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Posts Tagged ‘Kleingärtner’

Von der Verbotskultur

Ich esse mein Eis, wo ich will
© FJK

Die Seuche hat Vater Staat Gelegenheit gegeben, streng zu sein. Keine Partys feiern, Abstand halten, keine Fans im Stadion. Die Bürger bringt die Verbotskultur auf Ideen. Warum soll der Staat neben dem Gewaltmonopol auch das Verbotsmonopol besitzen. Da geh ich an den PC und setze ein Schild ab. Bitte! Hier kein Eis essen Weitergehen! Stimmt. In der Nähe ist eine beliebte Eisdiele. Wir reden schon vom Prinzen-Eis-Tourismus (denn wir leben hier im sogenannten Prinzen-Viertel). Das Schild beinhaltet eine Bitte und einen Befehl: weitergehen! (Schöner wäre: Schleich di!)

Was ist so schlimm daran, wenn die Leute vor meinem Zaun Eis essen? Schmatzen sie? Schwatzen sie? Immerhin dehne ich meinen Einflussbereich durch ein solches Schild über die Grundstücksgrenzen hinaus aus. Das gibt mir schon mal ein kleines Machtgefühl. Andere Schildermacher haben Angst um ihre Zäune. Die könnte zusammenbrechen, wenn man da Fahrräder abstellt.

Aktion und Reaktion

Zwischen Wäldchen und Kleingartensparte, wo wir ab und zu trotz Wind und Wetter Tischtenns spielen, lag ein umgestürzter Baumstamm. Das war sozusagen unsere Zuschauertraverse. Die Zuschauer spielten Schiedsrichter und tranken Bier. In der Spitzenzeit der Seuche, als die Leute nicht wussten wohin, haben sie hier Tag und Nacht ihre kleinen verbotenen Partys gefeiert. Der Lärm, das ganze Theater ging den Kleingärtnern auf die Nerven. Sie haben kein Verbotsschild geschrieben, sondern den Stamm zersägt und verschwinden lassen. Ich weiß nicht, was besser ist. Realistischer sind die Kleingärtner.

Die Mädchen wollten tanzen

Die Mädchen wollen tanzen. Die Jungs sitzen müßig am Bahnhof.
© FJK

Vorjahres-Collage April – Mai – Juni

Es kann nicht sein, dass du nicht weißt, wie man Mugge schreibt. Lebenslügen. Sie irren zwischen gestern und heute herum. Haben verdrängt, was sie wirklich wollen. Auf Frauenraub antwortet man mit Frauenraub. Am Ende gewinnt Bayern mit seiner einfachen Spielweise. Ich sah die größten Trinker meiner Generation. Er spricht ein dämonisches Sächsisch, aber er hat keine Leser. Dein Gedächtnis ist gemeingefährlich. Von dem Preis habe ich nie was gesehen. Ungute Gefühle im Halbschlaf. Die blasierte Fresse Fleischhauers. Der Weise Uhu ist wieder da. Drei Greisinnen hängen an seinen Lippen. Vorstadtangeber, Raucher, Biertrinker. Vergebliche Bekämpfung der Beulenpest. Bilder der Unbeweglichkeit. Lust an der knappen Zeit. Warten ist eine Kulturtechnik. Das dauerhafte Grundrauschen der Welt. Wir lesen nur Zeitung. Selbst, wenn sie sich gut gelaunt geben., spürt man die Nähe der Hysterie. Er gehörte zu den Leuten, die mit ihrem Leben etwas Besseres anfangen konnten als arbeiten. Der alte Horst ist von den Scheintoten auferstanden. Keep the balance. Er redet gerne darüber, was er mal für ein Säufer war. Sind wir hier nicht in einem Fellini-Film? Es geht um den freien Geist der Improvisation. Wir haben schon viele Tiere gerettet. Der Trinker. Der Nachtarbeiter. Der Außenseiter. Frauen, die ihn ernähren, weil seine Texte zu gut sind, als dass damit Geld verdient werden könnte. Die Mädchen wollten sich nicht unterhalten, die wollten tanzen. So schön hat er sich seinen Lebensabend früher wohl gar nicht vorstellen können. Als hätte kein Sonnenstrahl ihn je erreicht.

Er stahl die Sammeltassen aus dem Küchenschrank seiner Mutter und verkaufte sie. Zwei junge Frauen stehen direkt unter der Anzeige Rauchen verboten und rauchen. Kinder haben sie auch; wahrscheinlich wegen des Kindergelds. An der Straßenbahnhaltestelle ein sportliches Fahrrad, von dem sie bis auf den Lenker alles abmontiert hatten. Ich hatte einen komplett anderen Film erwartet. Ich bin allein. Keiner versteht mich. Ist es mein letztes Jahr? Das Saturierte quillt ihm aus allen Knopflöchern. Die Kleingärtner sind wieder da mit ihrem dezenten Übergewicht und allem Schönen, was blasierte Leute Kitsch nennen. Die Lüge ergibt sich zwangsläufig aus der Wirklichkeitsverweigerung. Sie war 104 und lebte im Heim. Nüchternheit hat auch was Berauschendes. Jeder ist seines Glückes Schmied. Und seines Unglücks auch. Wolfgang, so musikalisch er ist, tanzt doch recht steif. Viele Männer verhalten sich so, wenn sie gerade ihre Periode haben. Alles läuft aufs Neutrum hinaus. Ich habe die ganze Zeit ein Lächeln im Gesicht. Das hemmungslose Lachen der Hochschwangeren.

Der Schriftgelehrte weiß die Anworten. Auch wenn es keine Fragen gibt. Löw lebt in seiner Nivea-Blase. Alle sind dick, schwanger und stecken sich schon in der Bahn die Lulle ins Maul. Scharapowa siegt kampflos gegen Serena, die eine Verletzung des Brustmuskels zu beklagen hat. Die Kultur der Schadenfreude ist nach wie vor präsent. Hochbeete scheinen Mode zu sein. Die Alten wollen sich nicht mehr bücken. Sie sind Teil des Systems des Berliner Unvermögens, auch wenn sie noch so mokant lächeln. Der Hehler ist schlimmer wie der Stehler, belehrt die Mutter ihren Sohn. Gemächliches Berliner Leben mittags um eins. Man hat viel vor und macht so gut wie nichts. Der Nazi zieht ab in seinen breiten Nazihosen. Nicht mal das Hundemonster taucht auf. Wir wählen die Vogelschiss-Partei. In den heißen Tagen starb Philip Roth. Arbeit am Mythos. Da gibt es schon wieder ein irres Gelächter. Die Erzieherinnen plaudern, die Kinder brüllen. Durch die Fußball-WM wird Putins Herrschaft um Jahrzehnte verlängert. Die Götter sind unmoralisch. Und doch sind sie Götter. Messi verzweifelt an Island. Bei Spiegel online konnte man lesen, dass die deutschen Spieler ihren Trainer abgöttisch lieben. Nicht nur die Alten werden älter, auch die Jungen. Ich habe sie an ihrem Busen erkannt. Wir stellen jetzt alles in Frage. Nur uns selbst nicht. Schlimm genug, wenn Männer im Nieselregen Schirme brauchen. Sollen deutsche Politiker Putin die Ehre erweisen und sich mit ihm auf der Tribüne zeigen? Am Tag nach dem Ausscheiden entfernt der Deutsche alle Deutschlandfahnen von Haus und PKW.

In der Natur der Sache

Wir vermissen hier nichts. Im Gegenteil.
© Christian Brachwitz

Die Kleingärtner sind wieder da mit ihrem dezenten Übergewicht und allem Schönen, was blasierte Leute Kitsch nennen. Wagenräder, Lichterketten, Pergolen und Kunstschmiedearbeiten. Wir sind mit unserem Garten älter geworden, und wir waren nie unzufrieden. In der Kleingartenkolonie hilft einer dem anderen und der andere dem einen. Hier draußen schmeckt der Kaffee auch viel besser nach getaner Arbeit. Und Arbeit gibt es immer genug. Es kommt darauf an, dass der Garten dem Vergleich mit anderen Gärten standhält. Und dass er auch etwas Besonders zu bieten hat. Das kann zum Beispiel eine einfache Ansammlung von Feldsteinen sein, sowas Rustikales. Die Kinder können hier Hopse spielen und alles Mögliche. Ab März löchern die uns schon: Wann geht’s wieder in den Garten. Wir haben hier auch schon wunderbare Spartenfeste gefeiert; jeder leistet seinen Beitrag, und am Ende gibt’s immer einen, der nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Wir sind ja unter uns. Da kann man das schon machen. Am nächsten Tag gibt’s dann ein bisschen Spott. Nichts Bösartiges. Ich sag mal: Alles Böse hat im Garten keine Chance. Das liegt in der Natur der Sache.

Menschen in der Großstadt (2)

Achtung, Achtung, neuer Sender: Egon fällt vom Treppengeländer
© Fritz-Jochen Kopka

Hieß er Karl? Der Junge in Sven Regeners erstem Herr-Lehmann-Buch, der aus der Provinz nach Berlin, dem alten West-Berlin, zog und irgendwann durchdrehte, einfach verrückt war? Das ging mir nie aus dem Kopf. Die jungen Landeier, die große Träume mit der Metropole verbanden, unendlich viele Möglichkeiten entdeckten, aus denen letztlich nie etwas wurde, viele Freunde fanden, die in entscheidenden Momenten nicht da waren, wenn man sie am meisten gebraucht hätte. When I needed you most.

Wenn die Frauen älter werden, kontrollieren sie gerne die Müllcontainer nach dem Prinzip, was werfen die hier weg, was ist noch zu gebrauchen, was gehört hier nicht rein, wie trennen die überhaupt den Müll, diese Kulturbarbaren.

Der Kleingärtner tritt aus der Laube und ruft in die Welt hinaus: Bombe entschärft! Hört sich so an, als hätte er es selbst gemacht. Zum mindesten lag die Logistik in seinen Händen.

In der S-Bahn sitzt auf der Bank neben uns ein wohl noch junger Mann mit nicht unverdächtigem Image. Ein sonniger Sonntag in der Großstadt im April. Wärmer, als man erwartete. Der Mann neben uns springt auf und reißt sich das Hemd vom Leibe. Wilde Blicke wirft er dabei in den Wagen. Hat etwa jemand was dazu zu melden? Irgendwelche Proteste? Jetzt sitzt er da in einem mausgrauen Turnhemd, aber es reicht ihm noch nicht. Jetzt reißt er sich mit ebenso wilden Blicken den Schuh vom Fuß. Reicht immer noch nicht. Er stürzt sich auf das Fenster in unserem Abteil und reißt es auf. Eine Ladung Aggressivität ist in seinen auf mich gerichteten Augen. Alles gut, sage ich. Er geht zurück auf seine Bank, wirft sich hin und her. Müssen wir umsteigen, fragt meine Schwester. Ich schüttele den Kopf, aber Ostkreuz erhebe ich mich doch und sage komm. Wir steigen aus und gehen in den nächsten Wagen. Das wurde mir doch zu bunt. Er ist auch ausgestiegen, sagt meine Schwester. Aber der Gestank ist nicht ausgestiegen, sage ich. Oh ja, das war infernalisch. Keine weiteren Zwischenfälle in S- und U-Bahn. Am Bahnhof Pankow warten wir auf den Bus, aber der kommt nicht. Vielmehr kommt eine Frau, die sich als routinierte Schwätzerin entpuppt. In ihrem Schlepptau ein lächelnder Mann. Der Frau redet unentwegt, der Mann lächelt unentwegt, Hände in den Hosentaschen, und sagt kein einziges Wort. Der scheint clever zu sein. Man weiß nicht, ob er überhaupt zuhört. Sein indifferentes Lächeln kann alles bedeuten. Wahrscheinlich ist die Frau Lehrerin, vielleicht sogar Direktorin.

Sonntag beim Bäcker. Ich kann leider nur mit einem Hundert-Euro-Schein zahlen, sage ich. Den darf ich ja gar nicht nehmen, sagt die Bäckersfrau. Na dann, sage ich und geb ihr zehn Euro. Ick lass mir heut sowieso nicht ärgern. Es kostet dann 5,56 €. Ob ich sechs Cent habe. Zählen Sie mal mit, sage ich. Sind schon sieben, sagt sie. Sehen Sie, so bin ich zu Ihnen und wie sind Sie zu mir?, sage ich. Ich freu mir, wenn ick mal Zeit habe, sagt sie. Vorbildlich akausal, diese Antwort.

Als wir aus dem Kino kommen, ist halb Friedrichshagen betrunken, jedenfalls soweit es sich in Bahnhofsnähe befindet. Auf dem Bahnsteig steht ein älterer fülliger Herr in Safari-Kleidung und trompetet ins Telefon. Er redet endlos, sagt aber dabei immer nur, dass er schon Bier besorgt hat. Man kann in der Großstadt nicht alleine sein.

Das war 2017

Märzsonne 2017
© Fritz-Jochen Kopka

Aus den Zusammenhängen herausgenommene Tagebuch-Sätze

Januar – Februar – März

Jeder Berliner, der nach dem Anschlag über einen Weihnachtsmarkt geht, erhält die Heldenmedaille. Im Halbschlaf träumt mir, dass die Monarchie ausgerufen und Angela Merkel zur Königin erklärt wird, was ihr einen schweren und verletzenden Wahlkampf erspart. Wo der Erfolg übermächtig wird, formieren sich die Gegenkräfte. Waren Herbert Roths Lieder Volkslieder, weil das Volk sie mitsang? Wenn man so will, waren Herbert Roth und seine Musikanten die Gartenzwerge der DDR-Musik. Die Raucher gehen hinaus mit ihren Entzugserscheinungen, um draußen bei Frost und Glatteis ihre Lulle zu genießen, und kommen glücklich wieder rein, bis erneut Entzugserscheinungen auftreten. Die Müdigkeit im Pausenraum der DDR. Ich teile die Feststellung, dass Führungskräfte auf dem Weg nach oben fast immer seltsam geworden sind. Deutschland Land der Chöre. Ob überhaupt noch gelesen wird? Abgesoffene Gartengrundstücke. Der Mensch soll die Natur nicht dominieren.

Spannung ist ausverkauft. Heute ziehen sich die Hunde im Winter alle was an.  Das ist die eine Seite. Andererseits fragt man sich, ob wir nicht mit all diesen Dingen in die Evolution eingreifen und zur Verweichlichung der Hunde, letztlich zu ihrem Untergang (siehe Saurier) beitragen. Es droht nicht der Untergang Deutschlands, wenn die Bayern mal ein Spiel verlieren

Wir kommen in unserem Leben nicht aus ohne das Neue. Wer erklärt mir das Phänomen Martin Schulz. Der Gabriel sah immer irgendwie verhängnisvoll aus. Natürlich sind die Leute auch Merkel-müde, Merkel ja auch. Die Väter bleiben jung durch ihre Kinder. Die Kinder werden alt durch ihre Väter. Ich hätte gern gewusst, wie so ein baltisches Frühstück daherkommt. Liegt da die Russenangst mit auf dem Teller? Mit gerade siebzig Jahren bringt Paul Auster seinen bedeutendsten Roman heraus, und Radio Eins präsentiert die Deutschlandpremiere von „4321“ im Großen Sendesaal des RBB. Auster ist körperlich nicht in allerbester Form, die Beine sind eine Winzigkeit schneller als der Oberkörper, er ist wieder bei einem seiner Lebensthemen, der Musik des Zufalls. Der Schriftzug BAHNHOF FRIEDRICHSTRASSE, die gläserne Überdachung der Bahnsteige und die Straßenüberführung des Gleises – das ist der letzte authentische Anblick an diesem Ort

Det war ja damals immer schlimm, wenn einer den andern nischt gegönnt hat. Und jetzt is det noch viel schlimmer.Der Verkehr wird fluten. Was Neues, was Großes wird entstehen. Der Genius loci – hier ist er der Geist der Kleinteiligkeit in der Großteiligkeit. Die Sommerzeit hat begonnen. Es ist der Tag, wo viele Leute ihre Termine verpassen. Kleingärtner bist du immer zu hundert Prozent. Hundehalter werden ihren Hunden ähnlich, Kleingärtner ihren Pflanzen. Unsere Polizei! Sorgt sich um das Wohlbefinden der Vögel in einer Stadt, in der dauernd eingebrochen und kein Täter ermittelt wird. Was soll denn so falsch daran sein, aus der Zeit zu fallen! Dies ist nicht meine Zeit!

Rückkehr der Kleingärtner

Gleich wird noch der rote Teppich ausgerollt für den Einzug der Kleingärtner

Genau. Die Rückkehr der Kleingärtner ist der dritte Teil der Frühlings-Trias. Die Rückkehr der Kleingärtner erfolgt nie zu früh. Der Kleingärtner weiß genau: Wenn er erst mal seinen Kleingarten in der Sparte wieder aufgesucht hat, dann ist er nicht mehr der Liebhaber schöngeistiger Literatur Johannes Zeißig oder der Serienfreak Gregor Langhans, nein, dann ist er nur doch der Kleingärtner. Kleingärtner bist du immer zu hundert Prozent. Es frisst dich auf. Deshalb freust du dich, wenn die Saison vorbei ist, freust dich über den Winter. Dann bist du wieder Mensch und kein Kleingärtner mehr.

Ich beobachte die Kleingärtner von meinem Fenster aus. Nicht aus Voyeurismus oder Neugierde, sondern nur, wenn es sich so ergibt. Ich bewundere ihre feinen Instinkte. Ich habe noch nie einen Kleingärtner lange nach einem Parkplatz suchen sehen. Sie kommen genau dann, wenn Platz ist. Sie müssen auch nicht lange manövrieren, der Stellplatz ist immer reichlich. Dann fangen sie an auszuladen, indem sie erstmal eine Schiebkarre aus ihrem Garten holen. Ich kenne keine Kleingärtner-Singles. Es sind immer Paare, die über die Jahrzehnte so eng mit einander geworden sind, dass sie sich, ohne zu sprechen, miteinander verständigen können. Sie sind schweigsam wie ihre Gewächse. Und wenn mal Not am Mann ist, genügt ein Stichwort (oder die wichtigste Silbe eines Stichworts) und alles ist klar. Hundehalter werden ihren Hunden ähnlich, Kleingärtner ihren Pflanzen.

Ich bin kein Feminist, wenn ich sage, dass Kleingärtner-Frauen es schwerer haben als Kleingärtner-Männer. Da ist etwa die hübsche Frau mit ihrer romantischen Tochter. Sie war mit einem musischen Mann zusammen, der sich aus künstlerischen Gründen die Haare blondieren und zu einem Afrolook gestalten ließ. Seine musikalischen Kenntnisse gab er an das Kind weiter. Mich störte an ihm, dass er auf einem Damenfahrrad fuhr. Aber die Frau muss wohl noch mehr an ihm gestört haben. Irgendwann kreuzte sie hier mit einem athletischen Macho-Typ auf. Und mittlerweile ist auch dieser Typ verschwunden, und die Frau kommt auch nicht mehr.

Und dann die Missgestimmte. Eine Frau in mittleren Jahren mit einem üppigen, schlecht geordneten Haarschopf. Sie liebt große PKW. Sie kommt oft allein, dann ist ihre Laune noch schlechter als gewöhnlich. Aber sie versteht es doch immer wieder, Männer für ihren Garten zu interessieren. Ich habe noch nie gesehen, dass die Frau und der wechselnde Mann miteinander gescherzt hätten oder so. Die Männer werden jetzt immer älter. Sie könnten der Vater der Missgestimmten sein. Die Frau geht träge, der Mann scheint schnell zu gehen, aber er bleibt doch immer einen Meter hinter ihr zurück. Es ist Frühling, unser Bäcker hat ein Frühlingsbrot im Angebot, und die Kleingärtner kehren zurück mit all ihren Freuden und Schicksalen.

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Ende der langen Unterhosen, Beginn der Sommerzeit, Rückkehr der Kleingärtner

So kaputt der kaputte Heinrich auch gewesen sein mag: Er trug die langen Unterhosen bis weit in den März hinein. Berlin Moabit

Verheugen ist einer, der das immer thematisiert: Hast du schon (oder noch) die langen Männer an? Die langen Männer. In meiner Kindheit nannte man sie Fechterhosen. Man hatte keine guten Karten, wenn man Fechterhosen anhatte. Wenn das rauskam, etwa im Umkleideraum beim Sport. Das galt als unmännlich, was für Jungs peinlicher ist als für Männer. Man hatte gefälligst ohne lange Unterhosen durch den Winter zu kommen. Sonst war man eine Memme oder ein Mädchen. Mit der Armeezeit (der Zeit bei der Fahne) war dieser Anspruch obsolet. Ohne die langen Männer hätten dir die Armeehosen die Haut von den Knochen gerieben, so ein verdammter Stoff war das. Das heißt, man musste sie auch im Hochsommer tragen. Auch aus diesem Grund galten die Soldaten als arme Schweine. Beim turnusmäßigen Wäschewechsel wurden die langen Männer abgegeben und man bekam dann wahllos andere, ich meine, sie waren zwar gewaschen, aber es war doch kein gutes Gefühl. (Sperma ist dicker als Wasser.) Nach der Armee hat man dann sein Ethos aufgegeben. Man fügte sich den langen Unterhosen. Ist ja auch Quatsch, sagt Verheugen, wenn man bedenkt, wie gut der Oberkörper geschützt wird, und unten nur ein Schlüpfer und ’ne Hose? Der Unterkörper muss besser geschützt werden, das liegt auf der Hand. Da soll man auch konsequent sein. In der Regel war es so: So wie man sich entschloss, zu langen Unterhosen überzugehen, wurde es wieder warm. Und ausgangs des Winters wurde es plötzlich kalt, wenn man vorhatte, die langen Unterhosen wieder abzulegen.

Der elektrifizierte Kleingärtner

© Fritz-Jochen Kopka

Der Rasenkantentrimmer/belebt die Landschaft immer

Mit der Einheit Deutschlands kam noch einmal neuer Schwung in die Gartensache, an der ich fast schon das Interesse verloren hatte. Aber nun stand mir – einerseits und andererseits, wenn ich mich so ausdrücken darf – viel mehr Zeit zur Verfügung. Einerseits gab es meinen Arbeitgeber nicht mehr, so dass ich mir die Arbeit selbst geben konnte und musste; ich war Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugleich, Begriffe übrigens, die mir zunächst fremd waren, an die ich mich aber schnell gewöhnen konnte. Wie auch an meine Doppelrolle als Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die der Doppelbelastung berufstätiger Frauen zu DDR-Zeiten, ich würde mal sagen, gleich kam. Ich war (und bin) als Arbeitgeber nicht allzu streng (will aber Resultate sehen) und als  Arbeitnehmer ziemlich fleißig. Wenn ich als Arbeitgeber doch mal Anlass habe zu meckern, antworte ich als Arbeitnehmer (im Stillen), dass ich woanders mit meiner Arbeitskraft mehr verdienen könnte. So komme ich mit mir ganz gut aus, und der Garten kann sich sehen lassen.

Nun zum Andererseits, dem eigentlichen Grund meiner Wortmeldung. Das sind die vielen phantastischen Gartenhelfer, ich meine die moderne Technik, die du in jedem Gartenmarkt nicht billig, aber durchaus erschwinglich, erwerben kannst. Ich will nicht aufschneiden, aber ich möchte sagen: Ich habe alles. Den Rasenmäher, den Rasenkantenschneider, die Heckenschere, die Kettensäge, den Häcksler, mehrererlei Pumpen bis hin zu dem Gebläse, mit dem du das Unkraut zwischen den Steinen ausbrennen kannst. Das alles stelle ich als Arbeitgeber mir, dem Arbeitnehmer, zur Verfügung. Da kommt Leben, und ich möchte sagen, fast auch industrielle Anmutung in den Garten und in den Kiez! Was macht schon ein Spatenstich, ein Sensenhieb, ein Komposthaufen her! Nichts doch. Aber wenn ich nun das Unkraut wegbrenne! Toll, es klingt, als würde ein Flugzeug starten. Der Häcksler bei dickeren Zweigen – das rappelt im Karton, und die Leute staunen. Mein Lieblingsgerät aber ist der Rasenkantenschneider oder auch -trimmer. Der macht äußerlich nicht viel her und der Preis war kaum der Rede wert. Aber was der für einen Radau veranstaltet – phantastisch. Man könnte das, vielleicht sogar sauberer und schneller, auch mit einer mechanischen Rasenschere bewerkstelligen, aber wer bekäme etwas davon mit? Und mit dem munteren Trimmer: Die Leute werden blass, und ich spüre, dass ich mitten im Leben stehe und mich nachgerade zu einer technischen Avantgarde zählen kann. Ich hätte liebend gern noch mehr Rasenkanten in meinem Garten.

Also, wenn Sie schon selbst darauf kommen: Intellektuell bin ich nach wie vor ambitioniert, das darf ich sagen. Bei mir beginnt die Gartenarbeit erst, wenn ich die Bildzeitung studiert habe. Ich bin immer auf dem letzten Stand, alles, was wichtig ist, ist mir bekannt. Möchte allerdings dem Springer Verlag vorschlagen, ein Blatt zu entwickeln, das man nicht nur lesend zu Kenntnis nimmt, sondern eines, das man auch hört, eine Zeitung, die rattert, quiekt, brüllt und faucht. Die Zeit meines Zeitungsstudiums ist mir einfach zu still.

 

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Männer und Frauen, nein, Frauen und Männer

© Fritz-Jochen Kopka

Ein modernes Frauenbild setzt sich durch; hier und da.

Es war Thomas Steffens durchaus bewusst, dass er verheiratet war. Aber seine Frau wohnte in Hamburg, und er wohnte in Würzburg, es war ihm nicht gelungen, eine Stelle in Hamburg zu ergattern, und es würde ihm auch weiterhin nicht gelingen. Wenn er seine Frau in Hamburg besuchte, gefiel ihm das nicht besonders, außerdem war es strapaziös, und wenn sie ihn in Würzburg besuchte, gefiel ihm das auch nicht, aber es war weniger strapaziös, die Fahrerei entfiel, wobei es weniger um das Fahren an sich ging als um die vielen verlorenen Stunden. Steffens war ein Mensch, der viel Zeit für sich benötigte; er war gern langsam.

Manchmal vergesse ich, dass ich verheiratet bin.

Manchmal vergaß Steffens, dass er verheiratet war.

Ich bin ja verheiratet. Ich hatte es nur gerade wieder vergessen. Meine Frau wohnt in Hamburg, ich wohne in Würzburg. Dazwischen ist eine große Leere, dazwischen ist einfach nichts. Wenn ich sie sehen will, muss ich mir ein Bild anschauen, wenn ich sie lieben will, muss ich hinfahren, es dauert ein paar Stunden hin, es dauert ein paar Stunden zurück, ich finde in Hamburg einfach keine Stelle, sie findet in Würzburg keine Stelle, wobei ihre  Stelle in Hamburg sowieso die bessere, besser bezahlte und sicherere ist. Sicherheit ist das Wichtigste in dieser Zeit. Meine Freunde sagen, wir passen nicht zusammen.

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Ehepaare als Landplagen, wie kommt das bloß? Sie tragen ihr schwieriges Binnenklima nach draußen.

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Kleingärtnerehepaare tragen erdfarbene Kleidung. Auch die Haare sind erdfarben. Mindestens dreimal knallen die Autotüren, meistens aber sechs- bis achtmal, wenn sie ankommen, unsere Straßen vollstellen und ihren Kleingarten aufsuchen. In unserer kleinen Straße wiegt das Knallen der Autotüren schwer, es schreckt uns auf.

Der Kleingärtner hat sich seine Haltung durch das ewige Bücken und Herumkriechen auf dem Erdboden verdorben. Er kann sich nach all der Bückerei nicht mehr richtig aufrichten oder es ist ihm einfach zu umständlich.

Jüngere Kleingärtner sind in der Minderzahl. Mir fallen hier erst einmal nur der Afroblonde mit dem Damenfahrrad und der Macho mit den Strähnchen ein. Diese jüngeren Kleingärtner zeichnen sich dadurch aus, dass sie massenhaft Material und Lebensmittel mitbringen. Man fragt sich oder konkret frage ich mich, wie sie das alles in einem Kleingarten unterzubringen vermögen. Sie kommen und holen erst einmal die Schubkarre aus dem Garten und dann laden sie aus.  Der Kleingarten als Stützpunkt für alles Mögliche. Zuhause halten wir es zusammen nicht mehr aus, wohl aber im Kleingarten. Großwelt und Kleinwelt. Wenn die Großwelt unterzugehen droht, ziehen wir uns zurück in die Kleinwelt. Der Macho mit den Strähnchen lässt übrigens seine kleine, magere, aber zähe Frau (ich schätze, er wiegt doppelt so viel wie sie) schleppen. Er selbst schwingt sich eine leichte Reisetasche über die Schulter. Sie trägt vier schwere Teile, schwankt und wankt, das kümmert ihn nicht.

Wer seinen Partner verliert, gibt den Garten ab. Allein ist ein Garten nicht auszuhalten. Oder man findet einen neuen Partner, zum Beispiel den Alkohol. Im Kleingarten Seite an Seite mit dem Alkohol, das geht auch.

Ärztin und Hauptkommissar:

Ihre Leber sieht gut aus.

Ich trinke nicht.

Rauchen?

Nein, auf keinen Fall. Nichtraucher.

Treiben Sie Sport?

Auch nicht. Um Himmels willen.

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In der Regel finden Frauen, dass ich mir zu oft die Hände reibe. Was soll denn so schlimm daran sein!

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In den schweren Zeiten teilte die Katze mit ihm die Einsamkeit. Sie wartete auf ihn und freute sich, wenn er kam. Ein Lebewesen mit glänzendem Fell. Treuer als alle Menschen. Das vergaß er ihr nie. Er fühlte mit ihr mit, sie war ihm näher als Menschen.

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Alleinerziehende Frau mit Hund. Sie hatte kein Kindermädchen, aber ein Hundemädchen.

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Der Neid der Frauen auf die Männer, weil Männer jeden Tag dasselbe anziehen können, ohne jenseits der guten Gesellschaft zu stehen, während sie, die Frauen, jeden Morgen faustische Zweifel wälzen, was zieh ich an, ich hab nichts anzuziehen, ehe sie, immer noch schwankend, in die Röcke springen  können.

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So ein Mann macht doch viel Dreck im Haus, sagte sie.

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