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Posts Tagged ‘Mario Götze’

Draußen vor der Tür

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Nicht jeder, der hoch steigt, muss auch tief fallen

© JuE

Belgien ist draußen. Marokko Gruppenerster. Auch Deutschland ist draußen. Wer ist mehr daran schuld: Spanien, das gegen Japan verliert (aber das ist uns ja auch passiert) oder Japan, das gegen Spanien gewinnt (aber das haben sie gegen uns ja auch geschafft)? Costa Rica hat für uns die Tür zur Ko-Runde noch mal aufgemacht, aber nicht so weit, wie wir annahmen. Und dass wir im Falle eines Falles sieben Tore gegen Costa Rica schießen und keines reinkriegen – das konnte man ausschließen. Symbolfigur dieses desaströsen Ausscheidens ist Thomas Müller. Immer in der Startelf (obwohl ohne Spielpraxis), immer der Anführer auf dem Feld und am Spielfeldrand einen flotten Spruch auf den Lippen, war er beispielhaft uneffektiv. Die fehlende Effektivität war ja das, was Trainer Flick am Ende als unser Manko definierte. Müller lief ständig mit weit vorgeneigtem Oberkörper den gegnerischen Torwart an (was immer brotloses Bemühen war), machte seine Mitspieler heiß und hatte keine Torbeteiligung. Der Hauptgrund unseres Ausscheidens war aber doch ein anderer: die irre Dramaturgie in dieser Vorrundengruppe E. Japan gewinnt gegen Deutschland, Japan gewinnt gegen Spanien. Costa Rica verliert 0:7 gegen Spanien und gewinnt gegen den Spanien-Bezwinger Japan 1:0. Da kann man doch verrückt werden! Und noch was: Wir sind nicht so gut, wie wir dachten, dass wir es seien. Wenn der Alt-Bundestrainer Löw im Vorfeld meint, dass wir Weltmeister werden könnten, dann ist das schon mal ein ganz schlechtes Omen. Es fehlte vorne an einem echten Zielspieler, der Niklas Füllkrug vielleicht hätte sein können, weiß man nicht, er kam zu spät dazu, wie auch Mario Götze. An die Qualität der hüft- und denksteifen Innenverteidigung glaube ich nicht, und auf den Außenpositionen könnten wir auch besser sein. Letztlich waren wir uns zu sicher und haben im Vorfeld zu wenig ausprobiert. Genauso mittelprächtig wie das Team waren die begleitenden Medien. Nervende Kommentare und Besserwissereien. Wenn Gündogan und Müller ausgewechselt werden, verliert die Mannschaft ihre Ordnung. Auf diese Deutung muss man erst mal kommen. Es liegt doch auf der Hand, dass beide in ihren späten Jahren nicht mehr die Power für neunzig Minuten haben. Und in zwei Spielen wurde die Mannschaft besser, als Gündogan und Müller draußen waren. Vergessen wir auch nicht: Es sind letztlich Millimeterentscheidungen. Das eine Tor, das Spanien zu wenig und Japan zu viel schießt, wobei der Ball vor dem 2:1 Japans vielleicht doch schon im Aus gewesen war. Dieses eine Tor mehr oder weniger. Wenn dieses fällt und jenes nicht fällt, sind wir in der Ko-Runde und finden uns ganz großartig. Die absolut überzeugende Mannschaft hat es bei dieser WM bisher noch nicht gegeben.

Wir müssen heute nicht mehr so patriotisch sein, wie wir es es früher waren. Wenn dieses Vorrunden-Aus (nebenbei mit sieben Bayern-Spielern in der Startelf) zu einer Selbstbesinnung und einem Ende der Selbstüberschätzung führt, können wir nur dankbar sein.

Die Scheiße am Schuh

Wo geht die Reise hin? Lieber ein echtes M als eine falsche Neun © Fritz-Jochen Kopka

Wo geht die Reise hin? Lieber ein echtes M als eine falsche Neun
© Fritz-Jochen Kopka

Wir sind keine Turniermannschaft mehr. Wieso denn? Wir haben gestern doch ein großes Spiel gemacht! Ja, schon. Leider ist es so, dass unsere Spieler im Laufe des Turniers umfallen wie die Fliegen und nicht mehr weiterkönnen. Ohne Einwirkung des Gegners. Zuerst Gomez und Khedira. Und gestern nun Boateng. Ich fühlte mich an das Aussterben der Saurier erinnert. Ein Teil unserer Kicker hält ein solches Turnier einfach nicht mehr durch. Und auch Schweinsteiger war nicht im Vollbesitz seiner physischen und geistigen Kräfte. Er wurde zwar bis zur Nachspielzeit der ersten Halbzeit sehr gelobt – aber brauchten wir das wirklich? Einen zusätzlichen Mann zwischen den beiden Innenverteidigern, der einen souveränen Salonfußball spielt mit vielen überlegten Querpässen? Und dann der Blackout. Ich meine, wer so mit der Faust zuerst im Strafraum zum Ball geht – wie kann der sich noch über einen Elfmeter beschweren? Na gut. Ich brauche gar nicht so blöd zu fragen, ich weiß es ja. Schweinsteiger war immer einer, der glaubte, dass bestimmte Regeln im Fußball für alle und jeden gelten, aber nicht für ihn. Etwa, dass Handspiel verboten ist. Oder dass man seinem schnelleren Gegenspieler nicht heimtückisch mit beiden Fäusten in den Rücken drischt. In Deutschland hat man ihm das alles durchgehen lassen, weil er seine Fouls mit so großer Selbstverständlichkeit beging. International ist das schon anders.

Kurz und gut. Ich empfinde jetzt so etwas wie Erleichterung. Der große Druck ist weg. Wir haben ein wirklich gutes Spiel gemacht und sind im Halbfinale ausgeschieden. Wir müssen jetzt nicht mehr leiden mit Thomas Müller, der bei dieser EM wirklich zum Karl Valentin des Fußballs geworden ist (Man konnte früh sehen, dass er in diesem Turnier die Scheiße am Schuh hat und hätte ihm ein oder zwei Spiele frei geben sollen zum Schuhe putzen oder zur Selbstbesinnung). Wir müssen nicht mehr rätseln über die Unsichtbarkeit von Mario Götze (die Legende von der falschen Neun) in unserem Offensivkonzept. Wir müssen nicht mehr bangen, dass jeden Moment Lukas Podolski eingewechselt werden könnte. Es waren eben auch solche Sentimentalitäten des Bundestrainers, die uns einschränkten. Er hätte viel früher die jungen Offensivspieler einsetzen müssen, nicht erst drei Minuten nach der Angst. Und last but not least: Wir waren meilenweit davon entfernt, einen Offensivspieler wie Antoine Griezmann in unseren Reihen zu haben. Und falls es in Deutschland ein solches Talent gäbe, dann würden wir lieber noch eine Weile glauben, dass Mario Götze besser ist als Lionel Messi und auf ihn setzen. Vor diesem Hintergrund haben wir es doch weit gebracht und können nun unbelastet das Endspiel ansehen. Und dann können wir immer noch sagen, dass das wahre Endspiel eben dieses war: Deutschland gegen Frankreich 0:2, und die Niederlage nur wegen eines zweifelhaften Elfmeters zustande kam. Er war nicht zweifelhaft. Er war irrational. Mal geht das gerade noch gut (Boateng), mal geht es schief.

 

Island-Heroes

An einem fußballfreien Freitagabend in Berlin-Mitte zeichnet sich die Apokalypse ab. Brexit,EM-Aus und so weiter © Fritz-Jochen Kopka

An einem fußballfreien Freitagabend zeichnet sich in Berlin-Mitte die Apokalypse ab. Brexit, EM-Aus und so weiter
© Fritz-Jochen Kopka

Die Polen retteten sich ins Elfmeterschießen und profitierten vom Fehlschuss Granit Xhakas. Man kann gar nicht ermessen, wie weit sein Schuss am Tor vorbeirauschte. Was vorher geschah: Ein Scherenschlagseitfallzieher Xherdan Shaqiris, der zum Ausgleich im polnischen Tor landete, ein Tor des Jahres des Kraftwürfels, wie ihn Reporter gern nennen, der zuvor nicht gerade von Glück und Geschick verfolgt war. Die Nordiren fliegen durch ein Selbsttor, in höchster Not erzielt, gegen Wales aus dem Turnier. Kroatien wurde durch Portugal in einen Lähmungszustand versetzt, auch hier war das Elfmeterschießen nah, bis Ronaldo am eigenen Strafraum einen Angriff über Renato Sanches einleitete, und als Nani von links außen flankte, war Ronaldo auch schon wieder vorn, der Torwart warf sich in den Schuss, den Abpraller versenkte Ricardo Quaresma. Die Zeit der kleinen Länder war im Achtelfinale vorbei, auch wenn Frankreich große Mühe mit den Iren hatte und die Belgier lange brauchten, um die famosen Ungarn letztlich noch klar zu besiegen. Das deutsche 3:0 gegen die Slowakei löste die Verkrampfung bei den Kommentatoren im Lande, nachdem sie vorher unentwegt gemeckert hatten. Aber waren die Änderungen des Bundestrainers in der Mannschaftsaufstellung wirklich so genial? Es lag doch auf der Hand, Götze aus dem Spiel zu nehmen und es noch mal mit Draxler zu versuchen, dem man nun gleich einen Zauberfuß zuschrieb, und wie erst die Hymne auf Jerome Boateng, der sein erstes Länderspieltor erzielte! Anders als die Ungarn und die Iren glaubten die Slowaken, warum auch immer, keine Sekunde an ihre Chance. Die Spanier glaubten an ihre Chance gegen Italien, aber sie spielten einen merkwürdig bedächtigen „Wie hat der Lehrer mal noch gesagt, wie wir spielen sollen”-Fußball, dass die Italiener mit ihrer kompakten und überraschend offensiven Spielweise kaum je gefährdet waren. Spanien ohne Feuer, ohne Verrücktheit. Kontrolle ist gut, Wahnsinn ist besser. Zum Spiel England gegen Island kam ich etwas zu spät. Da stand es schon 1:1. Und dann passen sich die Isländer am englischen Strafraum selbstbewusst und schnörkellos den Ball zu, Schuss Sigthorsson, Tor, Joe Hart sah ziemlich alt aus, 2:1. Die Stunde der Underdogs war doch noch nicht vorbei. Die Angst vor der Blamage setzte die Kreativität der Engländer außer Kraft. Der stolze Torschützenkönig Harry Kane hatte schon im ersten Gruppenspiel gezeigt, dass er bei dieser EM das Zeug zum Unglückraben hat. Hier sah er aus wie ein ausnahmsweise frisch frisierter Boris Johnson, der bei seinen unermüdlichen Torschussversuchen die Vergeblichkeit auf lächerliche Weise gepachtet hatte. Die Isländer waren großartig, kantig, gewitzt, mutig und aufopferungsvoll. Letztlich zeigten sie den Engländern, welchen Unterschied es macht, ob man irgendwo freiwillig austritt oder gezwungenermaßen rausgekegelt wird. Heroes of Island. Englands Untergang. Das war das Achtelfinale aus meiner Sicht. Auch wenn einem die Monster aus den Brüsseler Bürotürmen nicht gefallen – man kann sie bekämpfen, aber nicht durch Austritt. Das ist kein Kämpfen.

 

 

Zum Jubeln zu schwach

Unklar ist der Träume Sinn

Unklar ist der Träume Sinn

Nachdem Hubert Schubert Fußballweltmeister geworden war (denn sagt man nicht so: Wir sind Papst! Wir sind Weltmeister!), wurde er über Nacht von wirren Träumen heimgesucht, in deren Mittelpunkt der eingewechselte Siegtorschütze Götze stand. Mario Götze war gerade dabei gewesen, bei dieser Weltmeisterschaft seinen Ruf als Supertalent zu verspielen. Am Anfang in der Startelf gesetzt, spielte er nach schwachen Partien in der Ko-Phase kaum noch eine Rolle. Und nun schoss er Hubert Schubert und alle Deutsche zur Weltmeisterschaft. Endlich der vierte Stern! Zum vierten Mal Weltmeister! Und wie erklärte er seine Leistung? Ich habe an der Universität ja auch eine hervorragende sozialistische Organisatorin. Da waren die Medien baff. Mario Götze an der Universität? Und wenn er schon eine Managerin hat, die er Organisatorin nennt, warum dann zum Teufel eine sozialistische? Wie kann ein Fußballer von einem untergegangenen Gesellschaftsmodell profitieren! Mogeln sich hier Trittbrettfahrer in den deutschen Triumph? Aber auch wenn Hubert Schubert schon im Traum wusste, dass Götzes angebliches Statement ein völliger Schwachsinn war, hörten die Diskussionen nicht auf. Schließlich wurde – unter Ausblendung von Geschlechterfragen – gemutmaßt, ob Götze denn nicht Jogi Löw mit der hervorragenden sozialistischen Organisatorin gemeint hatte oder aber André Schürrle, von dem die Flanke kam. Am Ende wusste Hubert Schubert nicht mehr, ob nicht auch schon die Szenen nach dem Schlusspfiff ein Traum gewesen waren. Die Helden des Matchs lagen erschöpft auf dem Rasen und waren zu schwach zum Jubeln. Und nun schlug die Stunde der Ersatzspieler und der Spielerfrauen mit Lukas Podolski und Kevin Großkreutz an der Spitze. Sie feierten sich, als wären allein sie es gewesen, die Deutschland zum Weltmeister geschossen hatten. Ausgerechnet Podolski, der in einer Halbzeit und ein paar Minuten gezeigt hatte, dass er nicht mehr in die Mannschaft passte, und ausgerechnet Großkreutz, (den Hubert Schubert eigentlich mochte, auch wenn er manchmal das Wasser nicht halten konnte), der einmal beinahe eingewechselt worden wäre, aber tatsächlich keine Minute gespielt hatte. Gleichviel. Der vierte Stern war Wirklichkeit. Die Argentinier waren viel stärker, als wir erwartet hatten, und doch hat unser Team sie besiegt. Vergiss die Träume.

Wusel- und Duseltore

Fußball an einem Sonntagvormittag in Fußball an einem Sonntagvormittag in Prag. Ja, es ist Jiri Stajner, einst bei Hannover 96

Fußball an einem Sonntagvormittag in Prag. Ja, es ist Jiri Stajner, einst bei Hannover 96

Saisonrückblick 2012/13 Teil II

Gegen Kasachstan. Welche Herausforderungen warteten da auf die deutsche Fußballnationalmannschaft (gegen den 139. der Weltrangliste)! Die Zeitverschiebung! Der späte Anstoßtermin um 0.00 Uhr Ortszeit! Der Kunstrasenplatz! Der Reichtum der Kasachen! Nun, es zeigte sich, der Gegner hatte nicht mehr als Zweitliganiveau. Die Kasachen gingen hart in die Zweikämpfe, waren gelegentlich nicht ungeschickt, aber wenn sie in die Hälfte der Unsrigen vordrangen, verließ sie der Mut, die Konzentration, vielleicht gar das Bewusstsein.  Auch ZDF-Reporter Bela Rethy erkannte rasch, dass es ein leichtes Spiel sein würde und ließ in seiner Entspanntheit ganz gegen seine Art einige drollige Sätze vom Stapel. „Müller fummelt sich da irgendwie durch.” „Kasachstan gelang schon mal ein 2:2-Sieg gegen Serbien.” „Schweinsteiger wird da niedergerungen regelrecht.” (Er rang sich, glaube ich, selbst nieder.) Der beste Satz war aber dieser: „Die deutsche Mannschaft hat sich selbst eingeschläfert.” Das stimmte zum Glück nicht, besaß aber doch einen morbiden Charme.

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Wem die Worte fehlen, der redet besonders viel, wenn der Tag lang ist. So ist es mit den Medien und ihren Sportberichterstattern im Fall der Fußball-Meisterschaft des FC Bayern München, die eine Frühgeburt ist und schon seit langem nicht bezweifelt wurde. Nun, nach dem 28. von 34 Spieltagen, ist auch rein rechnerisch alles besiegelt. Damit ist die Fußballmeisterschaft in Deutschland sechs Wochen vorfristig abgeschlossen. Wir sind begeistert. Der Rest ist Hühnerdreck. Was soll man dazu sagen! Aber man muss etwas dazu sagen, es muss gefeiert werden. Unter der Überschrift „Huldigungen an den Meister” huldigt sich zuerst der Meister selbst. Die Bayern sind Großmeister, sie brechen alle Rekorde, sie sind brillant, aber auch demütig, sie bleiben hungrig und wollen aus der Super-Saison eine Super-Super-Saison machen, sie spielen in allerhöchster Qualität. Es steht fest, dass es nie einen besseren deutschen Meister gab als den FC Bayern 2013. Wer bei solchen Lobgesängen nicht gähnen muss, hat bestimmt zu lange geschlafen.

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In Phasen nicht aufhören wollender Erfolglosigkeit fangen Fußballtrainer an, Unfug zu reden. Man muss nicht darauf warten, es geschieht unweigerlich. Und: Sie können nichts dafür, die Trainer. Es kommt wie von selbst. Das Gehirn ist vernagelt. Sie kriegen den Tunnelblick. Wer hätte das schmerzvoller erfahren als wir armen Hansa-Rostock-Schweine.

Zunächst mal gratuliert der Trainer nach dem Spiel dem Trainer des gegnerischen Teams zum Sieg. Wenn das Mal für Mal passiert, kann ich es wirklich nicht ertragen. Dann redet er von den ungünstigen Zeitpunkten, zu denen die Tore des Gegners fielen. Für ein Gegentor ist jeder Zeitpunkt ungünstig, sag ich mal. Sag ich mal so. Es folgt, dass wir einen hohen Aufwand betrieben haben, für den wir uns leider nicht belohnt haben und dass wir das hoffentlich beim nächsten Mal tun werden. Uns belohnen. Bei der Pressekonferenz vor dem nächsten Spiel beantwortet der Trainer jede Frage mit dem Satz: Wir wissen um die Bedeutung dieses Spiels. Und er sagt, dass in der dritten Liga ein Rückstand sehr schwer aufzuholen sei und dass man deshalb vermeiden wolle, in Rückstand zu geraten.

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Keine Ahnung, was der Fußballgott mit dieser Saison im Sinn hat. Es kann doch nicht sein, dass er von A bis Z diese staatstragende bayrische Dramaturgie durchziehen will. Was kommt noch? Champions League-Finale Bayern München gegen Borussia Dortmund, und Mario Götze, noch vom BVB, schießt seinen künftigen Verein Bayern München ab? Oder das Triple für die Bayern und Uli Hoeneß im Knast? Oder hat der Fußball-Gott vor, seine eigene Schöpfung zu vernichten, durch Langeweile, Charakterlosigkeit oder die Allmacht des Geldes? Oder weitermachen auf kleiner Flamme? Soll die dritte Liga die letzte interessante von allen Ligen werden?

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Nicht mit dem 1:1 im Bundesligahinspiel, nicht mit dem 1:0-Sieg im Pokal hat Bayern München Borussia Dortmund gedemütigt, sondern mit dem schnöden Wegkauf von Mario Götze, der irgendwie symbolisch für diese aufstrebende, leidenschaftliche, phantasievolle Mannschaft stand. Du kannst einen noch so begeisternden Fußball spielen – du bist doch nicht davor geschützt, vom Großen Bruder der Liga auf empfindliche Art geschwächt zu werden. Was ist oder war das doch für eine geile boy group mit Götze, Reus, Gündogan, Lewandowski und und und! Wie kann man eine Mannschaft verlassen, die in kurzer Zeit so viel erreicht hat? Um statt fünf Millionen zehn Millionen im Jahr zu verdienen? Oder wegen der Trainerlegende Pep Guardiola? Dafür verlässt man doch aber auch viel, ich glaube, mehr, als man im Moment denkt. Eine – vielleicht jugendliche – Charakterschwäche entdecke ich da auf jeden Fall. Der Knick in der Karriere ist absehbar. Die Hälfte der Fußballgemeinde wird in Zukunft gegen ihn sein. Siehe Manuel Neuer, der bei allen Erfolgen der Ritter von der traurigen Gestalt ist und bleibt.

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Sportschau, die letzte. Dritte und erste Liga. Hansa vermag es auch im letzten Heimspiel nicht, ein Tor zu schießen und sich für den „betriebenen Aufwand zu belohnen”. Die ewige Wiederkehr des Gleichen auch in der ersten Liga. Gladbach geht schnell 2:0 gegen die Bayern in Führung, um dann aufzuhören zu verteidigen und schließlich 3:4 zu verlieren. Dortmund macht gegen den Fast-Absteiger schnell das 1:0, vergisst dann aber, dass sie eben nur 1:0 und nicht 3:0 führen, um dann zwei Elfmeter und einen Platzverweis zu fressen (Weidenfeller). So haben sie viele, viele Punkte liegen lassen in dieser Saison und manche Mannschaft wieder aufgebaut.

Besäße der DFB nur einen Funken Genialität, würde er Jupp Heynckes jetzt zum Bundestrainer machen. Jogi Löw könnte er seinem Freund Rainer Adrion an die Seite stellen als Co-Trainer der U 21 oder seine Länderspielreise in Amerika bis ins Unendliche verlängern. Wir müssen jetzt endlich was machen aus unserer goldenen Generation.

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Champions-League-Finale Bayern München – Borussia Dortmund. Trotz allem wurde Robben zum entscheidenden Spieler des Matches. Eines der beiden Wusel- und Duseltore der Bayern schoss er selbst, das andere bereitete er vor. Und es war symptomatisch, dass er da nicht von seiner gewohnten rechten Seite kam, sondern einmal von links und einmal aus der Mitte. Er hat eine Art, sich körperlich in den Gegenspieler hineinzuarbeiten und an ihm vorbei, die irgendwann die Lücke schafft. Und wenn er nicht seinen gewohnten Zug von rechts außen in die Mitte macht und mit links abzieht, dann ist er schwer auszurechnen (auch für sich selbst).

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Ich sage trübe Saison wegen der Vorhersehbarkeit, wegen des selektiven Zustands der Tabelle, wegen der unüberwindbaren Klassengegensätze. Bayern München, die immer Meister werden müssen, der BVB, der das eventuell auch mal verhindern kann, die drei, vier Mannschaften, die sich eventuell für die Champions League qualifizieren können, das gehobene Mittelfeld, das Chancen für die Europa League hat und mit dem Start in derselben vermutlich überfordert sein wird, und die ewigen Abstiegskandidaten. Und die Mannschaft, die für eine echte Überraschung sorgt, in dieser Saison der SC Freiburg, wird anschließend gnadenlos leergekauft. Wenn das nicht deprimierend ist.

Das Geld, sagte Nick Hornby in einem Interview für die „Zeit”, „nimmt jeglichen Wettkampf aus einem Turnier. Wer wird nächstes Jahr Meister in Frankreich, Deutschland, England, Spanien? Es ist langweilig.” Auf den Verein seines Herzens, Arsenal London, bezogen, stellt er fest, er habe „eine ganze Saison lang eine Mannschaft gesehen, die das Spiel dominierte, keine Tore schoss und am anderen Ende zwei reinließ, weil die Abwehr unfähig war”.

Trauer muss der Sieger tragen

„Sie standen an den Hängen und Pisten …” Die Gleichstellungsbeauftragte der Bundesregierung hat die Entwicklung eines Urinal für weibliche Fans in Auftrag gegeben zwecks Vermeidung von Geschlechterdiskriminierung

„SIE  STANDEN AN DEN HÄNGEN UND PISTEN …” Die Gleichstellungsbeauftragte der Bundesregierung hat die Entwicklung eines Urinals für weibliche Fans in Auftrag gegeben zwecks Vermeidung von Geschlechterdiskriminierung

Die Sportschau, vorletzte der Saison. Es geht um kaum noch etwas und bei dem, um das es noch geht, glaubt man schon zu wissen, wie es ausgehen wird. Aber der Fußballfan ist ein Bündel von Präferenzen und Ressentiments, die ihn ans Geschehen fesseln trotz dieser rekordträchtigen, überaus erfolgreichen, traurigen Saison.

Auch tags darauf ist keine Hitze mehr in der Schlacht, beim letzten Heimspiel des 1. FC Union gegen den MSV aus Duisburg. Auf einem Nebenplatz spielen zwei Frauenteams.  Der  Frauenfußball hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt, sage ich. Früher konnten die Frauen nur geradeaus laufen und stießen dadurch oft frontal zusammen. Jetzt können sie auch Haken schlagen und Kurven laufen. Unser Boss, Union-Mitglied der ersten, letzten und jeder gegenwärtigen Stunde, staunt.

Einlass und Leibesvisitation ohne Probleme. Kein großes Gedränge. Unser Boss begibt sich an die Urinale, eine der neuesten und segenreichsten Errungenschaften des volksnahen Clubs, führt uns anschließend, geschickt sich durch die Reihen der Fans schlängelnd, auf gute Plätze fast auf Höhe der Mittellinie. Der Fußballnomade wirft einen scheelen Blick auf unser Umfeld. Argwöhnt, dass er mit seiner vornehmen Kleidung den Neid der rauchenden Fans erregt, die in der Regel auch mit einem saftigen Übergewicht ausgestattet sind. Schon deshalb müssen sie rauchen, sonst würden sie ja noch dicker. Hauptsache, sie bohren die Glut ihrer Lullen nicht in sein englisches Jackett, sei es aus Heimtücke, sei es aus Fahrlässigkeit.

Die lange Abschiedsapotheke für die scheidenden Spieler. Warum auch immer sie gehen oder gehen müssen: Schicksale, Formkrisen, Disziplinlosigkeiten, Alter, neue Chancen anderswo, Verletzungen. Trotz allem wird ein Jeglicher als Fußballgott gewürdigt. Im heiteren Auge manche Träne.

Auch ein Stolz von Union: neue Tribüne nur für Sitzenbleiber

Auch ein Stolz von Union: neue Tribüne nur für Sitzenbleiber

Im Union-Sturm zwei hüftsteife Recken mit ähnlicher Spielanlage. An der Seitenlinie ein clubeigenes Talent, das eine schwierige Saison hinter sich hat. Ein schöner 20-m-Schuss von Union, dann erarbeitet sich Duisburg langsam ein Chancenplus. Bessere Spielanlage, bessere Raumaufteilung …

… Es ging um nichts mehr, das sah man auch. Duisburg hatte mal mit dem Abstieg zu tun, das war vorbei, Union konnte sich Hoffnungen auf den Relegationsplatz machen, jetzt kaum noch vorstellbar. Trainer Neuhaus schien die Saison abgehakt zu haben, die Mannschaft befand sich in einem Zustand der Willenlosigkeit.

Im heutigen Fußball sind auch weniger begnadete Teams in der Lage, gut zu verteidigen. Man hat da seine Vierer- oder Dreier-Ketten, seine Doppelsechs und das Prinzip, dass die Defensive schon beim vorgeschobensten Spieler beginnt. So ist es am Strafraum mit der Herrlichkeit der angreifenden Mannschaft vorbei. Es kommt auf die sogenannten zweiten Bälle an. Die abgewehrten, abprallenden Schüsse und Flanken, bei wem landen sie? Wer reagiert am schnellsten? Das entscheidet oft ein Spiel. So machte Duisburg das 1:0. Das Gegentor brachte die Qualitäten von Union zum Vorschein. Leidenschaft, an den Seitenlinien nach vorn sprinten, immer wieder, die Bälle nach innen schlagen. So fiel das 1:1 aus einer unübersichtlichen Situation im Duisburger Strafraum, und nach einer eben solchen gab der Schiedsrichter einen Elfmeter für Union. Guter Schiedsrichter, sagte ich ironisch. Und unser Boss: Die Duisburger haben den Schiri gerade genug geärgert mit ihren Protesten nach einem Freistoß, und jetzt macht er das.

Das war’s dann. Die Fans blieben noch. Die Spieler applaudierten ihnen. Lohn der Treue. Der Stadionsprecher versprach Nähe, Autogramme und Gespräche. Zwei tragische Fans in unserem Rücken versuchten, das Geschehen zu bewerten: Wenigstens ein versöhnlicher Saisonabschluss. Ja, versöhnlich.

Das ist es. Wir sehen, wie wir gelernt haben,  uns mit dem größten Mist zufrieden zu geben. Die Merchandising-Shops wurden belagert. Traurige Fans, die ihr Geld für traurige Abzeichen ausgaben.

Am Ende kaufen sie sich Sticker

Am Ende kaufen sie sich Sticker

Sportschau, die letzte. Dritte und erste Liga. Hansa vermag es auch im letzten Heimspiel nicht, ein Tor zu schießen und sich für den „betriebenen Aufwand zu belohnen”. Die ewige Wiederkehr des Gleichen auch in der ersten Liga. Gladbach geht schnell 2:0 gegen die Bayern in Führung, um dann aufzuhören zu verteidigen und schließlich 3:4 zu verlieren. Dortmund macht gegen den Fast-Absteiger schnell das 1:0, vergisst dann aber, dass sie eben nur 1:0 und nicht 3:0 führen, um dann zwei Elfmeter und einen Platzverweis zu fressen (Weidenfeller). So haben sie viele, viele Punkte liegen lassen in dieser Saison und manche Mannschaft wieder aufgebaut.

Wohin geht der Fußball. Es gibt nur noch eine Möglichkeit, die Saison zu retten.  Wir wissen, wovon wir sprechen. Scheint keine schlechte Idee des Fußballgotts gewesen zu sein, Mario Götze einen Muskelfaserriss anzuhexen. Das „größte Talent des deutschen Fußballs” hätte leicht zur tragischen Figur werden können im Championsleague-Finale, zerrieben zwischen seinem alten und seinem neuen Team. Und es gibt eine Möglichkeit, sogar schon die nächste Saison zu retten. Besäße der DFB nur einen Funken Genialität, würde er Jupp Heynckes jetzt zum Bundestrainer machen. Jogi Löw könnte er seinem Freund Rainer Adrion an die Seite stellen als Co-Trainer der U 21 oder seine Länderspielreise in Amerika bis ins Unendliche verlängern. Wir müssen jetzt endlich was machen aus unserer goldenen Generation.

Demütigungen

Sprechen wir von Demütigungen. Zweifellos hat der FC Bayern die beste Fußballmannschaft der Welt gedemütigt. 7:0 in Hin- und Rückspiel, meine Güte. Und auch der ungarische Schiedsrichter aus dem München-Spiel hat Barcelona gedemütigt: So ein Wegsperren wie das von Thomas Müller vor dem Robben-Tor durchgehen zu lassen, wie soll man sich das erklären? Vielleicht mit Blindheit …  Auch das Vorgehen von Sergio Ramos gegen Robert Lewandowski in Madrid mit Faust- und Ellenbogenattacken laufende Meter, das ebenfalls nicht geahndet wurde, stellt eine Demütigung dar: eine des fairen Zuschauers nämlich, der seinen Augen nicht zu trauen glaubt. Was ist da plötzlich alles erlaubt! Und schließlich: Nicht mit dem 1:1 im Bundesligahinspiel, nicht mit dem 1:0-Sieg im Pokal hat Bayern München Borussia Dortmund gedemütigt, sondern mit dem schnöden Wegkauf von Mario Götze, der irgendwie symbolisch für diese aufstrebende, leidenschaftliche, phantasievolle Mannschaft stand. Du kannst einen noch so begeisternden Fußball spielen – du bist doch nicht davor geschützt, vom Großen Bruder der Liga auf empfindliche Art geschwächt zu werden. Was ist oder war das doch für eine geile boy group mit Götze, Reus, Gündogan, Lewandowski und und und! Wie kann man eine Mannschaft verlassen, die in kurzer Zeit so viel erreicht hat? Um statt fünf Millionen zehn Millionen im Jahr zu verdienen? Oder wegen der Trainerlegende Pep Guardiola? Dafür verlässt man doch aber auch viel, ich glaube, mehr, als man im Moment denkt. Eine – vielleicht jugendliche – Charakterschwäche entdecke ich da auf jeden Fall. Der Knick in der Karriere ist absehbar. Die Hälfte der Fußballgemeinde wird in Zukunft gegen ihn sein. Siehe Manuel Neuer, der bei allen Erfolgen der Ritter von der traurigen Gestalt ist und bleibt.

Frage an den Fußballgott

© Andrea Doberenz

Was plant der Fußballgott?

Keine Ahnung, was der Fußballgott mit dieser Saison im Sinn hat. Es kann doch nicht sein, dass er von A bis Z diese staatstragende bayrische Dramaturgie durchziehen will. Was kommt noch? Championsleague-Finale Bayern München gegen Borussia Dortmund, und Mario Götze, noch vom BVB, schießt seinen künftigen Verein Bayern München ab? Oder das Triple für die Bayern und Uli Hoeneß im Knast? Oder hat der Fußball-Gott vor, seine eigene Schöpfung zu vernichten, durch Langeweile, Charakterlosigkeit oder die Allmacht des Geldes? Oder weitermachen auf kleiner Flamme? Soll die dritte Liga die letzte interessante von allen Ligen werden?