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Posts Tagged ‘Joachim Löw’

Ende Legende

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Marokkos Fahnen bleiben, zumindest in Erinnerung

© ET

Bela Rethy hört auf.  Im gepflegten Qualitätszeitungs-Deutsch heißt das, dass er seine Abschiedsrunde vor der Rente dreht. Man wirft ihm noch einiges hinterher: Er befindet sich nie auf Ballhöhe. Er verwechselt Spieler usw. Klingt etwas hochnäsig und ungnädig. Ich habe keine Ahnung, ob es eine spezielle Ausbildung zum Fußballreporter gibt, es hört sich nicht so an. Wie ist man nicht seinerzeit über Heribert Faßbender hergezogen,. und wie gerne hat man den etwas abgedrehten Marcel Reif gelobt. Wir haben mal nachgesehen. Zwischen 2012 und 2014 haben wir Bela Rethy häufig auf unserem Blog erwähnt. Danach hatten wir uns an ihn gewöhnt, „nicht zuletzt, weil er von einigen seiner Reporterkollegen regelmäßig unterboten wird.“ Einige Zitate aus dieser Zeit:

Wenn man genau hinhört, stellt man fest, dass er punktuell über einen trockenen Humor verfügt. Bei einem Spiel experimentierte er sogar wiederholt mit dem Konjunktiv. Das hat er im folgenden Spiel zwar wieder unterlassen, anerkennen muss man es trotzdem, ich meine, er hat es freiwillig getan, niemand hat ihm befohlen, sich als „Statthalter des Möglichkeitssinns” (Sloterdijk) zu versuchen. Dieser Mann weiß sich in seinen späten Jahren noch zu steigern, wo andere längst in Selbstgefälligkeit erstarrt sind. / Der brave ZDF-Reporter Bela Rethy schreit, dass Boateng fällt, in der Hoffnung, dass der Schiedsrichter ihn hört und ein Offensivfoul pfeift, aber Messi hat Boateng nicht einmal berührt. / „Ein Gänsehautauftritt der deutschen Elf, aber auch Mitgefühl für die Brasilianer”, sagte der einfühlsame Bela Rethy, und dann warf er sich für den brasilianischen Stürmer Fred in die Bresche, der von den eigenen Fans gnadenlos ausgepfiffen wurde: „So ist das, wenn die Massen einen ausgucken.” Am liebsten hätte er wohl gesagt: der Mob. / Was Positives über Bela Rethy: „Da ist keiner. Er köpft dahin, wo er selber steht normalerweise“, sagt er über einen mexikanischen Stürmer. Mehr davon bitte. / „Ich lehne mich jetzt aus dem Fenster“, knödelt Bela Rethy, „der Ausgleich ist fällig.“ Und dann sagt Bela Rethy: „Applaus für Joachim Löw, der den zweiten Ball vom Spielfeld entfernt.” Ich fasse es nicht. Er sagt es ohne eine Spur von Ironie. Es soll heißen, das Lauterer Publikum bejubelt eine Heldentat des Bundestrainers. / Auch ZDF-Reporter Bela Rethy erkannte rasch, dass es ein leichtes Spiel sein würde und ließ in seiner Entspanntheit ganz gegen seine Art einige drollige Sätze vom Stapel. „Müller fummelt sich da irgendwie durch.” „Kasachstan gelang schon mal ein 2:2-Sieg gegen Serbien.” „Schweinsteiger wird da niedergerungen regelrecht.” (Er rang sich, glaube ich, selbst nieder.) Der beste Satz war aber dieser: „Die deutsche Mannschaft hat sich selbst eingeschläfert.” Das stimmte zum Glück nicht, besaß aber doch einen morbiden Charme. / Es lief dann so: Brasilien spielte die Fouls, Spanien kassierte die gelben Karten, und Bela Rethy vom ZDF forderte Rot. Es ist eine große Sehnsucht in ihm, die Akteure auf dem Platz in seiner gemütlichen Reporterkabine noch zu übertreffen, eine sehr sportliche, aber noch mehr absurde Haltung. Da er nun schon so lange dabei ist, der gute Bela, glaubte er immer, zu jeder halben Spielsituation eine ganze Theorie liefern zu können, was ihn unweigerlich zum Totalopportunisten macht. / Wer den FC Bayern nicht vollmundig feiert, kommt in den Knast, so hört sich das an. Ein wunderbares Bewährungsfeld für das ZDF-Team mit Bela Rethy an der Spitze. Dem fällt außer seinen Heldengesängen über Schweinsteiger, Kroos und vor allem Robben, der jetzt auch nach hinten, um Missverständnisse zu vermeiden: in der Defensive, arbeitet, nichts ein außer unablässigen Schiedsrichterbewertungen. Jede Entscheidung gegen die Bayern ist zweifelhaft bis grob fehlerhaft. Wie vorhersehbar und langweilig ist das doch. Und der gute Oli Kahn als Experte in seiner sachlichen, unoriginellen Art hat offensichtlich einen Schreck nach seiner Nationalmannschaftskritik bekommen und passt sich der Festtagsstimmung wieder an. / Die Stimme Bela Rethys knatterte über unseren Köpfen. Er hatte offenbar mit Reißzwecken gegurgelt und sich einen Stahlhelm von Hansi Flick ausgeborgt.

Bei manchem Detail weiß man nicht mehr, wie man darauf gekommen ist, etwa die Sache mit dem Stahlhelm. Was aber bleibt, ist, dass wir uns mit den Jahren an Bela Rethy gewöhnt haben und ihn gut ertrugen. Ich komme noch mal auf den Humor zurück, der immer mal wieder aufblitzte. Und was nachkommt, ist nicht besser. Klar, die haben auch die Chance, sich zu steigern. Ich will nur darauf hinweisen, dass die größte Gefahr darin besteht, dass sie besonders tiefgründig oder absichtlich witzig sein wollen. Ansonsten kommentieren sie so gut, wie das deutsche Team eben spielt. 

Draußen vor der Tür

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Nicht jeder, der hoch steigt, muss auch tief fallen

© JuE

Belgien ist draußen. Marokko Gruppenerster. Auch Deutschland ist draußen. Wer ist mehr daran schuld: Spanien, das gegen Japan verliert (aber das ist uns ja auch passiert) oder Japan, das gegen Spanien gewinnt (aber das haben sie gegen uns ja auch geschafft)? Costa Rica hat für uns die Tür zur Ko-Runde noch mal aufgemacht, aber nicht so weit, wie wir annahmen. Und dass wir im Falle eines Falles sieben Tore gegen Costa Rica schießen und keines reinkriegen – das konnte man ausschließen. Symbolfigur dieses desaströsen Ausscheidens ist Thomas Müller. Immer in der Startelf (obwohl ohne Spielpraxis), immer der Anführer auf dem Feld und am Spielfeldrand einen flotten Spruch auf den Lippen, war er beispielhaft uneffektiv. Die fehlende Effektivität war ja das, was Trainer Flick am Ende als unser Manko definierte. Müller lief ständig mit weit vorgeneigtem Oberkörper den gegnerischen Torwart an (was immer brotloses Bemühen war), machte seine Mitspieler heiß und hatte keine Torbeteiligung. Der Hauptgrund unseres Ausscheidens war aber doch ein anderer: die irre Dramaturgie in dieser Vorrundengruppe E. Japan gewinnt gegen Deutschland, Japan gewinnt gegen Spanien. Costa Rica verliert 0:7 gegen Spanien und gewinnt gegen den Spanien-Bezwinger Japan 1:0. Da kann man doch verrückt werden! Und noch was: Wir sind nicht so gut, wie wir dachten, dass wir es seien. Wenn der Alt-Bundestrainer Löw im Vorfeld meint, dass wir Weltmeister werden könnten, dann ist das schon mal ein ganz schlechtes Omen. Es fehlte vorne an einem echten Zielspieler, der Niklas Füllkrug vielleicht hätte sein können, weiß man nicht, er kam zu spät dazu, wie auch Mario Götze. An die Qualität der hüft- und denksteifen Innenverteidigung glaube ich nicht, und auf den Außenpositionen könnten wir auch besser sein. Letztlich waren wir uns zu sicher und haben im Vorfeld zu wenig ausprobiert. Genauso mittelprächtig wie das Team waren die begleitenden Medien. Nervende Kommentare und Besserwissereien. Wenn Gündogan und Müller ausgewechselt werden, verliert die Mannschaft ihre Ordnung. Auf diese Deutung muss man erst mal kommen. Es liegt doch auf der Hand, dass beide in ihren späten Jahren nicht mehr die Power für neunzig Minuten haben. Und in zwei Spielen wurde die Mannschaft besser, als Gündogan und Müller draußen waren. Vergessen wir auch nicht: Es sind letztlich Millimeterentscheidungen. Das eine Tor, das Spanien zu wenig und Japan zu viel schießt, wobei der Ball vor dem 2:1 Japans vielleicht doch schon im Aus gewesen war. Dieses eine Tor mehr oder weniger. Wenn dieses fällt und jenes nicht fällt, sind wir in der Ko-Runde und finden uns ganz großartig. Die absolut überzeugende Mannschaft hat es bei dieser WM bisher noch nicht gegeben.

Wir müssen heute nicht mehr so patriotisch sein, wie wir es es früher waren. Wenn dieses Vorrunden-Aus (nebenbei mit sieben Bayern-Spielern in der Startelf) zu einer Selbstbesinnung und einem Ende der Selbstüberschätzung führt, können wir nur dankbar sein.

Klatsche, Abreibung, Ankunft im Alltag?

Dunkle Wolken über der Mannschaft
© JuTH

Was war da los, fragen alle, die es nicht gesehen haben. Der Einbruch der Wirklichkeit in den tranigen deutsche Fußballtraum – das war los. Wir wollen ja mindestens ins Halbfinale der Fußball-EM und werden nicht müde zu betonen, dass wir seit zwölf Spielen unbesiegt waren. Bei der Gelegenheit vergisst man gern, was das für Spiele waren und dass gegen die Ukraine nicht Manuel Neuer der weltbeste Torhüter war, sondern der Torpfosten, nur mal als Beispiel. Die Ergebnisse waren weit über unseren Fähigkeiten; sowas gibt’s.
Und jetzt gegen Spanien 0:6. San Marino hätte auf dieses Spiel stolz sein können; für uns brachte es die Konfrontation mit der rauhen Wirklichkeit. Bei schlechten Spielen sprach Franz Beckenbauer früher von unseren deutschen Rumpelfüßlern. Hier nun waren die deutschen Statisten am Werk. Sie liefen den schnellen Passfolgen der Spanier nur hinterher. Und das gegen ein Team, das gerade gegen die Ukraine verlor und gegen die Schweiz mit Mühe unentschieden spielte.
Nach dem bösen Erwachen wurde nach Erklärungen herumgestochert. Wir wollten zuerst tief stehen, das hat nicht geklappt. Dann wollten wir hoch pressen, das hat aber auch nicht funktioniert. Es fehlten Körperspannung und Körpersprache. Ach was. Es fehlt schlicht und einfach eine Spielidee. Ein Trainer, der innerlich leer ist, stellt sich anscheinend vor, dass es mit der Passmaschine Kroos, ein paar Einfällen von Gündogan und drei schnellen Spitzen getan ist; er kann sich gar nicht genug freuen über die Schnelligkeit dieser Stürmer. Die kamen aber gar nicht an den Ball!
Und nun die andere Mannschaft: Bei den Spaniern war auffällig, dass der ballführende Spieler immer mindestens zwei Anspielstationen hatte. Für Liebhaber der Geometrie wäre es aufschlussreich, das Muster der Passfolgen der Spanier zu entschlüsseln. Selbst im Gedränge der Box und gegenüber einer doppelten Viererkette fanden sie immer Möglichkeiten.
Wir hingegen müssen feststellen, dass der Trainer nach nunmehr zwei Jahren noch immer keine funktionierende Innenverteidigung gefunden hat. Das, was jetzt auf dem Platz steht, wirkt ältlich, schläfrig und hüftsteif. Und trotzdem sind wir irgendwie erlöst. Wie immer, wenn man endlich die Wahrheit gesehen hat. So steht es also um uns.

Den Fußball versteht nur einer

Rolltreppe runter

Als ich einschaltete, hatte Leroy Sané gerade das zweite Tor geschossen, ich sah noch die Wiederholung. Deutschland – Niederlande 2:0. Ich hatte gedacht, einer Beerdigung erster Klasse beizuwohnen und erlebte nun eine Wiederauferstehung? Heikel war die Lage trotzdem. Trainer Löw hatte sich sozusagen eine doppelte Falle gestellt. Wenn er Sané nicht aufbietet, würden alle sagen. Warum stellt dieser Versager ihn nicht auf. Und wenn er ihn mitspielen lässt, sagen sie: Mann! Warum hat er den nicht mit nach Russland genommen! Zur WM! Alles wäre anders gekommen. Ja. Werner, Gnabry, Sané. Deutschland hat jetzt einen schnellen Sturm. Und wer einen schnellen Sturm hat, hat auch die Chance steile Pässe zu spielen, die die Deckung des Gegners aufreißen. Und wir, also die Deutschen, griffen früh an, gaben den Niederländern keine Chance, ins Spiel zu finden, die Räume waren zugestellt. Und wir hatten weiter gute Gelegenheiten, das 3:0 zu machen. Jeder weiß, dass ein 2:0 ein gefährlicher Spielstand ist. Und ich wartete darauf, dass noch was passiert, etwa, dass Neuer bei seinem ständigen Rauslaufen hängenbleibt und der Ball in unserem Tod landet. Trainer Löw hatte eine lange, lange, lange Glückssträhne. Das ist jetzt vorbei, was nicht heißt, dass er jetzt eine Pechsträhne hätte, nein, er ist einfach auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Nicht wenige Leute sagen ihm – optisch durchaus nachvollziehbar – eine Verwandtschaft mit Mireille Matthieu nach. Der große Mann mit der kleinen Stimme. Der mir wie ein Schlafwandler vorkommt. Sätze wie im Halbschlaf: Wer denkt, dass wir immer unter den Top Vier der Welt sein müssen, hat den Fußball irgendwie nicht verstanden. Kein Mensch hat das erwartet. Aber wir sind ja alle blöd. Und der Schlaue wechselt seine drei schnellen Stürmer aus. In der 85. Minute machen die Holländer das 1:2. Danach bleibt ihr langer Innenverteidiger vorn, in unserem Strafraum. Nicht umsonst. In der Nachspielzeit haut er den Ball volley rein. 2:2. Welttorhüter Neuer ist verzweifelt. Wieder kein Sieg am Ende dieser total verkorksten Saison. Moderator Matthias Opdenhövel fragt in der Nachbereitung, ob man den Sané nicht doch hätte mit nach Russland nehmen sollen. So wie er jetzt spielt, sagt Trainer Löw, und unterstellt, dass Sané, den er nun wieder wie Sahne ausspricht, nur dadurch so ein guter Spieler geworden ist, dass Löw ihn aus dem Aufgebot strich. Daraus habe er seine Lehren gezogen und sei dieser Klassespieler geworden. Opdenhövel lässt nicht locker. War er nicht schon vor der WM so gut? Schnee von gestern, ruft Löw in einem missglückten Ironie-Versuch. Er gebärdet sich wie ein Gewinner, obwohl er verloren hat, was man irgend verlieren kann. Mit seiner aberwitzigen Idee, Sané zu streichen, hat er sich selbst in eine groteske Lage gebracht. Er kann nur hoffen, dass der Spieler sich demnächst verletzt oder in die Formkrise gerät. Die Dramaturgie der Löw-Epoche scheint darauf hinauszulaufen, dass er zum Totengräber des deutschen Fußballs wird, vom Weltmeistertrainer zum Totengräber.

Wir waren trübe Tassen

Die Netze haben unsere Stürmer nicht gerade zerschossen in Russland. – Welche Stürmer?

Nach dem Spiel, der Niederlage und dem Ausscheiden in der Vorrunde in echt weltmeisterlicher Tradition (Italien 2010, Spanien 2014) zog Realismus ein, um den wir uns vorher vergeblich bemühten. Wir haben es nicht verdient, weiterzukommen, sagte Trainer Löw in ungewohnter Klarheit.

Das Spiel Deutschland gegen Südkorea war ein typisches 0:0-Match, mit dem wir allerdings auch ausgeschieden wären. Wir bekamen den Ball nicht ins Tor, und Südkorea war nicht in der Lage, seine Konter sauber auszuspielen. Dass dann ausgerechnet in der Nachspielzeit, die wir so lieben, zwei Tore für die Koreaner fielen, macht diese Niederlage zu einer grandiosen Parodie. Und auch zu einem Denkzettel für die Realitätsverweigerer in der Medienmeute, die jetzt noch sagen: Die Südkoreaner haben nur einen einigen Kicker von Weltklasse in ihren Reihen. Wie viele Spieler von Weltklasse hatten wir denn gestern auf dem Platz? Angeblich waren wir das spielerisch viel bessere Team. Woran bemisst sich das? Ich erinnere kurz mal daran, dass ein FAZ-Fußballfachjournalist namens Penders das Gesetz der Serie bemühte, um uns zur Titelverteidigung zu schreiben: Thomas Müller wird wie bei jeder WM seine fünf Tore schießen und da Timo Werner noch bei jedem Nachwuchsturnier Torschützenkönig wurde, wie Joshua Kimmich miterlebte, so wird er diesen Titel  auch in Russland erringen und mindestens sechs Tore schießen. Was für ein Traumtänzer.

Wir waren trübe Tassen. Der ballführende Spieler war die ärmste Sau, weil er so gut wie keine Anspielstationen hatte. Es ist nicht immer nur eine Frage der Leidenschaft, der Opferbereitschaft, es ist auch eine Frage der Lust auf schnelle Passfolgen, Doppelpässe, Tricks. Wer hat hier überhaupt Lust, mit wem zu spielen, zu zaubern, Laufwege zu kennen oder zu ahnen, blindes Verständnis zu zeigen?

Ziemlich am Anfang sagte ich im ahnungsvollen Selbstgespräch über den Welttorhüter: Heute ist er fällig. Er ließ den Ball abprallen und versuchte hochmütig, Gegenspieler außerhalb des Strafraums auszuspielen. Dass er am Ende im Wahn war, die Tore selbst erzielen zu können, kann man nur als Indiz für eine sonderbare Abgehobenheit werten. Oder Thomas Müller, der nach dem 0:1 erst recht glaubte, im Rest der Nachspielzeit die Entscheidung zu erzwingen und einen neuen Mythos schaffen zu können.

Immerhin: Die Frisuren saßen bis zur zehnten Minute der Nachspielzeit. Unzureichend war hingegen die Hilfestellung des amerikanischen Schiedsrichters. Was nützen vier gelbe Karten für Südkorea (keine für uns), wenn er sich nicht ermannen kann, zu gelbrot oder auch glattrot zu greifen! Eine Überzahl hätte unserem Team unter Umständen genützt.

Wir sind draußen. Das ist schon Größeren widerfahren. Den Rest der Weltmeisterschaft verfolgen wir entspannt. Mit dem Blick auf die jüngste Fußballvergangenheit sagen wir: Das Vorrunden-Aus war folgerichtig. Hier war das Schicksal mal konsequent. Wäre echt schlimmer gewesen, wenn wir uns bis ins Halbfinale durchgewurstelt hätten.

Ist es Amnesie?

Früher war mehr Lametta

Spiegel online hat sich als einzige Zeitung daran erinnert, was sie vor vier Tagen geschrieben hat. Die Russen scheiden trotz des 5:0 gegen Saudi-Arabien noch in der Vorrunde aus. Weil sie spielerisch zu schwach sind. Wie sich zeigte, war das Quatsch. Aber Spon hat sich dazu bekannt. Das ist selten. Ansonsten kriegt man Maulsperre, wenn man liest, wie die Medienmeute umschwenkt. Besonders, wenn’s um die Nation geht. Also nach der deutschen Auftaktniederlage gegen Mexiko. Das ist dann nicht nur ein mieses Match, wie es jeder Favorit auf dem Weg zum Titel (oder auch nicht) hinlegt, man wird gleich prinzipiell und wähnt sich der Apokalypse nah. Unser Freund Horeni, den wir ja als Hofberichterstatter Löws der ersten Stunde kennen, geht in Totalopposition. Wahrscheinlich hat Löw ihm nach der Niederlage ein Interview verweigert. „Der Bundestrainer … zog sich immer weiter in sich selbst zurück.” Oder: „Die Wirklichkeit … prallt an den Plänen des Bundestrainers ab.” Horeni hält sich anscheinend etwas darauf zugute, dass er aus kaum beachteten Details eine Weltanschauung ableitet. Hier trifft es Toni Kroos. Der Taktgeber glaubte gefoult worden zu sein, lag am Boden und nahm den Ball auf. Aber der Schiedsrichter hatte gar nicht gepfiffen. Das wollte Kroos nicht glauben „und bot ihm die Stirn”. Na so was. Horeni nennt das eine „selbstgefällige Wirklichkeitsverleugnung, der sich Toni Kroos hingegeben hatte.” Und weitet diese frappante Wirklichkeitsverleugnung auf das ganze Team aus. „Schaffen es die Weltmeister von 2014 noch, in der Realität der Weltmeisterschaft 2018 anzukommen?” Schließlich diagnostiziert Horeni einen Konflikt der Generationen. Die selbstgefälligen Alten wie Kroos und Hummels gegen die hungrigen Jungen. Kroos und Hummels sind 28 und 29, das kann man fast noch bestes Fußballeralter nennen. Und gerade die Jungen im Team (Kimmich, Draxler und Werner) zeigten sich überhaupt nicht jung, schnell und dynamisch. Trotzdem, Horeni bleibt bei seinem Stiefel: „… das Alte und die Alten sind mächtig. Vermutlich zu mächtig für einen Wandel …”

Hosianna und Kreuziget ihn. Ist es Amnesie? Hat er und haben die anderen Apokalyptiker vergessen, was sie vier Jahre lang gedichtet haben? Wie sie jeden aus dem 2014er Aufgebot stets und ständig als Weltmeister titulierten, auch wenn er keine Minute des Turniers gespielt hatte? Wie sie Manuel Neuer immer wieder zum besten Torwart der Welt ausriefen? Wie sie nicht müde wurden, von der Mission Titelverteidigung zu reden? Und ist ihnen entgangen, dass auch die anderen Favoriten Schwierigkeiten mit ihren Gegnern hatten, nur mühsam gewannen oder gerade mal ein Unentschieden erreichten? Woher kommt diese Hysterie? Diese Weltuntergangsstimmung bei einem verlorenen Fußballspiel?

 

Gute-Laune-Kicker

Wenn ich nach Hause komme und Deutschland spielt, etwa in der 60. Minute gegen USA; Löw gegen Klinsmann, die Väter des deutschen Fußballwunders, es steht 1:1 … Ich sehe keine deutsche Torchance, aber einige amerikanische, auch kluge Spielzüge der US-Boys. Es scheint, dass Klinsmann taktisch doch Einiges drauf hat, was man ihm ja so gerne absprach, nachdem Löw das Kommando übernommen hatte (alles, was an Klinsmann gut war, kam eigentlich von Löw; so ungefähr wurde das kommuniziert in der, hihi, Lügenpresse). Dann kommt es, wie es kommen muss: Bobby Wood, ein Zweitligaspieler von München 1860, schießt das 2:1 für die Amis. Khedira trifft in der vierten Minute der Nachspielzeit nur noch die Latte. Der Weltmeister kommt einfach nicht richtig auf die Beine. Löw geht auf Klinsmann zu, krampfig lachend, als wären das Spiel und die deutsche Niederlage nicht mehr als ein Schwank gewesen. Ja, wir können auch Humor. Und über den Schwank hinaus: Die deutschen Kicker waren müde, haben alle noch Sand zwischen den Zehen vom Kurzurlaub, den sie wegen dieses Spiels unterbrochen haben.

Ob Löw eigentlich glaubt, dass er Lukas Podolski einen Gefallen tut, wenn er ihn immer wieder einsetzt, obwohl er bei Inter Mailand nur noch Ersatzspieler war und wenig Spielpraxis hat? Wahrscheinlich findet er seine Unbekümmertheit einfach entzückend. Und FAZ-Horeni meint, dass Podolski sich zweifellos „zur größten Identifikationsfigur unter vielen deutschen Weltmeistern entwickelt hat”. Rätselhaft, woher er sowas weiß. Podolski hat’s schwer, auch wenn er sich immer fröhlich gibt. Seine Missgeschicke weisen darauf hin, dass er übermotiviert ist. Bei Inter erregte er Aufsehen beim Versuch, eine Ecke zu schießen. Spieler strauchelte, Ball blieb ungerührt liegen. Auch gegen die USA hatte er einen Slapstick im Zweikampf mit sich selbst an der Seitenlinie. Ball weg, Publikum lacht. Spieler trägt Kapitänsbinde, ausgerechnet jener Podolski, der einst den Kapitän auf offener Szene ohrfeigte, weil der ihm klarmachen wollte, dass er auch was für die Defensive tun soll. Das wurde natürlich goutiert. Podolski ist ja der Gute-Laune-Kicker, der für das Klima der Mannschaft so wichtig ist. Angeblich. Spielt nicht im Verein, spielt aber in der Nationalmannschaft. Solche Schwänke können auch mal tragisch werden.

Von der Wortkunst des Bundestrainers

Die Fußballberichterstatter, hier Christian Kamp von der FAS, erläutern uns, wie bedeutungsvoll die Auftritte unseres Bundestrainers Löw vor der Presse sind; das würden wir ohne ihre Hilfe nicht mal erahnen. „Löw ist”, raunt Kamp, „wie ein Politiker gebrieft und vorbereitet. Weil er manchmal gerne selbst die Themen setzen will. Und weil er dann zugleich griffige Formeln parat hat, um seine Anliegen möglichst wirksam in Worte zu verpacken.” Das haben wir noch nicht gewusst. Wir dachten, Löws Begabungen lägen auf anderen Gebieten und dürfen staunen. Und staunen abermals, wenn der Berichterstatter die Belege für Löws Wortkunst anführt. Für die Zukunft des Fußball-Nationalteams müssen wir „noch einen weiteren Weg nach Rom kennenlernen”. „Wir müssen uns ein Stück weit neu erfinden.” „Wir sind in die Phase geraten, wo wahnsinnig viel über Systematik diskutiert wird.” „Wenn man vor dem Spiel auf die Tabelle geschaut hat, war ein gewisser Ernst zu erkennen.” Ja, gewiss, ohne die Handreichung des Fußballberichterstatters hätten wir die Bedeutung dieser Formulierungen des Bundestrainers nicht erkannt. Und auch jetzt bleibt ein Restverdacht. Ist der Fußballberichterstatter vielleicht im Hauptberuf Satiriker? Will er Löw veräppeln? Oder uns? Oder macht ihn der Beruf irgendwie krank? Egal. Wenn man nach dem Spiel gegen Georgien (2:0 für den Weltmeister) auf die Tabelle schaut, dann ist eine gewisse Erleichterung zu erkennen. Wenn auch noch keine Entwarnung.

Kann man selbstloser sein?

Wenn Joachim Löw spricht, muss der Zuhörer auf Feinheiten achten. Zunächst hören sich seine Statements banal und klischeehaft an, aber das täuscht. Nach dem 1:0-Sieg gegen Frankreich, der den Einzug ins Halbfinale bedeutete, sagte der Bundestrainer scheinbar lapidar: „War ’ne Klasseleistung, auch von der Mannschaft.”

Wer genau zuhörte, bekam also mit: Jogi Löw beansprucht den Sieg und das Etikett Klasseleistung nicht für sich allein. Er räumt ein, dass auch das Team, die 14 aufgelaufenen Spieler, einen gewissen Anteil am Sieg haben. Kann ein Trainer selbstloser sein?

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Der Hansi, der Andi und ich

Die Fußballweltmeisterschaft naht. Der Bundestrainer tritt, zurückhaltend vornehm gekleidet, in den heiligen Hallen der DFB-Zentrale in Frankfurt am Main vor die Journalisten, um den erweiterten Kader des deutschen Teams öffentlich zu machen. 30 Kicker, von denen demnächst sieben noch aussortiert werden müssen. Die Namen verkündet allerdings nicht Joachim Löw, sondern ein offizieller Stadionsprecher oder Marktschreier. Es hört sich so an, als hätte jeder gerade einen großen Titel gewonnen. Überraschungen bleiben aus. René Adler wird nicht dabei sein, Heiko Westermann wird nicht dabei sein, Max Kruse wird nicht dabei sein, Mario Gomez wird nicht dabei sein. Wie soll man auch jemanden zur Weltmeisterschaft schicken, der in dieser Saison vielleicht gerade mal sieben, acht Spiele gemacht hat. Und selbstverständlich wird auch der Stefan Kießling nicht dabei sein. Da ist der Trainer eisern; das wissen die Journalisten, da fragen sie gar nicht mehr nach. Aber nach Gomez muss sich ein Biedermann noch erkundigen, obwohl der Fall klar auf der Hand liegt. Vorab hat Manager Oliver Bierhoff in seiner langweilig-zuversichtlichen Manier einen Film über das WM-Quartier moderiert. „Wir sind flexibel. Wir lamentieren nicht. Wir freuen uns einfach, hier zu sein.” Der Bundestrainer wiederum sagt mit badischer Zunge, dass wir nicht den nationalen Fußballnotstand ausrufen müssen (hatte auch keiner vor). Man freut sich „wahnsinnig” auf das Vorbereitungsspiel gegen Polen, auch wenn der Kern des Teams (die Kicker vom FC Bayern und vom BVB) nicht dabei sein wird. Hinter jedem nominierten Spieler steht ein klares Ja, da sind sich „der Hansi, der Andi und ich” (der Jogi) einig. Der Sami (Khedira) ist eine Ausnahme, der ist ja gerade erst von einem Kreuzbandriss genesen und kann noch nicht in Hochform sein, aber man will auf ihn nicht verzichten auf Grund seiner starken Persönlichkeit und seiner herausragenden Fähigkeiten. Es geht familiär zu beim DFB, so betreten auch fünf Vertreter des zahlenmäßig mächtigen Amateurlagers die Bühne und geben im Namen aller deutschen Fußballfreunde dem Team die besten Wünsche mit auf den Weg nach Brasilien. Eine Aktion, deren Hintersinn man nicht so ganz versteht, wenn sie denn einen hat. Aber den Hansi, den Andi und mich (den Jogi) wird’s trotzdem freuen.