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Archive for the ‘Fatalisten’ Category

Die Wahl fiel auf ihn

Clean old town

Clean old town

Es hatte, fällt mir im nachhinein ein, etwas Schicksalhaftes, dass unser alter Schulkamerad Heini Steiger zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten eingeladen wurde und dort auch ein paar unbekümmerte Worte mit der Kanzlerin wechselte. Einen ähnlichen Vorfall gab’s schon mal, vor vielleicht 55 Jahren. In unserer kleinen Stadt fand der – was weiß ich – dritte Deutsche Bauernkongress statt, in der Halle, die sich damals noch Kongresshalle nennen durfte. Wir waren Junge Pioniere in weißen Hemden und blauen Halstüchern und warteten auf den höchsten Gast, den Ministerpräsidenten Grotewohl. Fünf Minuten vor der Angst wurde einer gesucht, der den Ministerpräsidenten persönlich begrüßt. Die Pionierleiter waren ratlos bis hektisch, dieser oder jener Pionier verdrückte sich in die hinteren Reihen, aber es war wohl kein Zufall, dass die Wahl auf unseren Heini Steiger fiel, von dem nicht bekannt war, dass er irgendwelche Hemmungen gehabt hätte. Er zog sich schnell den Pullover aus, Autotüren wurden zugeschlagen, Hochrufe erklangen, Heini Steiger stand vor Otto Grotewohl, legte die rechte Handkante auf den Scheitel und brachte den Pioniergruß aus. Wir begrüßen unseren Ministerpräsidenten mit Seid bereit. Er sagte seinen Satz ohne Stocken und Stottern, aber auch ohne Charme und kindlichen Witz. Der Ministerpräsident reichte ihm die Hand, und dann war die Aktion vorbei. Keine hatte darauf geachtet, dass Heini Steiger, nachdem er den Pullover ausgezogen hatte, die Haare zu Berge standen und das schöne weiße Hemd aus der Hose gekrochen war. Heini war froh, dass er seinen Job getan hatte, war aber auch nicht ganz zufrieden mit der Situation. Man hätte irgendwie noch mehr daraus machen können. Im vertrauten Kreis sagte er anschließend: „Die Hand war weich wie ’ne Butterpflaume.” Nicht mehr. Nicht weniger. Und doch gab der Satz zu denken. So eine weiche Hand passte nicht zu einem Arbeiterministerpräsidenten. Überdies war der Begriff Butterpflaume eine spontane Wortschöpfung Heini Steigers; den gibt’s in keinem Lexikon.

Ich habe mit Heini nicht darüber gesprochen, aber ich gehe davon aus, dass solche vertrauten Begegnungen mit der großen Politik in seinem Leben immer wieder vorkamen. Und dass er sie immer besser bewältigt hat. Es ist Schicksal. Die Wahl fällt immer auf ihn.

 

 

Gefäß Gottes

Plötzlich im Jahr 77 in Prag © Christian Brachwitz

Plötzlich im Jahr 77 in Prag
© Christian Brachwitz

Den frommen Mann fand Brachwitz in Prag. Steht da wie ein Gefäß Gottes, dachte er, passt auf, dass die Touristen nicht auf den Boden der heiligen Gemäuer rotzen. Ein schöner Mann, ein strenger Mann. Es genügt schon, dass er da steht, um gar nicht erst auf dummen Ideen zu kommen. Man hält es für möglich, dass er Wunder vollbringen und Sünder verfluchen kann. Das Gesicht, das aus dem Dunkel hervortritt, die verschatteten Augen. Das Licht und die Finsternis. Sonneneinfall und schwarze Schatten. Woran glauben wir, wenn wir glauben? Dass es das Unerklärliche gibt. Mystik. Fatum, das Schicksal. Wenn wir die Energie haben, können wir viel in unserem Leben selbst bestimmen. Wenn wir Glück haben auf lange Sicht, könnten wir zu der Einsicht kommen, dass uns das Schicksal nicht immer verschont, aber es trotzdem gut mit uns meint. Auch wenn man das nicht immer wahrhaben will. Und wenn man den frommen Mann anschaut, dann glaubt man vielleicht weniger an Glauben als an Askese. Oder an Verzicht. Vieles, was man für unverzichtbar hielt, braucht man nicht. Darum muss man sich nicht bemühen. Kein schlechter Gedanke zwischen den Jahren.

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Lob der Scheinantworten

„Der Wein ist harntreibendund kräftigt Magen und Darm.” Kupfer aus Diderots Großer Enzyklpädie

Der Wein ist harntreibend und kräftigt Magen und Darm.”
Kupfer aus Diderots Großer Enzyklpädie

Alle Welt sei sich darüber einig, schrieb Victor Klemperer, „dass Diderot keinen Roman zu komponieren vermag”. Und: Jacques le Fataliste könne man „nicht einmal als Romanparodie oder als ein lockeres Bündel verschiedener Erzählungen und Reflexionen bezeichnen; denn alles ist völlig ineinander gefilzt, immer wieder wird man durch neue Einfälle von einem Thema, einem Gedankengang, einem Gefühl abgelenkt”. Wie man sich doch täuschen, oder nein: Wie man doch unterschiedlicher Ansicht sein kann: Für viele fängt mit „Jacques der Fatalist” (oder„Jakob und sein Herr”) und mit Lawrence Sterne (von dem Diderot sich inspirieren ließ) der Roman erst richtig an. Und zwar gerade durch das, was Klemperer so moniert: Dass hier ein Erzähler als Vermittler zwischen Stoff und Leser in Aktion tritt, der alle Fäden in der Hand hält, mit den Geschichten und dem Leser spielt, an den spannendsten Stellen einer Geschichte abbricht, um eine andere Geschichte dazwischen zu schießen und irgendwann mit der ersten Geschichte fortzufahren und wieder zu unterbrechen. Der Roman, das kommunikative Genre an sich. Wer sich darauf einlassen kann, spielt das Spiel gerne mit, er weiß ja, dass er nicht das pure Leben erzählt bekommt, sondern dass er Opfer und Komplize des Erzählers ist, der ihn öfter mal direkt anspricht und zum Mitdenken auffordert. Man könnte sagen: ein früher Brecht, dieser Diderot, sehr geistreich und charmant.

Gefochten wird häufig in diesem Roman

Gefochten wird häufig in diesem Roman

Natürlich interessiert mich an Jacques, dem Fatalisten, zuerst sein Fatalismus. Der äußert sich gleich im ersten Absatz: „Weiß man je, wohin man will?” – Was sprachen sie? – Der Herr kein Wort; aber Jakob: sein Hauptmann habe gesagt, alles, was uns hienieden Gutes oder Böses begegne, steht dort oben geschrieben.”

„Steht dort oben geschrieben.” „Euer Wunsch ändert keinen Pfifferling daran, es wird kommen, wie es da oben geschrieben steht.” „Sehen Sie nun wohl Herr, dass niemand wissen kann, was dort oben geschrieben steht?”

Immer wieder fallen diese Worte. Und damit ist sicher kein göttliches Wesen gemeint (Diderot erschöpfte sich fast in seinem Atheismus), eher sowas wie eine nicht näher definierte Vorsehung oder das Schicksal, meinetwegen Determinismus. Zur Religion sprach Diderot im Bild: Wer nicht gehen kann, braucht einen Stock.

Also ist Jakob, dem Knecht, ziemlich gleichgültig, von wem das Geschriebene dort oben stammt: „du, der du das große Buch gemacht hast, du, wer du auch bist, der du alles das schriebst, was dort oben geschrieben steht! Du wusstest von Anbeginn her, was mir gut ist; dein Wille geschehe! Amen!”. Er setzt die Vorbestimmung einfach voraus. Was hat er davon? Man sieht es, wenn man die Mentalitäten Jakobs und seines Herrn vergleicht, der auf die Willensfreiheit setzt. Jakob führt das bei weitem weisere, pragmatischere Leben. Der Glaube an die Vorbestimmung vermindert die Schwere aller Entscheidungen, die er trifft, verhilft ihm auch, eine Scheinantwort zu finden in allen Fragen, wo es eine befriedigende Antwort sowieso nicht geben kann. Jakob hat die wesentlich glattere Stirn.

„Der Roman … handelt von Freiheit und Vorherbestimmung im Gange des Erzählens”, schreibt Horst Günther im Nachwort dieser ausgemacht schönen Ausgabe aus der Anderen Bibliothek, die auf die Erstausgabe der deutschen Übersetzung von Wilhelm Chirsthelf Siegmund Mylius aus dem Jahr 1792 zurückgreift. Auch die wirkt erstaunlich frisch.

Jürgen Klopp, der Fatalist

Jürgen Klopp verlängert seinen Vertrag bei Borussia Dortmund bis 2018. Ein Trainer, der Begehrlichkeiten weckt. Er könnte Bundestrainer werden. Er könnte nach England, Italien, Spanien gehen. Aber nein. Er unterschreibt, lange vor der Zeit, bei Dortmund. „Bis 2018 braucht also keiner mehr anzurufen”, sagt Klopp. Für mich ist das eine schöne Nachricht aus einer Fußballwelt, in der vieles unsicher ist, wenn nur das Kapital seine Stimme erhebt. Wenn ein Mäzen sagt, ich will diesen Spieler da, oder, ich will diesen Trainer. Klopp schreibt seine Erfolgsgeschichte beim BVB fort, die ja nie eine einfache Geschichte war, wenn man nur an den Anfang denkt oder an die eigentlich unverzichtbaren Kicker, die sie ihm weggekauft haben Klammer auf So ist Fußball Klammer zu. Schön auch, dass wir bei dieser Gelegenheit erfahren, dass Klopp ein gestandener Fatalist ist. Denn was sagt er noch: „Man muss nicht auf etwas warten, was besser aussieht. Das Gras ist woanders nicht immer grüner, und meine Fähigkeit ist es, das Glück zu sehen, wenn es da ist.” Es gibt nicht viele Trainer auf der Welt, die in der Lage sind, solche scheinbar einfachen Sätze zu sagen. Es gehört in der Tat zu den seltenen Fähigkeiten, das Glück zu erkennen, das sich in der Nähe befindet. Das Glück ist da, und ich bin mittendrin. Die meisten Leute hängen dem Wahn an, dass es etwas noch viel Besseres gibt als das, was sie gerade haben. Nicht Klopp, der Fatalist.

Spurenelemente von Glück

Abstand halten ist nicht die schlechteste Idee

Abstand halten ist nicht die schlechteste Idee

Meine Nachbarn sprechen jetzt lauter als im vergangenen Staat. In dem waren ihre Arbeit und ihre Stimme wichtig. Man hätte ihnen nicht gestattet, ihre Arbeit und ihre Stimme für sich zu behalten. Dadurch wussten sie: Ich bin schon wer. Ohne mich würde es hier wahrscheinlich gar nicht gehen. Nun will man von ihnen keine Arbeit, im Gegenteil, man ist froh, wenn sie mit ihrer Arbeit da bleiben, wo der Pfeffer wächst, in ihrem Garten oder in ihrer guten Stube.  Und auch ihre Stimme, um die turnusmäßig gekämpft wird, ist nicht wirklich wichtig. Ihre Stimme vergeht spurenlos im Äther oder wo auch immer und die Parteien lachen sich ins Fäustchen. Nichts wird besser, was auch immer meine Nachbarn mit ihrer Stimme angestellt haben. Na, und ich bin ja auch so ein Nachbar.

Abend. Nach der größten Hitze. Ich freue mich, dass ich mich in den Garten setzen kann. Mit Tomatenbrot, Weißweinschorle und der FAZ vom Tage. Ich sehe meinen Nachbarn beim Studium von BILD. Ich danke meinem Schicksal, dass ich nicht in der gleichen Lage bin wie er. Dass ich nicht Bild lesen muss, sondern die FAZ. Und er dankt wahrscheinlich seinem Schicksal, dass er BILD hat und nicht diese Buchstabenwüste mit dem Zeitungskopf in Frakturschrift lesen muss. So entstehen auf allen Seiten Spurenelemente von Glück.

Marc Aurel, der Fatalist

Buchstaben, für die man keine Brille braucht

Buchstaben, für die man keine Brille braucht

Brille vergessen. Ich bin aber gewöhnt, in der S-Bahn zu lesen. Da ist zum Glück ein Buch mit großen Buchstaben im Rucksack. „Wie soll man leben? Anton Cechow liest Marc Aurel”. Aus was allem oder aus wie wenig man doch ein Buch machen kann. Es handelt sich tatsächlich nur um die Abschnitte, die Tschechow in der, gekürzten, russischen Ausgabe von Marc Aurels Selbstbetrachtungen angestrichen und meistens auch mit Überschriften versehen hat oder eher mit Rubrizierungen: Enthaltsamkeit. Freiheit. Gute Taten. Feinde. Herrscher. So etwas. Ein Vorwort des Herausgebers Peter Urban kommt dazu und fertig ist der Lack. Warum nicht. Ich kann das ohne Brille lesen, wenn ich die Augen etwas zusammenkeife. Urban meint, dass man den Einfluss Marc Aurels auf Tschechow nicht bemerkt oder unterschätzt hat und zitiert absurderweise aus der Große Sowjetenzyklopädie der Stalinzeit, um was auch immer zu beweisen: „Die Ohnmacht der herrschende Klasse des Römischen Reiches und die hoffnungslose Lage  der antiken Sklavenhaltergesellschaft widerspiegeln sich in der Philosophie Aurels in der Gestalt von Fatalismus, des Aufrufs zur Ergebenheit in das Schicksal. Er predigt Gleichmut gegenüber äußerlichen Gütern und Demut im Angesicht des Unvermeidlichen.”  Das soll belegen, wieso man die Bedeutung Marc Aurels für Tschechow nicht vermessen hat. Hier nicht und da nicht. Als wenn Fatalismus etwas Schlimmes wäre. Der Fatalismus bei Marc Aurel klingt so: „Wenn alles auf der Welt von einem unbarmherzigen Gesetz regiert wird, welchen Nutzen hat dann dein Widerstand? Wenn es indes eine Vorsehung gibt, stell dich unter ihren Schutz. Wenn du aber auch die Vorsehung nicht anerkennst, sondern in allem nur  die Willkür des blinden Zufalls siehst, so freue dich und frohlocke, dass du in diesem planlosen Wirrwarr der einzige bist, der, in seinem Geist, die Macht der Vernunft besitzt. In welche Wasser der blinde Strudel dein Fleisch und deine Seele immer treiben mag, dein Geist steht hoch über jeder Naturgewalt.”

Fatalisten werden als schwache Figuren angesehen. Menschen, die sich den Gegebenheiten beugen. Das ist oberflächlich geurteilt. Es geht darum, den Versuch zu unternehmen, das Leben zu lesen, ihm eine allgemeine Idee abzugewinnen, die man auch Schicksal nennen kann, und vor diesem Hintergrund zu handeln. Grenzen haben wir alle. Darunter sind Grenzen, die unüberschreitbar sind. An die müssen wir keine Zeit und keine Aktivität verschwenden. Ich nenne das pragmatisch.

Menschen, die auf Bälle fixiert sind

Nach dem total überraschend und auf bizarre Weise verlorenen Tiebreak des zweiten Satzes saß Serena Williams auf dem Stuhl und bedeckte ihr Gesicht mit dem Handtuch. Zweifellos vergoss sie Tränen. Und zweifellos ahnte sie, was ihr blühte im entscheidenden dritten Satz gegen die Nr. 111 der Welt, Virginie Razzano, während Williams auf dem Weg ist, wieder die Nummer 1 zu werden und die French Open zu gewinnen. Aber Razzano spielte vor ihrem, dem – vornehm ausgedrückt – patriotischen französischen Publikum, das umso begeisterter reagierte, je weniger es seinen Augen traute. Williams hatten den ersten Satz gewonnen und im Tiebreak des zweiten 5:1 geführt. Es fehlten zwei Punkte zum Sieg, aber dann kam dieser irrationale Verlauf. Vor dem dritten Satz nahm sich Razzano eine Auszeit. Sie war offensichtlich verletzt, an der Wade, am Oberschenkel oder an beidem. Und dennoch oder gerade darum oder auch, weil Serena völlig irritiert war, gewann Razzano fünf Spiele in Folge. 5:0 für Razzano gegen Serena Williams. Ein unglaublicher Spielstand. Dann gewann Williams ihr Aufschlagspiel, breakte Razzano, gewann ein weiteres Aufschagspiel, Razzano lag nur noch ein Break vorn und litt unter Krämpfen. Zweimal klaute ihr die Schiedsrichterin einen Punkt, weil sie vor Schmerz aufgeschrieen und damit die Gegnerin irritiert hatte.

Wenn ich Tennis sehe, kommt mir manchmal in den Sinn, dass das Helden sind, die da spielen, Helden und Heldinnen, beinahe noch mehr Heldinnen als Helden. Es spitzte sich zu. Irgendwie war klar, dass sich die Schlacht im neunten Spiel des dritten Satzes entscheiden würde. Razzano, serving for the match, musste ihren Aufschlag durchbringen, aber sie schien kaum dazu in der Lage, zumal ihr in diesem Spiel wieder ein Punkt geklaut wurde. Wenn sie schnell die Richtung ändern musste, zuckte sie vor Schmerz zusammen. Sie war einerseits im Rausch, andererseits wie erstarrt, es wechselte von Situation zu Situation. Serena hatte sich wieder gefangen und spielte mit all ihrer Wucht gnadenloses Tennis. Aber auch sie offenbarte eine andere Seite, so, als hätte sie nach dem Tiebreak den Wink des Schicksals erhalten, dass das Match nicht mehr zu drehen war und sie in der ersten Runde eines Grand-Slam-Turniers ausscheiden würde, was ihr noch nie widerfahren war. Und so spielte sie als gnadenlose Fighterin und als demütige Fatalistin. Wir können unserem Schicksal nicht entkommen. Es gab Momente während des Spiels, in denen beide Spielerinnen heulten, Hoffnung, Enttäuschung, ungläubiges Staunen, Entkräftung, alles mischte sich. Am seligen, aber auch irren Glanz in Razzanos Augen konnte man erkennen, dass sie gewinnen würde, aber ich glaubte es nicht. Sie hatte acht Matchbälle, und immer feuerte Serena zurück. Razzano erlief aussichtslose Bälle, kaum zu glauben, wie das möglich ist. Aber es gibt Menschen, die einfach auf Bälle fixiert sind. Wo ein Ball durch die Luft fliegt, da können sie nicht anders, da rasen sie hin, sie müssen ihn haben. Mir geht es teilweise auch so, ich kann das nachfühlen.

Virginie Razzano gewann. Ein Rückschlag von Serena war ein paar Zentimeter zu lang in einem Moment, wo man das Gefühl hatte, das Spiel würde sich nicht auflösen lassen und bis in alle Ewigkeit andauern. Auch wenn sie sich einmal über das einseitige Publikum empört hatte – Serena Williams erwies sich am Ende als große und faire Verliererin. Eine fatalistische Heldin unserer Zeit.

Ich war mir dankbar, dass ich das TV-Gerät eingeschaltet hatte.

Sarahs Tagebuch

Düstere Tage zwischen Land und Wasser

Düstere Tage zwischen Land und Wasser

Wieder mal ein Tagebuch von Sarah Kirsch, „Märzveilchen”, DVA. Die Landbewohnerin, die sich nicht mehr vorstellen kann, in der Stadt zu wohnen. Viel umgebende Natur. Das Haus, in dem sie wohnt, Maxe, der Sohn, die Katzen, die Nachtspeicheröfen. Verspielte Sprache, Veräppeln der Grammatik. Aversionen gegen Lebende, besonders, wenn sie aus dem Osten kommen. Filme gefallen der Dichterin oft (Eric Rohmer, Landschafts- und Naturfilme). Zivilisations- und Kulturbetriebsverdruss. Januar ist Jaguar, Februar Zebra, März Nerz. Montag ist Mohntach, Mittwoch Mistwoch, Donnerstag Donner. Kein Wort, keine Regel ist vor Sarah sicher. Kein Kollege. Sie teilt die Welt in Feinde (viele) und Freunde (einige). Die Feinde finden keine Gnade vor ihren Augen, die Freunde keinen Makel. Ungerecht ist das fast immer. Spaziergänge, Haus- und Gartenarbeit. Fatalität. Wie gut, dass alles kam, wie es kam, und ist, wie es ist (ganz meine Meinung übrigens). Gelesen und eine Nadel gestrickt, so gehen die Tage. „Zu dieser Jahreszeit und wenn die Bäume noch kahl sint, da fliegen die Krähen, die hier angestammt sind, wie Rochen ums Haus. Und die Weidenkätzchen sind fett. Wir sitzen in Watte, ringsherum soll Sonnenschein sein”, schreibt die Landfrau im März, Verzeihung, Nerz. Gelassenheit und Leidenschaft. 750 Seiten in schlechter Sprache, zu einem Buch, das „Bildverlust” heißt. Oder dies: „ Hab nun ach! Die Interpretazione zu meine Schwarze Bohnen von M.R.-Ranicki zugeschickt bekommen, alles ganz wacker aber nicht gut. Er ist dermaßen ein Realist dass ihm die höhere Witterung abgeht. Wo es bei mir heißt „Nachmittags setze ich den zermahlnen Kaffee/Rückwärts zusammen schöne/Schwarze Bohnen” da schreibt er. „was sie möchte, ist unmöglich, zermahlene Bohnen lassen sich nicht wieder zusammensetzen…” Das zeugt nicht von Kompetenz! Ich setze sie zusammen, und zwar rückwärts, basta! Ich kann mich nur wundern!” Die Dichterin selbst wird auch nicht geschont. „ Kamen Rezensionen zu Schwanenliebe. Je kleener die Zeitung, desto schärfer die Verrisse. Besonders die aus dem Osten… Herr Heise der Großkünstler aus Kiel hat mir ooch verrissen.” Stürmische Tage? „ Die Katzen dürfen den ganzen Tag in den Betten liegen.” Und wenn man draußen war in den großen Städten: „… also das ist nicht meine Welt. Literatur im Foyer gut überstanden, aber diess mach ich nicht wieder, basta.” Es ist eine Lust, diese desillusionierte Prosa zu lesen und zu sehen, wie die Einfälle blitzen.