Immer noch nicht abgestiegen

In der dritten Liga war’s auch manchmal schön – als unsere Stürmer noch ab und zu ein Tor schossen  ©FJK

Wir sind immer noch nicht abgestiegen, wir armen Hansa-Rostock-Schweine, obwohl wir in unserer ohnehin prekären Situation fünf Mal in Folge verloren haben, also wirklich. Wenn du eh schon da unten drin stehst, dann musst du doch ab und zu mal in der Lage sein, aus lauter Verzweiflung gegen Teams zu gewinnen, die eigentlich besser sind. Haben wir nicht hinbekommen. Unsere Verzweiflung reichte maximal für eine Halbzeit. Öfter wurde unsere Verzweiflung auch von minutenlangen Tiefschlafphasen unterbrochen, in denen sie uns die Tore, die für Niederlage nötig waren, einschenkten. Seit Wochen sehen wir kein echtes Stürmertor mehr. Junior Brumado trifft nicht mehr, seit er die Rote Karte sah, weil der Gegenspieler in seinen Ellenbogen rein gerannt war. Vier Spiele Sperre wurde verhängt, seitdem bringt der Junge nichts mehr zustande. Traurig. Perea hat Gefallen daran gefunden, vor dem Tor falsche Entscheidungen zu treffen. Nils Fröling wird so selten aufgestellt, dass er sich im ungewohnten Umfeld nicht zurechtfindet. Keine Stürmertore! Es ist ein Fluch, der über der Mannschaft liegt. Vielleicht über dem ganzen Fußball-Osten. Es ist soweit gekommen, dass wir nicht mal mehr die Schiedsrichter für unser Dilemma verantwortlich machen können. Es fällt schwer, noch auf irgendeine Verschwörungstheorie zu kommen. Dass wir noch ein bisschen leben, verdanken wir nur der SV Wehen Wiesbaden. Die kriegen auch nichts gebacken. Und das Spielglück fehlt ihnen auch. 

Knie im Rücken

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Männer, die ins Kino gehen © JuT

Im Acud-Kino in der Veteranenstraße saßen wir in der letzten Reihe. Hinter uns nur noch die Wand. So konnte kein Mensch seine Knie in meine Rückenlehne bohren und Druck auf meinen Rücken ausüben, wie ich es sonst überall erlebe, im International und in den Hackeschen Höfen in der Mitte Ost, im Delphi Lux in der Mitte West, im Kino Union in Friedrichshagen, im FAF im Friedrichshain, wo auch immer ich ins Kino gehe. Wo immer ich ins Kino gehe, sitzt hinter mir einer mit seinen Knien. Kann auch ’ne Frau sein. Manchmal mögen es auch die Füße sein, die ich im Rücken spüre. Ich drehe mich nicht um. Ich weiß, dass sie das nur herausfordern würden, den Druck zu erhöhen. Ich will mich nicht vorwurfsvoll umschauen, ich will auf keinen  Fall ausrasten. Ich weiß nicht, was diese Leute haben. Missfällt ihnen mein Rücken? Hab ich einen unsympathischen Hinterkopf? Deshalb war es im Kino Acud so schön; ich konnte mich voll dem Film widmen. Letzte Reihe und hinter mir nur die Wand, die keine Knie hat. 

Bei einem Drei-Stunden-Werk im International saßen vor uns zwei Damen, die sich lange nicht gesehen und folglich viel zu erzählen hatten. Sie hatten sich an der Bar gleich zwei Schoppen Weißwein geholt, es dauerte nicht lange, da waren die Gläser leer und ihre Männer, die zuvor gar nicht als ihre Männer erkennbar waren, mussten für Nachschub sorgen; eine Dreiviertelstunde später noch mal. Dann hatten sie, die Männer, genug, und die Frauen holten sich selbst noch zwei Schöppchen. Drei Stunden, drei Wein für jede. Unterschätze keiner die Frauen. Sie verursachten mit ihrer Geschäftigkeit kleine Störungen im Umfeld, aber die Knie im Rücken waren schlimmer. 

Fußball im April

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Auf verlorenem Posten

Dem Torwart des Drittligisten flutscht ein Kopfball durch die Lücke zwischen den Beinen. Das reicht, um die Pokal-Karriere des 1. FC Saarbrücken zu beenden und die sogenannten Roten Teufel ins Pokalfinale zu befördern. Die Saarbrücker scheitern am schwächsten ihrer Gegner im Pokal. Sehr unglücklich. 

Am Abend schoss Hansa keine Tore, bis plötzlich, eingangs  der zweiten Halbzeit der wackere Rossbach eines seiner wenigen, aber immer wichtigen Tore machte. Rot für Wiesbaden. 2:0 Pröger. Wiesbaden in Unterzahl 1:2; am Ende Ingelsson 3:1. Wir armen Hansa-Rostock-Schweine sind noch in der Verlosung. Mehr nicht. 

FC Union. Am Sonnabend um halb eins sammeln sie sich in Karlshorst, versorgen sich mit Bier, trinken schon mal an. Berlin-Liebe, Osttrotz, Todes-Beschwörung, Hertha-Verachtung, Verehrung bis zur Krankhaftigkeit, ein Unioner kann vernichtet, aber nicht besiegt werden. 

Heidenheim – Bayern 0:2, wenn es nach der 1. Halbzeit geht. Zweite Halbzeit 1:2, 2:2, 3:2. Man wundert sich, dass der Trainer nicht vorzeitig gefeuert wird. Die Bayern haben keine Bayern-Ehre mehr im Leib. 

Vorab sah es so aus, als würde Bayern in London gegen Arsenal untergehen, sie liegen auch bald 0:1 hinten, fressen fast das 0:2. Dann macht Arsenal einen Flüchtigkeitsfehler, Sané bringt seine Schnelligkeit ein, 1:1, dann noch mal, Elfmeter 2:1 für Bayern. In der zweiten Halbzeit haben die Bayern das Spiel im Griff, aber dann spielt Arsenal einmal schnell und gut und der Belgier Trossard gleicht aus. Die Bayern treffen noch mal den Pfosten, Arsenal hätte auch noch einen Elfmeter bekommen können, und Thomas Tuchel sieht das Spiel krankhaft einseitig, wie er alles krankhaft einseitig sieht. 

Hansa verliert gegen Hertha 0:4; wie eine Drittliga-Mannschaft. Das muss mir auch erst mal einer erklären: Wie eine Mannschaft im Abstiegskampf sich von einer Gurkentruppe wie Hertha so abschlachten lassen kann. Aber der Pokalfinalist Kaiserslautern verliert auch und bleibt unter Hansa. 

Im Fußball läuft alles wie erwartet. Schalke ist nach dem Sieg gegen Nürnberg wohl raus aus dem Abstiegsfeld. 

BVB – Atletico: 1:0 Julian Brandt, 2:0 Maatsen, 2:1 Hummels (ET), 2:2 Correa (Dortmund ist raus), 3:2 Füllkrug (Verlängerung), 4:2 Sabitzer (Dortmund im Halbfinale). Spannend, dramatisch, erlösend. 

Während wir uns im Kino einen Drei-Stunden-Film ansehen, verlieren die tapferen, gleichwohl harmlosen Hanseaten in Hamburg 0:1, machen St. Pauli zum Tabellenführer und sich selbst zum ziemlich sicheren Absteiger. Wir hätten es eh nicht verhindern können.

Amazon Prime. Bayern München – Real Madrid. Mit einem der größten (stratoshärischen) Pässe der Geschichte bereitet Toni Kroos das 1:0 für Real vor. Vinicius Junior,macht es, und auf der Tribüne alterte Uli Hoeneß noch mal um zehn Jahre. In der zweiten Halbzeit, als Real selbstgefällig glaubt, Bayern an die Wand spielen zu können und Kroos fast das 2:0 macht, steht es dann binnen weniger Minuten 2:1 für die Bayern. Eine schlechte verteidigte Einzelleistung von Sané und ein Elfer, gegen den man nicht viel sagen kann. Am Ende kriegt auch Real noch einen Penalty, gegen den man gar nichts sagen kann, aber die Bayern protestieren stürmisch, vorne weg Kimmich und Kane. Am Spielfeldrand tobt das ganze Spiel über Trainer Tuchel. Das kann nicht gut gehen auf Dauer für den Mann. 

Jeder Mensch hat einen Schatten, den er nicht mehr los wird. Uli Hoeneß` Schatten ist Toni Kroos. Den wollte er kurz halten im Gehaltsgefüge des FC Bayern. Du bist kein Weltklassespieler, Toni (er kam ja nur aus dem Osten). So ging Kroos zu Real Madrid und wurde die große Nummer, die er sowieso schon war, letztlich der erfolgreichste deutsche Fußballer. Und Hoeneß glaubte wie so oft, gegen den Strom schwimmen zu können. Diese Querpässe. Toni Kroos hat im modernen Fußball nichts zu suchen. Als Kroos für die Nationalmannschaft reaktiviert wurde, sagte Hoeneß: Das ist ein Titanic-Signal. Als er dann zurückruderte, war es zu spät. Jeder weiß jetzt, wer im modernen Fußball nichts zu suchen hat. 

Im Kino sitzen. Hassen lernen

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Im Kino in den Hackeschen Höfen

Das elende Jahr 46 in Rom. Die Stadt sieht bedürftig aus, die Menschen auch. Frauen sitzen vor der Tür und stopfen Strümpfe; Männer machen Geschäfte, besprühen sich mit Eau de Cologne für den Puff. Oder sind bettlägerig. Delia hat eine fast erwachsene Töchter und zwei Söhne, die durch die Wohnung jagen und sich Hurensohn nennen. Der schlimmste aber ist Ivano, ihr Mann. Ein übler Primitivling, der keine Gelegenheit auslässt, seine Frau zu demütigen und zu verprügeln. Gewalt, die ihn sexuell animiert. Wir sitzen im Kino und lernen hassen. Wann wird dieses Arschloch endlich bestraft. Zu seiner Rechtfertigung steht die Wendung: Er war in zwei Kriegen. 

„Morgen ist auch noch ein Tag“, das heißt. Armut, Elend und Gewalt – es wird nicht so bleiben, wie es ist. Auf welche Weise die Frau, Delia, aufbegehren wird, lässt der Film in einer naiven Dramaturgie lange offen. Delia sortiert die Optionen. Und wenn sie aufbegehrt, tut sie es nicht nur für sich, sondern auch für Marcella, ihre Tochter, der ein ähnliches Schicksal droht wie ihr, denn es ist nicht nur Ivano, es ist nicht allein Giulio, Marcellas Verlobter, es sind die archaischen Strukturen, die den männlichen Chauvinismus hervorbringen. 

Paola Cortellesi ist die Regisseurin des Films, der in schwarz-weiß und kleinem Format gedreht wurde, ist auch Delia. Eine scheinbar verhärmte Frau in der Mitte des Lebens, die voller Kraft, Anmut und Tüchtigkeit ist, wenn sie ihre private Hölle hinter sich lassen kann. Warum ist das so? Warum steht immer die Frage: Wo soll ich denn hingehen!

 Der Film war in Italien ein Mega-Erfolg. Das spricht für ihn, für seine Zurückhaltung, spricht auch für ein paar formale Experimente, nicht zuletzt auch für die italienischen Schlager, die einige Szenen begleiten. Spricht auch dafür, dass vieles noch so ist, wie es vor siebzig Jahren war.

Vom Whisky und seinen Legenden

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In entspannter Erwartung ©FJK

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All you need – Brot, Wasser, Whisky

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Ohne Schreibtisch geht’s auch im Whisky-Land nicht

Ich hatte ein Whisky-Tasting im Whisky Hain. Die 21 fuhr mich bis vor die Tür. Niederbarnimstraße, Simon-Dach-Straße, Boxhagener, dieses unglaubliche Vergnügungsviertel, Kneipe an Kneipe. Sie sitzen schon an diesen kalten April-Tagen auf den breiten Bürgersteigen und essen mediterran, georgisch oder südamerikanisch. Im Whisky Hain ist das Chaos vorbei. Zwei lange Tische, für jeden Gast sechs Whisky-Gläser und ein Wasserglas, aufgeschnittenes Fladenbrot, und die Armada der Whiskyflaschen wohlgeordnet in den Regalen – diese Armee kann keiner besiegen. Wir sind zwanzig Mann und eine Frau, die einschenken wird. Seid freundlich zu ihr, sonst kriegt ihr nüscht, sagt der Chef. So wird es gehen. Wir trinken sechs mal 2 cl von schottischen Whiskys unabhängiger Abfüller; nach dem dritten Whisky gibt’s eine Pause für die Raucher, Kiffer und schwachen Blasen. 

Die einschenkende Dame hat keinen leichten Job. Zwanzig Männern hundertzwanzig Mal (wenn ich richtig gerechnet habe) genau 2 cl einzuschenken, das ist nicht einfach, aber sie ist keine Spur nervös, auch nicht, als mein Nachbar in der zweiten Runde moniert, dass er zu wenig bekommen hat; es ist keine Gier von ihm. sondern professionell, er schenkt gelegentlich selber ein oder aus. Wir arbeiten uns hoch: Von einem 44,5 %igen Murray McDavid bis zum Ledaig von Gordon&Macphail aus der Tobermory Distillery mit 57,7 %.  Der Chef, ich glaube, er heißt Stefan und hat eine meiner Meinung nach moderne Frisur, ist kein Schwärmer. Er erzählt cool von den Abenteuern der unabhängigen Abfüller, von der Jagd nach Madeira- und Cherry-Fässern, vom Alkoholgehalt, der sich nach dreißig Jahren Lagerung verlieren kann, von den Geschichten und Legenden, die sich um berühmte und berühmt gemachte Whisky-Sorten ranken, von ins Uferlose steigenden Preisen, von den Nöten der Importeure nach dem Brexit, vom Zoll und der Alkoholsteuer. 

Whisky-Trinker duzen sich. Sie träufeln sich ab und zu mit einer Pipette ein paar Tropfen Wasser ins Glas, weil man so den Alkohol weniger, aber die Aromen besser spürt. Mein Tischnachbar ist Österreicher. Er kam über Rügen nach Berlin und hat den Mut zu sagen, dass ihm das Leben in dieser Stadt gefällt. Wir reden über Voodoo Jürgens, Thomas Bernhard, André Heller, Helmut Qualtinger und über Lebensstrategien. 

Am Ende gibt’s Beifall für Stefan und die einschenkende Dame. Alle haben den Whisky gut vertragen. Der Chef kann kein Interesse daran haben, am Ende lauter Schnapsleichen sortieren zu müssen. Wir kaufen noch ein, mit einem kleinen Rabatt. Draußen regnet’s. Es ist gleich elf, die 21 kommt sofort. 

Momentaufnahme

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Außentoilette ist in © FJK

Draußen vorm Haus das schwere Atmen eines Großgeräts. So ungefähr müssen sich die Saurier angehört haben. Der Laubbläser tritt aus dem Gebäude: „Die Handwerker in den’ Haus haben so ein’ Hals wegen diese Scheiße hier!“ Der Bauherr erscheint jeden Tag ein Stück mehr gealtert. Wenn Handwerker einsam sind, werden sie kreativ. Neubauten bevorzugen wieder die Außentoilette. Olfaktorisch nachvollziehbar. Frische und verdorbene Luft stoßen zum gegenseitigen Nutzen zusammen. Ein kleiner Bagger versorgt die Straße mit Lärm. Der Sachse Weselsky treibt die Bundesrepublik vor sich her. Mit dem hätten wir uns besser nicht wiedervereinigen sollen, heißt es in besseren Kreisen. Kann man das nicht noch nachträglich irgendwie …? Günther Maria Halmer ist im deutschen Film die Idealbesetzung für den Demenzkranken. Er kommt da auch nicht mehr raus. Wunderlich, verwirrt, gutmütig und manchmal ausrastend. Wir sehen abermals in die leeren Gesichter der Regierungs-Troika. Wenn man aus der Not der Einfallslosigkeit eine Tugend macht. Scholz’ Markenzeichen: das schelmische Grinsen. (Bei Merkel war es die Raute.) Später die verquollenen Politiker-Gesichter bei Maybrit Illner. 

Herr Bohacek hat schon wieder Mist gebaut

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Casablanca in Adlershof © JuTh

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Vom Kino „Casablanca“ in Adlershof hatten wir noch nie was gehört, und der Film „Rickerl“ wurde kaum irgendwo rezensiert. Aber jetzt, Sonntagabend, saßen wir auf etwas wackligen Barhockern im Foyer des Casablanca, das dem Café Americain des legendären Casablanca nachempfunden ist. Rickerl, sagte der Kinomann hinterm Tresen am Telefon, wir spielen Film mit hochdeutschen Untertiteln. Ist zwar ein österreichischer Film, aber man versteht sonst nichts.

Ich hätte einen Schnaps gebraucht, aber Schnaps gab’s im Café Americain nicht, da nahm ich einen Espresso. Ist fast das gleiche, sagte der Kinomann. 

Es war ein kleiner Kinosaal mit vierzehn Reihen; an den Wänden mit marokkanischen Straßenimpressionen illustriert; ein echtes Motto-Kino, hier und da sah man den Hut von Humphrey Bogart und seinen Kopf dazu.

Rickerl oder Herr Bohacek ist ein Wiener Liedermacher, der als Friedhofsmusiker arbeitet und gleich mal entlassen wird, als ein Totenkopf zwecks Störung der Totenruhe aus seiner Tasche kullert. Auf dem Arbeitsamt zeigt er sich unkooperativ, kriegt einen Job in einem Porno Shop aufgedrückt, dann einen in einem Imbiss. Sein Manager sagt ihm, dass er endlich liefern soll, seine Frau, die Viki, hat ihn verlassen und lebt mit dem Sohn Dominik im Haus eines Piefkes namens Kurti, der seinen Rasenmäher so dressiert hat, dass der auch Bier heranfahren kann. Ein Casting im Radio lässt Rickerl sausen, als er hört, dass da bloß blöde Fragen gestellt werden. 

Was ist also los mit dem Herrn Bohacek, den wir nur durch die hochdeutschen Untertitel verstehen können. Er hat seine Songs auf Klopapier oder irgendwelche anderen Zettel gekritzelt, er wollte ein Album machen, hatte aber immer das Gefühl, dass die Lieder noch nicht fertig sind, er kann nicht wirklich an seine Songs glauben, an seine Berufung als Liedermacher schon. Als er auf einer Hochzeit spielt, müssen die ihm eher unbekannten Musiker ihn auf Knien bitten, „In deiner Nähe“ zu spielen, ein Lied, an das er sich kaum noch erinnert und an das er auch nicht recht glauben mag. Die Hochzeit endet mit einer Massenschlägerei, weil die Braut mal mit dem falschen Mann tanzt. 

Eigentlich passt der Herr Bohacek ganz gut zu seiner Viki, die jetzt mit dem Deutschen zusammen ist und sie offenbart Rickerl auch das Problem seiner prekären Existenz: Du strengst dich nicht an, Rickerl, du kannst dich nicht anstrengen. Noch nie hast du dich angestrengt.

Es gibt also Menschen, denen es nicht gegeben ist sich anzustrengen. Deshalb hat Rickerl immer das Gefühl, dass seine Lieder nicht fertig sind, es fehlt noch der letzte Schliff, Verdichtung, Tiefe, er traut ihnen nicht. Auf der anderen Seite der Waage stürzt er auch nie komplett ab, wie tief er auch manchmal gesunken ist. Das Leben hält ihn in der Balance, und so bessert er sich (ein wenig). Er tippt seine Songs auf richtiges Papier und macht ein Demo für seinen Manager, der sich tief gerührt zeigt.

Am Ende hat der kleine Dominik, der Sohn, ein Lied gemacht, ein Lied für seinen Vater, der auch sein Kumpel ist. Er singt es ihm vor.

Wir sehen Rickerl lächeln. Er hört gar nicht wieder auf zu lächeln. Ein schöner Film in einem prekären Milieu von Adrian Goiginger. Voodoo Jürgens, der mich ein bisschen an Ludwig Hirsch erinnert, ist der Herr Bohacek.

Unterhosen, Blicke, unauffällige Genies

Privater Jahresrückblick 2023, 4. Quartal B

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Zum Verschenken oder zum Hinsetzen, das ist die Frage © FJK

Die Musik hat das Zeug dazu, den Abend zu versauen. Ich bestelle ein Bier der Marke Baltica. Die Bahn muss lange auf einen Notarzt warten. Ich bin das unauffällige Genie, sagt er. Das hat er als Berufssoldat gelernt. In Deutschland haben auch die Dümmsten die Chance, ganz nach  oben zu kommen. Unsere Autos wurden älter und gebrechlicher, eines hatte Totalschaden, das andere wurde geklaut. Meine neue Uhr sieht aus wie die alte, bloß heiler und neuer. Es war eine lebenslange Freundschaft, von der Nymphe bis zur Matrone. Am meisten sind es Blicke, die sich uns von dieser Ausstellung eingeschärft haben, der vorahnungsvolle Blick eines Jungen mit seinem Kätzchen, der verschlagene Blick eines halbwüchsigen Chauvinsten, aufrührerische, tückische, bange und geradezu apokalyptische Blicke. Die Verlorenheit in einer Welt, die den Leuten nicht wohlgesonnen ist. 

Ich sehe die Klassenbeste mit der Lulle auf dem Balkon, sie hat das Rauchen stark eingeschränkt. Kann sein, dass es gestern an Selbstdisziplin fehlte. Der Beginn des Karnevals ist schon verkündet worden. Wie weit mein Chinesisch reicht: Blatwulst und Lühlei. Boah! Die Alte nervt. Die Junge auch. Die Dicke erst recht. Die Bahn kommt, ein Baby schreit von Karlshorst bis Köpenick. Im Union Zeughaus sage ich, dass sie schwarz flaggen müssten wegen des Endes von Urs Fischer als Trainer, aber sie lassen den Kopf nicht allzu tief hängen. Die Patienten im Warteraum stöhnen und husten mit Inbrunst. Frau Doktor weiß nicht, was das Gute und was das Schlechte ist: rote Zahlen? Schwarze Zahlen? Schwarze Zahlen sind gut, sage ich. Ja. Der Investor schreibt aber rote Zahlen. Neben mir sitzt ’ne schwarz gefärbte Frau mit ’ner Flasche Bier und zieht mich ins Gespräch. Der kaputte Fernsehapparat, die günstige Miete, Umzüge und gute Kumpel, der Kapitalismus und die DDR. Ich sehe zu, dass ich vom Acker komme. Bei Jauch mokiert man sich darüber, dass manche Männer nur einmal in der Woche die Unterhose wechseln. Die Leute gehen an ihren Lebenslügen zugrunde. 

Henry Kissinger ist gestorben. Mit 100. Der Erfinder der Realpolitik (nicht der werteorientierten oder gar feministischen Außenpolitik). Der Tod wird kommen und deine Augen haben … Der Sportredakteur Ahrens hat nicht viel Ahnung vom Fußball. Man sieht es schon daran, dass er oft anderer Meinung ist als ich. Die Frauen wollen unbedingt Parkettfußboden. Und wenn sie ihn haben, legen sie Teppiche drauf. Und die Männer stolpern darüber. Toller Spirit im deutschen Team.  Bekenntniszwang ist immer eine Zumutung. Fahrzeuge und Lebewesen schleichen sich vorsichtig durch den Eiskanal. Der Schlaf kommt nicht zurück. Was war wann mit wem. Manuel Neuer ist so aus der Übung, dass er mindestens vier Mal vergisst zu reklamieren. Der rätselrelevante Buchstabe, den man auch kongenial ergänzen kann. Abends sehen wir einen Film von Ozu. Es geht um Klatschweiber und die Hirngespinste von Kindern. Herausrragend ihre Gesten(alles Jungs). Martina und ihr neuer Freund, der schon wieder ihr Ex ist. Helen Mirren und Donald Sutherland. Es gibt nicht viele, die sowas so spielen können. Leben ohne Arbeit. Arbeit ohne Leben. Tersic sieht aus wie alle Trainer, die demnächst abgelöst werden. Manchmal fragt man sich, wo die alle gelebt haben. Auf dem Mond oder so? In der DDR jedenfalls nicht. Ein paar unstet Beschäftigte mit öligen Klamotten und Trinkergesichtern. Ein Union-Fan, der nicht mehr an Union glaubt. Der fälscht seine eigenen Tagebücher. Die Berliner Zeitung meint: britische Schmonzette. Wenn die wüssten, was man über sie sagt. Timothy Spall. Der alte Mann, der in den Bus steigt und bis ans Ende der Welt fährt. Nie hört man davon, dass die Polizei irgendwelche Täter ermittelt und festsetzt. Taylor Swift und Barbie ziehen die Welt in ihren Bann. Uns hier nicht. Kein bisschen.

Zitate: Cesare Pavese. Wolfgang Schulz

Das Monster

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Sabbath und Portnoy

Die Biographie von Philip Roth ist die Wegscheide. Die zahlreichen Bücher, die ich las, bevor es die Roth-Biographie von Blake Bailey gab, und das, was ich danach las. Nehme ich die Bücher von Roth anders auf, nachdem ich alles über ihn weiß, was ich nicht über ihn wissen wollte?

Bailey hat alles über Roth ausgegraben, was es auszugraben gab, aber er hat den Mann, wie mir scheint, nicht getroffen. Den Kern des Mannes. Er ist in den Fakten ersoffen. In der Sex-Besessenheit. Dann hab ich mich gefragt: Was fehlt mir jetzt eigentlich noch? Was hab ich noch nicht gelesen von Philip Roth. Und einiges las ich auch ein zweites Mal, Portnoys Beschwerden, Der Ghost Writer, Good Bye, Columbus, Der entfesselte Zuckerman. Und zum ersten Mal eines der Hauptwerke: Sabbaths Theater. Hatte ich nicht gelesen. Hatte sich nicht ergeben. Der Titel war mir auch nicht sympathisch.

Es ist Roths dreckigstes Buch mit dem dreckigsten Protagonisten. „Ich habe mich entschieden, lieber meine Laster als meine vermeintlichen Tugenden in Kunst zu überführen“, hatte Roth gesagt. Und Sabbath ist einer, der gar nicht „widerlich, entartet und obszön“ genug sein kann. Insofern hat der Roman Schlagseite. Wir sind so veranlagt, dass wir Tugenden und Laster einigermaßen in der Balance halten und eher etwas besser wegkommen wollen, als wir wirklich sind. Du kannst es jeden Tag im Fernsehen sehen, dass die Leute unbedingt gefallen, ankommen, Beifall und Lacher erhalten wollen. Warum ist Sabbath nicht so? Weil sein Erfinder es so will. Er ist ein ambitionierter Puppenspieler, der in seinen guten Jahren viele Fans hatte. Einer, der mit seinen Händen ungeheuer geschickt war, so geschickt, dass er eine Zuschauerin während seiner Performance entkleiden konnte, ohne dass sie es merkte, die aber dann, als die anderen Leute sich über diese Übergriffigkeit empörten, auch noch auf Sabbaths Seite stand. Das ist Sabbaths Theater gewesen, wo eine „zweideutig unmoralische und vage bedrohliche, zugleich aber freche und lustige Atmosphäre herrschte.“

Ein Sabbath will kein Teil der Gesellschaft sein, ohne einen Grund dafür zu benötigen: „Die Nachrichten waren dafür da, dass Leute darüber redeten, und Sabbath, den der konformistische Lauf genormter Aktivitäten gleichgültig ließ, wollte nicht mit Leuten reden. Es interessierte ihn nicht, wer gegen wen Krieg führte oder wo ein Flugzeug abgestürzt war, oder was sich in Bangladesh ereignete. Er wollte nicht einmal wissen, wie der Präsident der Vereinigten Staaten hieß. Er fickte lieber mit Drenka … Die Spannweite seiner Vergnügungen war schmal und erstreckte sich keineswegs bis zu den Abendnachrichten.“ 

Jede Frau wird auf ihre sexuelle Verfügbarkeit erkundet. Gier, ungeahnte oder auch – was weiß ich – geahnte sexuelle Praktiken, die Inflation der F-Worte – die schwarze Faszination nutzt sich im Laufe eines 500-Seiten-Werks merklich ab. In einigen Episoden ist Roth seltsam ausführlich, als wäre ihm die Ökonomie seiner Prosa gleichgültig.

Nun ist Sabbath alt, die Zauberhände sind verkrüppelt, seine erste Frau ist spurlos verschwunden, die zweite in der Entziehungsklinik, Drenka, die heiß-Geliebte, gestorben. Sabbath masturbiert an ihrem Grab. („Mir war nicht bewusst, dass Masturbation so ein Tabuthema war. Ich fand es eher witzig als skandalös“, sagte Roth zu „Portnoys Beschwerden“.)

Und auch wenn Sabbath ein alter Mann ist, ohne Geld, ohne Haus, ohne Aussichten, einer, der seine Freunde provoziert, seine Helfer betrügt, empfindet man die Tragik im Leben eines eigentlich großen Mannes. Da ist die Verwurzelung in einer liebevollen jüdischen Familie, die Trauer über den Tod, des großen bewunderten Bruders im Krieg, die niemals aufhört, die Verschwendung immenser Talente, von Leidenschaft und Kraft. 

„… Sabbath blieb allein im knöcheltiefen Matsch des Frühlings zurück, ein Blinder, verschlungen von unbekannten Wäldern …  und hatte niemanden mehr umzubringen als sich selbst. Und er konnte nicht. Er konnte einfach nicht sterben. Wie konnte er gehen? Wie konnte er verschwinden? Alles, was er hasste, war hier.“

Roth mochte dieses Buch wie wohl kaum ein anderes seiner Werke. Er war froh über die Freiheiten, die er sich beim Schreiben herauszunehmen in der Lage war. Ich mag es nicht so, es hängt vielleicht mit der Roth-Biographie zusammen. Ich kann ihn einfach nicht als einen Mann sehen, dessen ganzes Glück und dessen ganzes Verhängnis die Frauen waren, der Sex. Man ahnt, warum Roth nie den Nobelpreis bekam.

Geschlechterkampf, Kommandowirtschaft, Schwerhörigkeit

Privater Jahresrückblick 2023, 4. Quartal/A

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Behauste Unbehaustheit © FJK

Auf dem Riesen-Antikmarkt wurde Horst Lichter erwartet, der deutsche Trödelpapst. Die Interessenten wandten sich ab. K. hörte Stimmen, und alles, was er las, kam ihm unsinnig vor. Die Zeit zerbrach irgendwie. Ein Stück der Einheitsfeier in Hamburg haben wir gesehen. In der ersten Reihe der Elbphilharmonie betrachte Bundespräses Steinmeier, wie sich das von ihm gestaltete Land auf der Bühne präsentierte. Momper und die „Intallektuellen“ In diesem Jahr schnappte ein gewisser Fosse aus Norwegen Eugen Verheugen den Nobelpreis vor der Nase weg. Der Anwalt des Ostschlagers besuchte eine Alt-Sängerin oder sie ihn. Letzter Eistag bei Prinzen-Eis. Wer zu spät kommt, muss Strafe in die Mannschaftskasse zahlen. Nancy Faeser bleibt als tragische Gestalt zurück. Umzug. Die neuen Mieter scheinen nur Fahrräder zu besitzen, keine Möbel. Die Möbelpacker sind allzumal Glatzköpfe. Ein Mann aus Schwarzafrika schloss mir den Schrank zu den Pflanzengiften auf und hielt mir einen kleinen Vortag über den Umgang mit Pflanzenschutzmitteln. Jauchs langweilige Extempores und selbstverliebte Kandidatinnen, bei denen man sich freuen würde, wenn sie von 125000 auf 500 € zurückfielen. Früher gab es noch kein Fernsehen. Früher gab es noch keinen arbeitsfreien Sonnabend. Früher gab es noch kein Internet. Früher gab es noch keine Smartphones. Früher gab es noch keinen Euro. Früher gab es noch Saurier. Der Polizist kann auch ein Betrüger sein, sagte der Mann von der Netzgesellschaft. Das Bier war bitter und der Korn zu warm. Eine neue Serie ist nicht immer wie ein neues Leben. Ich staune, sagt der Paukist, dass ich trotz des Lärms im Orchester noch ganz gut höre. Nur meine Frau sagt, dass ich schwerhörig bin. Das sagen alle Frauen zu ihren Männern in dem Alter, sagt die Interviewerin. Schweine, die ihre Sache als Kleindarsteller im Tatort aus Wien gut machen. Die Leute lachen wie irre, wollen sich mit Macht amüsieren, wenn sie schon mal Geld ausgegeben haben. Die vollgefressenen Bürokraten aus den Ämtern lassen sich feiern. Jede dieser 206 Minuten dauert sechzig Sekunden! Frauen nutzten Denunziation als Waffe im Geschlechterkampf. Es scheint, dass der Spitzel zur staatlichen Grundausstattung gehört. Die Nachfrage schafft den Produzenten.  „Abwertende Termini wie ›Unrechtsstaat‹ und ›Kommandowirtschaft‹ vermögen die ostdeutsche Erfahrung ebensowenig aufzuschließen wie die Großbegriffe ›Totalitarismus‹, ›Gewaltherrschaft‹ und ›Diktatur‹.“ Deutschland schafft sich ab, wie auch die Männer sich selbst abschaffen. Isch will nur wähnisch, sagte der Opa aus Sachsen. Und dann hat der gefressen!  Was andere Gott nennen, nenne ich Schicksal. – Ich auch. Resilienz ist das Wort der Stunde. Ein bisschen Nettigkeit, und die Welt sieht anders aus. Alles ist Geschehen, Leiden und Überstehen. Nach zwei Wochen Trockenheit überschlagen sich die Apokalyptiker; alles verdorrt, Weltuntergang. Wer hat Lust auf eine Mannschaft, die keine Tore schießt! Jede Story endet in der Ausweglosigkeit, Beziehungslosigkeit, irgendwo draußen vor der Tür. 

Zitat: Wolfgang Engler, Die Ostdeutschen, Aufbau Verlag