, Abstand halten, keine Fans im Stadion. Die Bürger bringt die Verbotskultur auf Ideen. Warum soll der Staat neben dem Gewaltmonopol auch das Verbotsmonopol besitzen. Da geh ich an den PC und setze ein Schild ab. Bitte! Hier kein Eis essen Weitergehen! Stimmt. In der Nähe ist eine beliebte Eisdiele. Wir reden schon vom Prinzen-Eis-Tourismus (denn wir leben hier im sogenannten Prinzen-Viertel). Das Schild beinhaltet eine Bitte und einen Befehl: weitergehen! (Schöner wäre: Schleich di!)

Was ist so schlimm daran, wenn die Leute vor meinem Zaun Eis essen? Schmatzen sie? Schwatzen sie? Immerhin dehne ich meinen Einflussbereich durch ein solches Schild über die Grundstücksgrenzen hinaus aus. Das gibt mir schon mal ein kleines Machtgefühl. Andere Schildermacher haben Angst um ihre Zäune. Die könnte zusammenbrechen, wenn man da Fahrräder abstellt.

Aktion und Reaktion

Zwischen Wäldchen und Kleingartensparte, wo wir ab und zu trotz Wind und Wetter Tischtenns spielen, lag ein umgestürzter Baumstamm. Das war sozusagen unsere Zuschauertraverse. Die Zuschauer spielten Schiedsrichter und tranken Bier. In der Spitzenzeit der Seuche, als die Leute nicht wussten wohin, haben sie hier Tag und Nacht ihre kleinen verbotenen Partys gefeiert. Der Lärm, das ganze Theater ging den Kleingärtnern auf die Nerven. Sie haben kein Verbotsschild geschrieben, sondern den Stamm zersägt und verschwinden lassen. Ich weiß nicht, was besser ist. Realistischer sind die Kleingärtner.

Aber die Dörfer schweigen

Ländliche Schönheit
© JuT

Wir fahren durch die Ofenstadt Velten … Wollen Verwandte besuchen, deshalb. Mal wieder für einige Zeit im Auto sitzen. Berliner Baugeschehen. Stockender Verkehr. Autobahn. Es scheint kein Ende zunehmen, wenn man das Autofahren nicht mehr gewöhnt ist. Die Erinnerung an all die Jahre, in denen man oft im Auto saß. Runter zur Ostsee oder zum Klassentreffen in die Heimatstadt, nach Halle und in den Wörlitzer Park. Fahrten, die kein Ende zu nehmen schienen. Aus heutiger Sicht. Und aus heutiger Sicht stelle ich fest: Ich mag die Autobahn nicht. Der Ewigkeits-Faktor, die Staus, die Raser („Spendernieren”), Pannen und Unfälle. Lieber Landstraßen. Straßendörfer. Wie mögen die Leute in diesen Dörfern leben. Hier und da ein Baumarkt, eine Gärtnerei. Es ist Hedwig-Bollhagen-Gebiet. Ein Hedwig Bollhagen-Gymnasium. Hedwig-Bollhagen-Museum. Ehrenbürgerin. Die Werkstatt gibt es auch noch. Aber die Dörfer schweigen. Die Fenster sind geschlossen. Keine Leute auf den Steigen. Ein Bürgerhaus, wenn man so will, aber keine Bürger. Nirgendwo lässt sich ein Zentrum erahnen. Frische Pfifferlinge, frische Knubber-Kirschen und noch irgendwas Frisches am Straßenrand. Der Sport-Verein Eintracht, der natürlich auch schlummert während der Seuche.

Onkel und Tante haben vor vierzig Jahren ein Waldgrundstück gepachtet. Gerodet, gepflanzt, gesät und erst halb, dann ganz legal gebaut. Was alles möglich ist, wenn man die Nerven, die Ausdauer und goldene Hände hat. Die Tante wollte öfter mal fliehen vor dem Bau- und Rechts-Stress. Dreiviertel eines Menschenlebens frisst das Grundstück auf. Jetzt ist alles im Lot. Fehlt da nichts was? Der Problembewältiger ohne Probleme?

Rückfahrt. Die schweigenden Dörfer. Und noch mal die Autobahn. Die würde uns auf jeden Fall nicht fehlen.

Bei Rosa und Neo gab’s Braten

Bietet sich als Hintergrund für ein Neo-Bild an. Steht aber in Berlin an der Spree
© FJK

Auf Arte ein Film über Neo Rauch von Nicola Graef. Es beginnt im Atelier. Das Aufstellen einer großformatigen Leinwand. Sieht holprig aus. Neo Rauch tritt hinter der Leinwand hervor und sagt: Slapstick. Vor fünf Jahren hätte ich das mit links gemacht, zwei auf einmal.

Er ist Jahrgang 1960. Seine Eltern kamen bei einem Zugunglück ums Leben, da war er wenige Wochen alt war. Der in Leipzig geborene wuchs bei den Großeltern in Aschersleben auf. Zum Studium ging er zurück nach Leipzig.

Ein Film von 2016. Kein Problem. Gute Filme altern nicht. Ich weiß um den Weltruhm Neo Rauchs und empfinde Distanz zu seinen Bildern, hatte ein Mittelaltergefühl, dachte an Märchensequenzen. Der Film ändert das. Der Maler, wie er vom Wiederholungsekel spricht, von dem er sich befreien muss, der Maler, wie er sein Bild entwickelt, wie er die Pinsel in den großen Handschuhen hält, wie er seinem Hund (Smylla) das Futter hinstellt – zu diesem Mann in seiner Welt stellen sich Verbindungen her. Die Bilder kriegen mich durch die Fragen, die sie in mir auslösen: Was sind das für seltsame Menschen, was stellen sie da an, was haben sie für Instrumente in den Händen, in welchen Beziehungen stehen sie zueinander, was haben sie überhaupt miteinander zu tun, warum wirken sie so abwesend. Am nächsten komme ich Neo Rauch in dem Bild, in dem er seine Eltern malt. Eine junge Frau, ein junger Mann, der einen ebenso jungen Mann behütend in den Armen hält. Der vierte im Bild, der Beobachter, ist ein Mann mit einem hohen spitzen Schädel, der Stellwerksarbeiter, der die verhängnisvolle Entscheidung traf, die zum Tod der Eltern führte. Das ist der dunkle Film, der Neo Rauchs Leben bis heute grundiert. Sein Sohn ist so alt wie seine Eltern bei dem Zugunglück.

So stellt sich Nähe her durch die Gestalten, die Neo Rauch schafft. Sie sind zunächst imaginär, ihre Konturen ergeben sich beim Machen, der Maler erlebt sich als Schöpfer von Charakteren. Die Figuren verfolgen ihn nachts, rütteln an seinem Bett, verspotten ihn. Er legt sie kontemplativ, versonnen an, somnambul nahezu, sie sind zögerlich in der Interaktion. Schlafwandler, sagt die Filmemacherin, ja, Schlafwandler, bestätigt der Maler. Auch er antwortet mit schlafwandlerischer Sicherheit, spricht unverbrauchte Worte, trifft immer einen Kern. Rührend die linksseitige Stirnlocke, die der Friseur leicht eliminieren könnte, der Kopf wäre dann noch markanter, aber sie bleibt, ist immer da und gibt Neo Rauch ebenfalls etwas Schlafwandlerisches. Schlafwandler ist überhaupt ein Schlüsselwort. Seine Gestalten sind nicht wirklich wach und damit umso unbeeinflussbarer.

Der Film zeigt Rauchs Galeristen und Sammler in Amerika, Südkorea und Italien. Der Erfolg des Malers ist wohl auch für ihn irritierend, ein Traum. Dass die Sammler ins Spiel kommen, ist ein großer Pluspunkt. Sie führen durch ihre Villen, zeigen mit Stolz und Freude die gekauften Werke und erklären, was sie in ihnen auslösen. Sie schätzen das Deutsche in diesen Bildern und glauben in ihnen die Gründe für den Untergang der ostdeutschen Gesellschaft zu erkennen. Die Kälte der Autokraten. Die ewig erfolgreichen, semisympathischen Deutschen – hier sind sie einmal untergegangen, haben sie versagt. Aufschlussreich zu sehen. In Los Angeles sagen die Besucher beinah ehrfürchtig: „Da oben ist auch ein bisschen Kommunismus.” Die Deutungen sind von Vorurteilen begleitet, in Italien, in Südkorea und in Deutschland natürlich ist man behutsamer und gar nicht darauf erpicht, Rauchs Rätselbilder entschlüsseln zu wollen, was aussichtslos wäre, aber etwas schlafwandlerisch könnten wir schon gelebt haben in der DDR.

Der Erfolg Neo Rauchs ist auch der Erfolg seines Leipziger Galeristen Judy Lybke. Die Freundschaft reicht zurück in die Leipziger Anfänge, hat zunächst mit Kunst nur am Rand zu tun. „Ich konnte nicht kochen, aber ich hatte trotzdem Hunger”, sagt Judy Lybke. „Rosa und Neo konnten kochen. Da ging ich sonntags immer vorbei. Da gab’s Braten.”

Lybke ist in kleinen wie in großen Dingen schlau. Von ihm geht dieselbe Ruhe aus wie von Neo Rauch und wie auch von Rauchs Frau, der Malerin Rosa Loy. Diese wissende, viel sagende Ruhe bestimmt die Interaktion zwischen ihnen. Wir spüren das andere Zeitgefühl der Maler. Wenn sie arbeiten, scheint die Zeit zu stehen, und wenn sie auf die Uhr schauen, sind Stunden vergangen.

Rosa Loy fixiert das neue Bild ihres Mannes. Eines der zahlreichen Glanzlichter des Films. Sieht doch gut aus, sagt sie, und dann wird’s detailreich.

„Du kannst seine hintere Wade noch zierlicher gestalten … Und die haben alle noch keine richtigen Ohren.”

„Ohren sind Mangelware.”

„Du könntest der einen Perlenohrring machen, das würde passen.”

„Stimmt.”

„Ein leichtes Bild.”

„Leicht?”, wundert sich Rauch.

„Hat was Leichtes.”

„Von deinen Leinwänden wandern zunehmend junge Frauen zu mir rüber”, sagt Neo.

Rosa wundert sich. Immerhin: „Die Knie sind echt schlanker geworden. Vor zehn Jahren waren die runder.”

Wir kommen zu den Märchen. Der Maler ist wie der Reisende, dem der Fährmann das Ruder in die Hand gedrückt hat. Er kann nicht mehr aufhören, auch eine Pause generiert nur Überflüssigkeitsgefühle.

„Wer bin ich denn, wenn ich nicht male! Das geht doch auch nicht.”

Warum hängt Neo Rauch an Leipzig, an Aschersleben?

„Ich möchte einfach nirgends der Fremde sein.”

Ja. Ist er nicht der Maler, der die Fremdheit malt?

 

Kategorien:Contemporary Art

Eine so gute wie überraschende Idee

Elke Erbs Bücher sahen immer besonders aus und waren auch besonders

Elke Erb bekommt den Büchner-Preis. Das West-Feuilleton weiß genau über sie bescheid. Elke Erb lebte in der DDR. Es fällt das Wort innere Emigration. Der Übergang in den Westen sei ihr mühelos gelungen. Soll heißen: Sie war schon immer Westen.

Vier Bücher stehen in unseren Regalen. Sie erschienen immer mit Nachbemerkungen, die erklären sollten, dass Elke Erbs Texte anders waren, aber große Literatur. Sarah Kirsch meinte, dass ein überragendes Buch keines Nachworts bedürfe. Schrieb aber trotzdem die Minivariante eines solchen. Die Frage, die steht, ist diese: Ist Elke Erb hermetisch? Obwohl die Texte einfach aussehen? Aber wir nicht wissen, was sie bedeuten? Im Band „Kastanienallee” übernahm die Dichterin das Nach-worten selbst. Kastanienallee, Untertitel: Texte und Kommentare. In einem Text („Sie hat braune Augen”) steht der Satz: „Wann sagt ein Satz, was er sagt?” Gute Frage. Es geht nicht darum, Elke Erb zu verstehen, sondern die Sätze zu verstehen. In der Akademie der Künste am Hanseatenweg habe ich einmal neben ihr gesessen und weiß: Sie ist überhaupt nicht hermetisch. Sie amüsierte sich über das, was auf dem Podium gesagt wurde und gab sich dabei naiv. Sie, die schwer Verständliche, tat so, als verstünde sie das ewig gleiche Dahergesagte nicht.

Muss Elke Erb in der DDR systemkritisch gewesen sein, damit sie jetzt (dreißig Jahre danach), den Büchner-Preis erhalten darf? Weiß ich nicht. Sie oder besser ihre Texte waren eher unzugänglich und undurchschaubar. Ob das System sie überhaupt interessiert hat (und interessiert), halte ich für fraglich. Sie interessierte sich für Naheliegendes, für Gegenstände, Situationen, Sätze. Ein Schlaglicht auf Elke Erb wirft eine Zeile aus „Unbildbetrachtung”: „Ich verstehe schnell aus Mangel an Geduld.” Wer ihren Humor nicht versteht, hat wenig Chancen, überhaupt etwas von ihr zu verstehen.

Eins aber weiß ich sicher: Wir freuen uns hier, dass Elke Erb den Büchner-Preis erhält.

Nur das Beste für Sie!

Man versucht, die Zeichen zu deuten. Ist wohl sinnlos.
© FJK

Es grenzt an ein Wunder, dass ich mitten im Ersatzverkehr pünktlich an unseren Treffpunkt komme, aber mein Saufkumpan, der gleich um die Ecke wohnt, verspätet sich. Der typische Großstadt-Flaneur, keine Eile.

Die Kellnerin hat Schichtschluss, die Ablösung ist doppelt fröhlich. Wir verweigern feste Nahrung und nehmen das Kindl-Bier. Es ist eine Berliner Kneipe in Mitte, der Biergarten in Hof-Lage. Unter diesen quadratischen Sonnenschirmen haben wir mal bei strömendem Regen und Gewitter ausgeharrt. Jetzt halten wir bei laufender Pandemie aus. Verheugen ist sich seiner Existenz als Angehöriger der Risikogruppe bewusst. Er weiß fast alles über die Seuche und auch alles, was wir nicht wissen können. Er hat seine Favoriten unter den Virologen.

Bemerkenswert, dass in dieser Hof-Lage vorwiegend Touristen landen, Baden-Württemberg und Bayern; der Mann trinkt Berliner Weiße mit Schuss (Waldmeister), die Frau Hefeweizen. Es schmeckt ihnen auch das Berliner Essen, was nicht selbstverständlich ist. Sie sind also gar nicht voreingenommen gegen Berlin, noch nicht mal gegen Ost-Berlin.

Wir haben die vorübergehenden Passanten im Blick, und plötzlich, beim vierten Bier und fünf Männern im Gänsemarsch, werde ich stutzig: Ist das nicht …? Verheugen dreht sich um und jubelt: Jaaah! Herr Spahn! Nur das Beste für Sie!

Herr Spahn lächelt überrascht und diskret zurück. Offensichtlich genießt er den Rückhalt in der Bevölkerung. Die Kellnerin ist weniger überrascht. Der Minister treibt hier öfter mal Sport, in einem kleinen Fitness Center.

Verheugen hat schon viele Politiker gesprochen. Er hat: Kopf hoch, Genosse Krenz!, gesagt und gefragt: Haben wir verloren, Genosse Modrow?

Die waren ja alle entmachtet, sage ich, da hast du dich jetzt erheblich gesteigert.

Für Menschen wie mich ist Macht eher irrelevant, wiegelt Verheugen ab, aber die Begegnung mit dem Gesundheitsminister mitten in der Pandemie hat doch einen besonderen Stellenwert. Auch ich finde ermutigend, dass er seine eigene Gesundheit in dem Stress nicht vernachlässigt.