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Archive for August 2019

Durch die Stadt

Besonders wissbegierig sehen diese Leute nicht aus. Kennt ihr denn das alles schon?!
© FJK

Auf dem Bahnsteig stadteinwärts liegt ein Scheißhaufen. Ich habe ihn zu spät gesehen. Nun stehe ich in seiner Nähe. Fliegen umkreisen ihn. Es ist wahrscheinlich ein menschlicher Scheißhaufen, nachts tut sich einiges auf den Bahnhöfen, wenn die Trinker sehen müssen, wo sie bleiben. Nicht genug, dass ich schon so früh das Haus verlassen musste, verdirbt dieser Haufen erst recht die Tageslaune. Früher sagte man, jedenfalls bei uns in Mecklenburg: Da hat jemand einen Wachposten hingesetzt, aber das war nur ein fruchtloser Versuch, der Sache etwas Lustiges abzugewinnen. Die Bahn ist natürlich voll. Menschen mit Fahrrädern und Hunden, vom Smartphone ganz zu schweigen. Ich gehe davon aus, dass Ostkreuz einige die Bahn verlassen werden und kriege nicht nur Recht, sondern auch einen Platz. Eine Oma, ihre schwangere Tochter, ein etwa vierzehnjähriger Sohn und ein vielleicht achtjähriger, der seiner Mutter auf die Nerven geht, weil er mit seinen Schuhen an ihre Schuhe kickt. Die Oma zeigt im luftigen Kleid, was sie noch zu bieten hat. In meinem Rücken röchelt ein alter Mann. Ein Kleinkind schreit durchdringend. Was mich rettet, ist Eduard von Keyserlings Roman Wellen. Seine kurländischen Aristokraten. Am Bahnhof Zoo muss ich in den Bus umsteigen, den ich hasse. Es sind ja immer Abenteuerfahrten, die meistens sogar gut ausgehen. Man kann sich nur wundern. Der Bus schlingert wie ein trunkenes Schiff. Die Leute wissen nicht, ob sie lieber stehen oder sitzen sollen. Was ist weniger gefährlich. Vom Bus aus sieht die Stadt ungeordnet und beliebig aus. Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass das Gerät einen an den Zielort bringt, und dann geschieht es doch. Luisenplatz Schloss Charlottenburg. Ich meine, der Weg ist nicht mal besonders weit, er kommt einem nur endlos vor. So, als führe der Bus durch völlig fremde Gegenden auf einem anderen Planeten.

Wenn man aber dem Bus einmal entronnen ist, blickt man direkt auf den Schlosspark. Eine Touristengruppe wird am Fuße eines etwas mickrigen Denkmals des Alten Fritz instruiert, wie es mal war und wie alles so gekommen ist. Auch am Luisenplatz wird gebaut wie verrückt. Kämpferische Radfahrer kommen uns entgegen. Eine hochgewachsene hagere Frau schiebt ihr Fahrrad, sie scheint eine andere Frau zu verfolgen und zetert in voller Lautstärke. „Der kommt höchstens für Lach-Yoga in Frage. Jawoll. Das wollt ihr alle nicht hören. Ihr Arroganten!” Eine Touristengruppe kreuzt ihren Weg. Merkwürdiger Weise verstummt sie vor der unbekannten Übermacht.

Mein Gastgeber wohnt im dritten Stock. Ich bewundere ihn sofort wegen Ordnung in seinen Räumen. Wie schafft man das. Da muss man wohl ein gänzlich anderer Mensch sein (als ich) oder mal einen klaren Schnitt in seinem Leben machen. Alles, was wir nicht brauchen, entsorgen.

Auf dem Rückweg mutiert der Bus zur Touristenschleuder. Die Touris kommen aus Spanien und aller Herren Länder und heben die Stimmung. Am Bahnhof Zoo liegt ein Obdachloser vorm Eingang inmitten seiner verstreuten Habseligkeiten. Ein voluminöser Security-Mann tritt auf ihn zu und ruft mit aufmunternder Lehrerstimme: Nicht hinlegen! Nicht hinlegen! Das ist nicht zulässig.

Der Mann rappelt sich auf. Lange wird er sich so nicht halten können.

Ich komme nach Hause und fange an, ein bisschen aufzuräumen. Gute Beispiele verbessern die Sitten. Ich weiß aber, dass ich meistens Sachen wegwerfe, die ich ein paar Wochen später brauche.

In der Galerie

Gut ins Bild gesetzt, auch wenn man nur Zaungast der Gruppe ist
© FJK

Die Berlinische Galerie ist nicht leicht auffindbar, finde ich. Die öffentlichen Verkehrsmittel halten Abstand zu ihr. Ich habe eine Wegbeschreibung vom U-Bahnhof Moritzplatz bis zur Galerie, die war geradezu grotesk in ihrem Hang zur Genauigkeit, der nur Verwirrung stiften konnte. Aber gut, wir waren da, wir haben einen einfachen, aber langen Weg genommen und mit der Weisheit des Trinkers nach Kneipen Ausschau gehalten, die man nach dem Kunstgenuss aufsuchen könnte, denn wir hatten ein Geburtstagskind in unseren Reihen. Infrage kamen ein Italiener, ein Kroate und ein Chinese. Nach ein paar tausend Metern war das Viertel von Kunst infiltriert. Schilder wiesen auf die Galerien des gesamten Landes hin.

Es war Sonnabend und einer der letzten Tage der Lotte-Laserstein-Ausstellung. Lotte Laserstein wurde 1930 berühmt, nach 1933 mehr und mehr vergessen, 2018 mit einer großen Ausstellung im Städel in Frankfurt am Main wieder berühmt. Das Vergessen lag an der jüdischen Herkunft der 1898 in Ostpreußen geborenen Künstlerin, die nach Schweden emigrierte, von Sammlern und Kunstmarkt abgeschnitten wurde und in Schweden blieb bis zu ihrem Tod 1993.

Lasersteins Palette, auch ein Stück Kunst
© ADe

Verheugen, der eben noch die modernen Bauten am Wege verachtete, zeigte sich von der Innenarchitektur der Galerie beeindruckt, kühl, mutig, schräge Treppen, die den Raum definierten. Vor Lasersteins berühmtesten Bild, drängten sich die Enthusiasten: „Abend über Potsdam”, gemalt 1930. Drei Frauen, zwei Männer auf einem Balkon, die Stadt in ihrem Rücken. Die Falten des gestärkten Tischtuchs, auf dem Tisch noch ein paar Früchte, man hat sich vielleicht mit Vorfreude getroffen und gesehen, dass man sich keinen Mut machen kann. Was kommt – es wird nicht gut sein. Man gehört zusammen und wird sich nicht helfen können. Eine Stimmung, die wir heute besser verstehen als vor fünf oder sechs Jahren.

Diskrete Aufsicht

Lotte Laserstein malte die neue Frau. Schlanke, unsentimentale Gestalten mit Bubikopf-Frisuren. Tennisspielerinnen, Kunstkritikerinnen. Mädchen mit fiebrigen Wangen und meerblauen Augen. Eine Spanierin, ein Mongole, ein Motorradheld, ein russisches Mädchen mit Puderdose. Laternenkinder.

War es so, dass Laserstein ihr Optimum nicht mehr erreichen konnte, nachdem sie Deutschland verlassen musste? Wir sind der Frage nicht nachgegangen. Wir wollten es lieber nicht glauben.

Im Anschluss entscheiden wir uns für den Kroaten, ein Ecklokal mit Tischen und Stühlen vorm Haus. Schopska Salat, Zagreber Platte, Budweiser und hausgebrannter Grappa. Die Bilder Lotte Lasersteins folgen uns. Diese Art zu malen, ohne zu urteilen, zu kommentieren, zu karikieren, zu fordern, anzuklagen. So sieht man am nachhaltigsten.

Am Fluss

August 8, 2019 2 Kommentare

Platz für alle
© FJK, ADe

Glücklich ist die Stadt, die einen Fluss in ihrer Mitte hat. Das hab bei meinem einzigen Aufenthalt in Köln gesehen. Wir saßen am Ufer des Rheins und aßen Haxe. Die Haxe war gut, das Leben war gut, allen Leuten um uns herum schien es gut zu gehen.

Pizza, Radler, Bier

Wir saßen in Halle an der Saale und nahmen in Dresden am Elbhangfest teil. Aber das große Flusserlebnis war eben Köln. Dafür musste die Stadt an einer Fülle von überschwänglichen Liedern leiden. Wenn das Wasser im Rhein goldner Wein wär und sowas …

Zwischen Landung und Start

Berlin hat sich nicht viel aus der Spree gemacht. Jedenfalls Ost-Berlin. Man konnte mit Heiner Müller vom verkommenen Ufer sprechen. Aber das ändert sich. Zunächst in Mitte. Du kannst es sehen am Schiffbauerdamm. Die Kneipen haben Tische und Stühle ans Ufer gestellt. Die Kellner müssen über die Straße rennen mit ihren Speisen und Getränken, aber das tun sie ohne Murren. Wir sind ja hier nicht an der Jannowitzbrücke, wo sie behaupten, man könnte ihnen die Kasse klauen, während sie das Bier in den Biergarten tragen. Man muss es selber holen. Im Gastraum sitzen nur zwei trübe Gestalten, die viel zu phlegmatisch wären, um sich an einer Kasse zu schaffen zu machen.

Sie kommen sogar aus dem Tirol herbeigeeilt

Auch in Karlshorst können wir jetzt am Wasser unter alten Bäumen sitzen, Pizza essen und Flaschenbier aus München trinken. Der Ort ist zwischen dem alten DDR-Radio und der Spree. Überhaupt nicht schick. Das Pflaster eines alten Parkplatzes, eine holprige Wiese, eine niedrige Uferbefestigung, auf der man auch sitzen kann. Lange Tische und Bänke. Die Stimmung erinnert an die der Leute am Rhein-Ufer in Köln. Sie wird von der ruhigen Strömung des Flusses vorgegeben. Kein Ruf, kein Schrei. Moderate Gespräche. Der Rundfunk hat ausgesendet. Viele kleine Musikfirmen nutzen die alten Studios und Sendesäle. Ein paar Meter entfernt im Gebüsch ist eine Art Ufo gelandet. Die Bäume fangen die Sonne ab. Das Personal spricht italienisch und englisch. Die lange missachtete Spree hat eine glänzende Zukunft vor sich, auch wenn sie nur die Wassersprache spricht. Das reicht.

Some Weather, some Politics, some Confusion

Berlin. Museumsinsel. Eröffnung der James-Simon-Galerie
© Corinna Fricke

Nachbarschaft. Mittlerweile weiß jeder von jedem, was das für’n Idiot ist. Die Rasenmäher bereiten das Wochenende vor. Die Kita-Kinder brüllen. Alles Nachträgliche zum Geburtstag. Ich bin an alles gewöhnt. Auch an das Ungewöhnliche. Er würde sich gern entschuldigen, aber er hat keine Ahnung, wie man das anstellt. Alles Schöne ist für die Hausfrau auch ein Staubfänger. Er liebte es, sich über den Mann, der er einmal gewesen war, lustig zu machen, obwohl er hätte wissen müssen, dass er noch immer dieser Mann war, auch wenn sich die Verhältnisse geändert hatten.

Vormittag im Forum Center. Die Dicken essen Torte, die Trinker trinken Bier. Gärtnerin und Kundin werfen sich botanische Namen der Pflanzen an den Kopf. Sie sind auf Augenhöhe. Sind kleine Frauen genauso gefährlich wie kleine Männer?

Ich habe noch niemals ein Buch geklaut. Nicht mal auf der Leipziger Buchmesse. Unter der Dusche sangen wir Russenlieder. Schüler im Altersheim. Da gibt es eine Hundertjährige, die aus ihrem Leben erzählt. Tote erben nicht. Das größte vorstellbare Unglück des vitalen Menschen: Die S-Bahn verpassen. Die nächste kommt erst in zehn Minuten.

Greta Thunberg agiert auf demselben Level wie der Papst, der Dalai Lama und vielleicht auch der Generalsekretär der UNO. Der Regen benötigt nicht die Wettervorhersage, um zu fallen. Wie die Leute in der Hitze rumrennen. Je fetter, desto nackter. Gar nicht schön, was man da sieht. Mächtiger Donner, mäßiger Regen. Der abermalige Dürresommer, auf den die Apokalyptiker sich so gefreut haben, findet nicht statt. Alle reden übers Wetter. Aber wir Auserwählten reden sogar übers Klima. Und über die Klimakatastrophe, die sich, wenn wir nicht dagegen kämpften, schon bald einstellen würde.

Schlagzeile: „Merkel kritisiert indirekt Trump” – Welch eine Heldentat. Die Ministerinnen und ihre Handtaschen. Da zweifelt man ein wenig an ihrer Kompetenz. Warum kommen Männer, also Minister, ohne diese Handtaschen aus? Rolf Mützenich, der Interims-Fraktionschef der SPD, sieht aus wie einer, der im Stehen schlafen kann und der das auch immer tut.

Zwei Redakteure, die in der FAZ für die dunklen Seiten des Sports zuständig sind.Mein Arsch schlägt für den 1. FC Union, nachdem er einmal auf den angewärmten Sitzen im VIP-Bereich gesessen hat.