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Posts Tagged ‘Hundehalter’

Ein Hauch Vollendung

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Gruppenbild der Künstler mit Galeristin. Zweite von links Helle Coppi, dritter von rechts Harald Metzkes

© Corinna Fricke

Wir standen vor der offenen Tür der Galerie und versuchten,  moderne Gespräche zu führen. Was geschieht, wenn man die Künstliche Intelligenz fragt, ob Friedrich Nietzsche dem Faschismus geistigen Vorschub geleistet habe. Da kommst du ins Grübeln, bei dem Text, sagte Wolf, der noch die spanische Bräune im Gesicht trug. Sie kann sicher auch Bilder malen, die KI, sagte der Sizilianer, aber ich male meine Bilder selber und werde das immer machen. 

Vor einem Jahr hatte ich ihn für ein Gedicht seines Landsmanns Giuseppe Ungaretti begeistert. Du hast dir wahrscheinlich immer noch keinen Band von Ungaretti besorgt… 

Nein. Ich weiß nicht. Die Sprache ist so synthetisch. Ich verstehe die Gedichte nicht. 

Sei froh, wenn du etwas nicht verstehst. Aber eine Ahnung bekommst von dem, worum es geht. 

Das gefiel Giuseppe, dem Sizilianer. 

Ab und zu kamen Passanten. Was ist da los, hinter der offenen Tür? Wir zeigten auf das Schild. Finale. Die letzte Ausstellung der Galerie Helle Coppi. 

Oh, sagten sie, warum? Helle Coppi hat das 35 Jahre gemacht. 

Alle guten Galerien machen hier zu! Hat sie denn keinen Nachfolger? 

Wer hat heute noch Nachfolger? Die Handwerker haben keine Nachfolger, die Galeristen nicht, keiner. 

Helle Coppi hatte eine Rede gehalten. Keine wehmütige. Ein Hauch von Vollendung. Sie hatte erzählt, was in diesen Jahren geschehen war und ihren Künstlern, unter ihnen der legendäre Harald Metzkes, eine Rose in die Hand gedrückt. Warum soll etwas nicht sein Ende finden dürfen. Es überlebt in unseren Köpfen. Die Bilder leben. Die Skulpturen leben. Die Maler werden weiter malen. Die Leute werden weiter Bilder ansehen. Bilder kaufen. Sammeln. An die Wände hängen. 

Gerade hatte die Auktion der vorletzten Bilder begonnen. Vorn drängten sich die Bieter, weiter hinten hörte man die gedämpften Galeriegespräche, und wir standen draußen vor der Tür. 

Der Zigarilloraucher wunderte sich, dass ihn noch keiner an diesem Monatsersten in den April geschickt hatte. Der Aprilscherz stirbt aus. Wolf kam auf den Maler Ronald Paris, der so gerne Besuch hatte, weil er dann Schnaps trinken und Zigarren rauchen durfte, was seine Frau ihm normaler Weise untersagte. Lebt er noch, Ronald Paris? Nein. Im vorletzten Jahr gestorben. 

Es waren viele alte Leute in der Galerie. Die jungen gehen anderswo hin. Aber was ist alt? Was ist Alter? Das Alter ist eine Zahl und eine Reihe schleichender Einschränkungen, aber kein Lebensgefühl. Gerade waren wir doch noch jung. Und die Galerie, die mit dieser Ausstellung für immer schließt, kommt uns auch jung vor. 

Wolf begeisterte sich für die hellen Länder des Südens und verzweifelte am dunklen, mit seelenlosen Blöcken zugeklotzten Berlin. Deutschland ist das Land der Autos, der Hunde und der Chöre. Ja. Gerade der Chöre. Oder nein. Richtig ist: Deutschland ist das Land der Autofahrer, der Hundehalter und der Chorsänger. Wir vereinigen uns in einem Chor und bringen einen Klang hervor, den wir uns sonst nie zugetraut hätten. Der Hund steht für die Natur, das Auto steht für die Maschine. Die exemplarische Maschine. Die wir beherrschen, mit der wir Herr über die Geschwindigkeit sind. Und der Hund, das Lebewesen, der treue Gefährte des Menschen, der uns folgt, uns nicht widerspricht. 

Zwei Häuser weiter, unterm Dach, dreht einer durch, apokalyptische Schreie in dieser Straße in der Mitte Berlins. Aus dem Hotel haben sie ein Asyl gemacht. Flaschen werden aus dem fünften Stock herunter geschleudert, zersplittern auf Autodächern und Pflastersteinen, harmlose Passanten kommen so eben mit dem Schrecken davon. Wir hätten ein Loch im Kopf haben können. 

Wir stehen vor der offenen Tür der Galerie. Zeitgeistgespräche. Es geht etwas zu Ende, das wir vermissen werden. Wir finden keine Nachfolger. Nicht mal der Aprilscherz findet welche. 

Ambivalentes Ausatmen

März 10, 2019 1 Kommentar

Zwischen den Geräten
© ADe

Vorjahrescollage Oktober – November – Dezember

Die immer mit ihren goldenen Zwanzigern in Berlin, da war doch auch nicht mehr los als sonst. Es war oft von EU-Geldern, Fördertöpfen, staatlichen Mitteln die Rede. Lost in Kreuzberg. Komplette Beschneidungsanzüge ab 99 €. Die Autos kamen wie Hitchcocks Vögel. Eine Smartphone-Partei könnte absolute Mehrheiten erringen. Ein Wesen von einem anderen Stern auf dem Rentnermobil in der Mitte der Straße. Die Schlaflosigkeit um vier. Zu fressen gibt’s heute ’ne Knorr-Kartoffelsuppe mit ’ner Butterstulle. Welche Begriffe stehen im Ausland für Deutschland? Adolf Hitler und Bayern München. Die Reisenden warten in aller Ruhe auf die Abfahrt ihres Zuges. Paare, die sich seit Jahren in wortloser Kommunikation üben. Wer hätte je einen nervösen Briefmarkensammler gesehen! Er freut sich schon von weitem. Carmen Nebel und Kirsten Dunst. Die erregte Stimme des Rentnerführers. Ist das nicht auch Populismus? Rentner nehmen mit, was mitzunehmen ist und geben sich dabei noch vornehm. In der Politik können diese Schönredner nicht viel Schaden anrichten. Im Sport schon. Verpeilte junge Frauen. Sie arbeiten mit allen Tricks. Vom Sommer gleich in den Winter. Eine Reise gemischter Gefühle. Die Aristokraten fahren in mehreren Kutschen zur Entenjagd und stellen Überlegungen an, was wohl die Schnitter auf dem Feld über sie denken mögen. Nennen wir es ein tiefes ambivalentes Ausatmen. Er hat zum Wiedersehen einen Kasten Bier mitgebracht. Mein Leben als Loser war damit beendet.

Im Imbiss standen zwei Halloween-Girls. Ich beobachte, dass es den Meisen nicht nur ums Fressen geht. Türken müssen 44 Prozent mehr für Klopapier zahlen. Der Verbrecher, der seine Untaten mit Hilfe des Gesetzes durchführt. Das war mein Freund und Banknachbar. Er hatte die Träume und das Vertrauen eines Kindes. Ich glaube nur an die Anspielung. Er brachte auch Frauen das Schwimmen bei, die das schon längst konnten. Es ist die Idee klar vorhanden, dass wir die beiden Spiele wenn möglich siegreich gestalten wollen. Nur der Erfolglose fragt sich, warum es bei ihm nicht klappt. Die Reporter vom Fan-Radio vergnügen sich in der Provinz. Einige Nachbarn sind schon im Winterschlaf. Viele Frauen, gar nicht mal so hässlich. Sie hatte viele Baustellen. Unter dem Läufer raschelt das Laub. Frauen können Männer zur Weißglut treiben. Das gehört zu ihrer DNA. Sie können gar nichts dafür. Sie wissen eben, was sich gehört. Kahlköpfige Söhne um die fünfzig betreuen das Einkaufen ihrer Mütter. Hundehalter und Frauen, die mit ihren Smartphones arbeiteten, um die Zeit zu vergessen.

Der Monat ohne Eigenschaften. Wer spricht noch von Bratäpfeln!? Ein mittlerer Infekt ist angekommen. Die Frauen kramten im Chaos ihrer Handtaschen nach Schmerztabletten für den Familienvorstand. Ich bin der Mann, der den Briten ihre Musik zurückbrachte. Was sind das für Männer, die unter der Dusche nicht singen! Er lieferte nicht nur den Song, sondern gleich noch die Parodie des Songs. Das haben viele ehrliche Deutsche nicht mitbekommen. Kann Leibesfülle allein schon Übeltäter abschrecken? Die Arbeiter am Gerüst trugen Weihnachtsmannmützen. Die Sendung wird zur Zustellbasis transportiert. Du sprichst meistens mit Maschinen. Die Kunden müssen hundert Mal beweisen, dass sie keine Roboter sind. Also war in diesen Zeiten auch das Paket selbst verdächtig. Die Frau war rührend um ihr Smartphone besorgt. Nur ein paar magere Schneeflocken. Schicksalsjahre einer Stadt. Sportler, die an Stöcken gehen. Reiner hat vier Wochen Führerschein-Entzug. Der Bettler fütterte die Vögel und bettelte nicht. Offensichtlich schenke ich ihr jedes Jahr die gleiche LP. Uns bedient die Kellnerin Manuela, die nicht auf den Mund gefallen ist. Ich bin doch nur ein Mädchen, das vor seinem Jungen steht und ihn bittet, es zu lieben. Der Nazi steckt ein Parteiblatt in den Briefkasten und dreht ab. Der Mann mit den vielen Müttern. Er hatte das Pech, Leute mit Dingen zu beschenken, die sie selbst ihm geschenkt hatten. Nach dem Essen ausruhen vom Essen. Alte Frauen am Zaun. Wie lange hat det jedauert, bis ick achtzig war!

 

 

 

 

 

 

 

Der Läufer und der Ultra

Hier können Läufer Läufer treffen
© FJK

Nach vier Tagen ging der Läufer wieder auf die Piste. Mal sehen, was ich meinem Knie zumuten kann, es ist das linke, wo es ab und zu zuckt. Die Erschütterungen, die beim Aufsetzen des Knies ausgelöst wurden, gefielen dem Knie überhaupt nicht. Der Läufer lief ein Stück weiter, dann ging er, um alsbald wieder zu laufen. Dosierte Belastung. Auf der Hälfte der Strecke traf er zwei Hundehalter, die sich – wie alle Hundehalter – viel zu sagen hatten. Sie trennten sich, und der Läufer ging ein Stück neben dem Hundehalter mit dem Fahrrad her. Das Knie, sagte er, um zu erklären, warum er ging und nicht lief, das Knie will nicht. Wessen Knie?, fragte der Hundehalter. Meine, sagte der Läufer. Nee, meine, sagte der Hundehalter. Was bin ich früher gelaufen. Ich war sogar Ultramarathonläufer. Hundert Kilometer, neun Stunden, jetzt geht gar nichts mehr, deshalb das Fahrrad. Ich denke, ich krieg das wieder hin, sagte der einfache Läufer, im Knie zuckt es ab und zu, besonders beim Treppensteigen, und jetzt hab ich das Knie auch noch an einer Eisenstange gerammelt. Was sagt der Orthopäde?, fragte der Ultramarathonläufer. Da war ich nicht, sagte der einfache Läufer. Meinen Orthopäden habe ich erst zum Laufen gebracht, sagte der Ultramarathonläufer, der läuft jetzt noch, aber mir kann er nicht helfen. Ich muss warten. Der Hund kommt nicht nach. Ist ja eher ein Staubwedel als ein Hund.

Hatte es wahrscheinlich auch mit den Knien, wenn so kleine Hunde überhaupt Knie haben. Der einfache Läufer ging wieder zum Laufen über und achtete auf die Reaktionen des Knies. Dann ging er wieder ein Stück, dann lief er, immer mit Rücksicht auf das Knie. Ich krieg das wieder hin. Ihm fiel ein, dass er doch schon mal beim Orthopäden gewesen war. Der verschrieb ihm eine Kniegelenkbandage. Wenn die Kita-Kinder das sahen, staunte sie mit offenen Mündern, als liefe er mit einer Prothese. Dann traf er einen Wunderheiler. Der legte seine magischen Hände auf seine Knie. Danach brauchte er keine Bandage mehr. Das hätte ich dem Ultramarathonmann erzählen sollen. Vielleicht hätte er dann noch eine Chance.

 

Sauberste Stadt

Es wird jetzt hier sehr sauber werden demnächst …
© Kopka

Ich muss in die Stadt. Und wenn ich in die Stadt muss, dann will ich auch in die Stadt. So denken, fühlen und handeln Fatalisten. Von der neuen Fußgängerbrücke am S-Bahnhof herab sehe ich eine Schar von BSR-Mitarbeitern (oder Straßenbauern?), eine geballte Ladung Sauberkeit. Das wäre doch ein Slogan der Post-Wowereit-Ära: Berlin muss sauberste Stadt werden! Um jeden Preis. Mit aller Macht. Mit der Hundescheiße ist es ja schon viel besser geworden. Die Hundehalter haben ihre Tütchen dabei und sammeln alles auf, und auch die Hunde reißen sich zusammen, bis sie endlich in der freien Natur sind. Man kann einem Hund ja so unendlich viel beibringen. Wenn man kann. Bis der Hund schließlich fast ein Mensch ist. Aber macht das Sinn? Und auch die Sache mit der saubersten Stadt: Die Helden von der BSR säubern ja nicht nur die Stadt, sie erfüllen sie ja auch mit infernalischem Lärm mit ihrer Technik, die aus Horrorfilmen entliehen sein könnte. Was sie allein mit ihren verdammten Trennscheiben anrichten. Sagenhaft. Wir möchten lieber allein sauber machen. Wir können es nämlich auch leise, wir einfachen Berliner!

Das Recht des Hundes am eigenen Bild

Light in January Fotos © FJK,ADe

Light in January
Fotos © FJK, ADe

Es war wie ein Osterspaziergang im Januar. Je nachdem, wohin die winteraktive Sonne kam und wohin nicht, Eiskruste, verharschter Schnee oder Pfützen. Der alte Winter in seiner Schwäche zog sich in rauhe Berge zurück. Von dorther sendet er fliehend nur ohnmächtige Schauer körnigen Eises, doch die Sonne duldet nichts Weißes. Soviel weiß ich noch aus dem Kopf von Goethe, Faust und dem Ostspaziergang. Unsere gerade von einer nicht allzu animierenden Reise zurückgekehrte Freundin sagte „die Eltern meiner Tochter” und stutzte, weil diese Formulierung sie ja zu mindestens 50 Prozent einschloss, ohne dass sie sich selbst gemeint hatte. In der Fremde hat sie die Ästhetik halber Sätze entdeckt.

… auch Pferde

… auch Pferde

Eine Schautafel mit Verlautbarungen über das Schicksal und die Perspektiven der Zauneidechsen in der Karlshorster Heide. Auf einer verharschten Wiese eine dicke Frau mit einem dicken Pferd, daneben eine dritte sitzende, weitgehend unbeteiligte Person. Die dicke Frau hat eine schlanke Reitgerte in der Hand, eher zum Streicheln als zum Schlagen geeignet. Ein Stück weiter ist ein verschwundener Teich wieder an die Oberfläche gedrückt worden, eine Eisfläche ist entstanden. Da spielen Kinder, Erwachsene und ein riesiger brauner Hund. Sieht alles ein bisschen nach Pieter Breughel aus. Der Hund hat strenge Hundehalter, die ihr Tier vor Übergewicht bewahren wollen. Sie halten ihn knapp mit der Nahrung, er nagt vor Hunger an einem abgebrochenen Ast. Plötzlich springt er an mir hoch, legt die Pfoten auf meine Schultern, schnappt nach der Kamera. Wird von seinen strengen Hundehaltern zurückgerufen und pariert sofort. Ich bin froh, dass ich unter dem Aufprall nicht umgefallen bin, und stolz, dass ich keinen Schreckensschrei ausgestoßen habe. Allerdings entschuldigen sich die Hundehalter nicht bei mir. Wenn ich mich nicht täusche, murmeln sie etwas vom Recht des Hundes am eigenen Bild. Da hört sich doch wohl alles auf.

Breughel hätte noch einges Gewimmel hinzugemalt

Breughel hätte noch einiges Gewimmel hinzugemalt

Wir umgehen die beeindruckende Immobilie der Wasserwirtschaft und landen auf einem Deich zwischen Trabrennbahn und neuerbauter Einfamilienhaussiedlung. Ein Deich mitten in der Stadt! Die Siedlung war einst vor dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin für die Bundestags- und Regierungsmitarbeiter geplant. Aber die waren leicht zu erschrecken. Als sie hörten, dass in der Nähe mal die Russen hausten, schreckten sie sofort zurück. Nun ist die Siedlung zwar trotzdem gebaut, aber ziemlich kleinzügig geraten, wenig Platz zwischen den Mauern, wenig Busch und Baum. An Infrastruktur ist nur ein Kindergarten zu erblicken. Es gibt die Bauhaus-inspirierte Klar- und Schlichtheit, es gibt aber auch die unermüdlichen Kultur-am-Heim-Aktivisten, die nicht ruhen, bis  überall ein Türmchen, ein Wendeltreppchen und ein Zierleistchen angebracht ist.

Die Schatten werden länger

Die Schatten werden länger

Am Tag danach sind die Pfützen überfroren, Ostern ist vertrieben und der Winter zwischen Stärke und Schwäche zurückgekehrt. Jedenfalls müssen wir zu Ostern keinen Osterspaziergang mehr machen, den haben wir abgehakt.

Hunde aus der Nachbarschaft

Lauter Nachbarn

Lauter Nachbarn

Am Fenster. Jetzt unterhalten die sich wieder über ihre Hunde. Der eine Hund schnuppert am Hintern des anderen. Dann entdeckt er die Katze und läuft auf sie zu. Die Frauen lächeln verzückt.

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Zwei kleine Mädchen gehen mit ihrem winzigen Hund am Nachbar-Grundstück vorbei, der Hund des Hauses beginnt zu kläffen, der Winzling kläfft zurück. Komm her, Rambo, rufen die Mädchen, komm her. Wie heißt der Hund, frage ich. Rambo, sagen die Mädchen mit früher Selbstironie. Das kann nicht wahr sein, sage ich. Dieser kleine Hund?

Der kleine Hund scheint im Bell-Duell mit dem Nachbar-Hund die Oberhand zu behalten. Er trägt seinen Namen nicht zu Unrecht, sagt das eine der Mädchen mit leisem Nachdruck.

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Na, führt Ihr Hund Sie wieder aus? Jawoll. Was soll er auch machen, wenn Sie mal müssen.

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Vor dem Park. Das große Treffen der Hundehalter. Acht oder neun Personen. Jede möchte den anderen zeigen, wie gut er seine Bestie erzogen hat.

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Am Fenster. Gerade seh ich eine ziemliche naturbelassene Frau mit fünf Hunden aus dem Wäldchen kommen. Vier sehr schlanke, wahrscheinlich Windhunde, an Leinen geführt und alle mit einem wärmenden Überwurf versehen. Leinenlos trottet ein kleiner, dicker Hund in großem Abstand hinterher. Niemand kümmert sich um ihn. Und eine Decke hat ihm auch niemand übergeworfen. Warum nicht? Wärmt den Außenseiter das Fett?

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Ich bin beim Häckseln und fahre plötzlich zusammen. Ein mörderischer Krach hinter mir. Der kleine Hund von nebenan tritt als Bestie auf. Ich rufe ihn zur Ordnung und jage ihn weg. Aber kaum bleibe ich stehen, bleibt er auch stehen und glotzt mich böse an. Wenn ich weggehe, läuft er aggressiv hinter mir her. Wenn ich auf ihn zugehe, läuft er wieder weg. Er ist gleichzeitig feige und aggressiv. Ein total falsch erzogener Hund. Irgendwann taucht zwergenhaft der alte Nachbar auf, der auch Mühe hat, irgendwas bei dem Mistvieh zu erreichen. An eine Entschuldigung denkt er natürlich auch nicht.

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Vor meinen Fenstern gab es hier eine äußerst sportive Frau. Sie hatte auch einen sportiven Mann, sie kamen zusammen aus dem Wäldchen, offenbar waren sie lange gejoggt, und nun machten sie im Gehen noch einige sehr spezielle Dehnübungen; dabei lachten sie und waren glücklich. Man sah deutlich, dass die Frau der treibende Keil war; sie war noch fröhlicher als der Mann und ihre Bewegungen waren noch dynamischer.

Jetzt ist der Mann weg, spurlos verschwunden. Die Frau geht jetzt mit einem Hund; den Sport lässt sie weg, das Gesicht ist grau und missmutig, die Haltung gebeugt. Ein Hund kann viel, aber nicht alles.

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Vornehmer Hund

Herr und Hund in Budapest 1986 © Christian Brachwitz

Herr und Hund in Budapest 1986
© Christian Brachwitz

Dieser Hund lebt in Budapest, und da das Foto von 1986 ist, können wir annehmen, dass er von der Politik des Ministerpräsidenten Viktor Orbán nichts mehr hat; er war ein vornehmer Hund und wird auf einem Hundefriedhof liegen oder was geschieht mit den Hunden, wenn sie sterben? Wenn man es am wenigsten erwartet, taucht plötzlich eine Bildungslücke auf. (Es ist wohl ein Kapitel, über das nicht gern gesprochen wird.) Ein Hund kann das Leben eines Menschen schon enorm verändern. Zum Beispiel den Geruch seiner Wohnung. Ich sehe vom Fenster meines Hauses aus, dass sich viele Menschen durch ihre Hunde näherkommen. Ich sah aber auch, wie eine Hundebesitzerin auf den Hund einer anderen Hundebesitzerin einprügelte, weil der zu aufdringlich gewesen war. So etwas hätte dieser vornehme Hund aus Budapest sicher nie getan. Der erträgt es auch, wenn sein Herrchen mit anderen Dingen beschäftigt ist als mit ihm selbst. Ich bewundere die demütigen Gesten der Hundehalter, wenn sie die Häufchen oder auch Haufen ihrer Lieben in einer Plastiktüte verwahren, damit wir unschuldigen Bürger da nicht hineintreten. Neulich hat eine Hundehalterin sich bei mir sogar Plastiktüten erbeten, weil sie ihre zu Hause vergessen hatte. Ich sage, wer zu sowas bereit ist, liebt seinen Hund wirklich. Ich möchte aber nicht so weit gehen und behaupten, dass die Liebe zwischen Hund und Mensch echter und wahrer ist als zwischen Menschen. Ich denke, da verbietet sich ein Vergleich von vornherein, ja, ich bin absolut dagegen, so einen Vergleich überhaupt in Erwägung zu ziehen.

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Dieser Tage wieder mal

Deutschland – Wurstland. Hat keiner Hunger?

Deutschland – Wurstland. Hat keiner Hunger?

Früh am Morgen. Der neue Nachbar bringt die hüpfenden Mädchen zur Schule. Andere Kinder gehen zur Schule wie zum Schafott.

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Unser Freund, der Schauspieler, verkauft sich im Riverboat bestens in seiner Rolle als gutaussehender Mann.

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Auch heute muss ich einkaufen. Als ich die Halle verlasse, geht vor mir die schöne Schwarze mit ihrem stark gealterten Mann. So schön ist sie andererseits auch nicht. Von der Seite sehe ich den schnauzenartigen Mund.

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Wieder so’n doofer Film über die DDR im ZDF (Es war nicht alles schlecht, aber 99 Prozent). Andrea Kiewel, Ines Greipel-Schauer, Lutz Rathenow und so erklären, wie es wirklich war. Kulturminister Keller war, wie er jetzt mitkriegt, auch oppositionell. Roland Jahn beklagt einen Toten. Anschließend bringt Robert Atzorn die Leute reihenweise um. Ist aber schon ein anderer Film. ’n Spielfilm.

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Frau zu Frau über Mann: Er hat einfach die besseren Füße.

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Frau Merkel will gar nimmer von ihren Krücken lassen. Nein. Bei Kanzlerinnen sagt man nicht Krücken, da sagt man Gehhilfen.

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Mit fällt eine alte FAZ in die Hand mit einer Auswahl aus Jean Pauls Briefen. Manchmal macht er mich verrückt mit seinen verschlungen launigen Sätzen, von denen man oft nicht sicher sein kann, ob sie grammatikalisch sauber sind. Trinkt viel Wein, der ihm aber häufig nicht bekommt. Etwa so: Ein Oxhofft Graves-Wein mußt’ ich mit Verlust vertauschen, nachdem ich 24 mir schädliche Flaschen davon getrunken; aber auch das dafür eingetauschte Feuillett weißer Burgunder schlägt mir nicht zu. (an den Sohn) Dann geht es um zwei Flaschen 22ger Forsterwein, der ihm wegen seiner Jugend schlecht bekommt …

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Sie zahlen immer weniger für meine Arbeit und verlangen immer mehr. Zumutungen über Zumutungen, und die erste und letzte Zumutung ist das Geld.

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Ein junger Typ kam in die Tram, riss sich energisch den Rucksack von der Schulter, es folgte ein reißendes Geräusch und dann fiel etwas. Er tastete seine Jacke ab, sah mich an, da ist was runtergefallen, sagte ich, hm, meinte er, die Jacke, kaputt, hat 200 € gekostet, Berliner Firma. So reden Berliner über Berlin. Kann man so eigentlich nicht stehenlassen. Könnte auch am Rucksack gelegen haben, sagte ich, ja, sagte er. Zu heftig runtergerissen, das Temperament der Jugend. Daraufhin sagte er nichts mehr. War ihm wohl zu blöd. Vielleicht hielt er sich auch schon für alt, so wie die Alten sich für jung halten.

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Esprit d’escalier – das ist, wenn einem die besten Pointen immer erst hinterher einfallen, beim Verlassen des Hörsaals sozusagen. Eine Erscheinung, die uns unser ganzes Leben lang begleitet hat.

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Kölner Treff. Helge Schneider ist da. Die Böttiger meint, dass er fünf Kinder hat, er sagt: sechs. Sie fragt: von vier Müttern? Er lächelt geschmeichelt und sagt geheimnisvoll: Das entzieht sich meiner Kenntnis.

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Geh raus und rauch.

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Mir kommt es so vor, als ob ich schon seit Jahrzehnten die gleichen Sachen trage. Sagt Judi Dench, deren neuer Film „Philomena” in die Kinos kommt. (FAS, 23. 2. 14) Geht mir auch so.

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Was ist Ihre Lieblingsbeschäftigung? Im Bett liegen. Die Gedanken schweifen lassen. Einschlafen. Diesen und jenen Traum träumen. Aufwachen. Noch ein bisschen liegen bleiben.

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Heute denke ich, aus dem Küchenfenster schauend, da hat sich der alte Höhne, vermittelt durch seinen Hund, noch ’ne Geliebte angelacht, die sogar zwei Hunde hat. Wie das Leben so spielt. Durch ihre Hunde kommen Menschen ja oft zusammen. Und was für prächtige Hunde das sind! Sie sind so dynamisch, dass die Dame sie kaum zu halten vermag. Die dann aber aus der Nähe betrachtet doch Höhnes Frau ist. Wird ja immer verrückter. Was wollen denn diese armen alten Leute mit drei vitalen Hunden!

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Als ich nach Hause komme, liegt Schalke knapp 0:5 gegen Real Madrid zurück. Knapp deshalb, weil es auch viel höher stehen könnte, denn die Madrilenen haben weitere, genial herausgespielte Chancen, während die, ich sag mal, Knappen wütend und mit großer Härte gegen den hoffnungslos überlegenen Gegner vorgehen, um sich dabei selbst zu verletzen.

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Martin sagt: Ein Idiot war ich immer. Aber jetzt bin ich ein tränenseliger Idiot geworden. Ich lese irgendwo: Goethe fasste 1826 Grillparzer an der Hand und führte ihn in den Speisesaal. Grillparzer brach in Tränen aus. Und ich weine mit, bin zu Tränen gerührt.

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Sebastians Charme-Opfer sind meistens unschuldige Supermarkt-Kassiererinnen.

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Mittag, im TV läuft Ilja Richters alte Disco. Vicky Leandros singt Apres toi, Siegertitel Grand Prix von was weiß ich wann. Wie sie sich ins Zeug legt! Und es lohnt sich. Die linke Hand greift das Mikro, die linke Schulter ist vorgeschoben wie bei einem Boxer, der die Angriffsfläche verkleinern will, und die Rechte erzählt das Geständnis, das Bekenntnis, die große Liebeserklärung unterstützend mit. Das ist keine ausgeleierte Schlagerrhetorik, das ist der heilige Moment, der zählt.

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Robert Stieglitz gegen Arthur Abraham. Supermittelgewicht Weltmeister gegen Herausforderer. Mir gefällt dieser Stieglitz nicht mit seiner grandiosen Kondition. Wie der unablässig nach vorn stürmt und mit einem Schlagwirbel auf den Gegner eindrischt, irgend ein Haken wird schon treffen, und wenn er nicht mehr kann, legt er sich mit dem Oberkörper auf den Gegner drauf und schiebt ihn durch den Ring wie ein ungelenker Tanzschüler. Arthur ist ein bisschen aktiver als zuletzt. Verschanzt sich nicht so oft hinter seiner Doppeldeckung, schlägt allerdings zu wenig mit der Rechten. Aber in der 12. Runde erwischt er Stieglitz, der geht zu Boden, wird angezählt. Nur der Schlussgong kann ihn retten. Ein schlechter Verlierer ist er außerdem. Seiner Meinung nach hat er klar gewonnen und kann sich das 2:1-Urtei gegen ihn nicht erklären. Nun, Abraham hat sicher weniger Schläge angebracht, aber die eindeutig härteren.

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Teilweise fahren jetzt die Hundehalter hier schon von weither mit ihren PKW vor, damit ihre Tiere dann unser unschuldiges Wäldchen vollscheißen können.