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Posts Tagged ‘Raucher’

Das war 2017

Märzsonne 2017
© Fritz-Jochen Kopka

Aus den Zusammenhängen herausgenommene Tagebuch-Sätze

Januar – Februar – März

Jeder Berliner, der nach dem Anschlag über einen Weihnachtsmarkt geht, erhält die Heldenmedaille. Im Halbschlaf träumt mir, dass die Monarchie ausgerufen und Angela Merkel zur Königin erklärt wird, was ihr einen schweren und verletzenden Wahlkampf erspart. Wo der Erfolg übermächtig wird, formieren sich die Gegenkräfte. Waren Herbert Roths Lieder Volkslieder, weil das Volk sie mitsang? Wenn man so will, waren Herbert Roth und seine Musikanten die Gartenzwerge der DDR-Musik. Die Raucher gehen hinaus mit ihren Entzugserscheinungen, um draußen bei Frost und Glatteis ihre Lulle zu genießen, und kommen glücklich wieder rein, bis erneut Entzugserscheinungen auftreten. Die Müdigkeit im Pausenraum der DDR. Ich teile die Feststellung, dass Führungskräfte auf dem Weg nach oben fast immer seltsam geworden sind. Deutschland Land der Chöre. Ob überhaupt noch gelesen wird? Abgesoffene Gartengrundstücke. Der Mensch soll die Natur nicht dominieren.

Spannung ist ausverkauft. Heute ziehen sich die Hunde im Winter alle was an.  Das ist die eine Seite. Andererseits fragt man sich, ob wir nicht mit all diesen Dingen in die Evolution eingreifen und zur Verweichlichung der Hunde, letztlich zu ihrem Untergang (siehe Saurier) beitragen. Es droht nicht der Untergang Deutschlands, wenn die Bayern mal ein Spiel verlieren

Wir kommen in unserem Leben nicht aus ohne das Neue. Wer erklärt mir das Phänomen Martin Schulz. Der Gabriel sah immer irgendwie verhängnisvoll aus. Natürlich sind die Leute auch Merkel-müde, Merkel ja auch. Die Väter bleiben jung durch ihre Kinder. Die Kinder werden alt durch ihre Väter. Ich hätte gern gewusst, wie so ein baltisches Frühstück daherkommt. Liegt da die Russenangst mit auf dem Teller? Mit gerade siebzig Jahren bringt Paul Auster seinen bedeutendsten Roman heraus, und Radio Eins präsentiert die Deutschlandpremiere von „4321“ im Großen Sendesaal des RBB. Auster ist körperlich nicht in allerbester Form, die Beine sind eine Winzigkeit schneller als der Oberkörper, er ist wieder bei einem seiner Lebensthemen, der Musik des Zufalls. Der Schriftzug BAHNHOF FRIEDRICHSTRASSE, die gläserne Überdachung der Bahnsteige und die Straßenüberführung des Gleises – das ist der letzte authentische Anblick an diesem Ort

Det war ja damals immer schlimm, wenn einer den andern nischt gegönnt hat. Und jetzt is det noch viel schlimmer.Der Verkehr wird fluten. Was Neues, was Großes wird entstehen. Der Genius loci – hier ist er der Geist der Kleinteiligkeit in der Großteiligkeit. Die Sommerzeit hat begonnen. Es ist der Tag, wo viele Leute ihre Termine verpassen. Kleingärtner bist du immer zu hundert Prozent. Hundehalter werden ihren Hunden ähnlich, Kleingärtner ihren Pflanzen. Unsere Polizei! Sorgt sich um das Wohlbefinden der Vögel in einer Stadt, in der dauernd eingebrochen und kein Täter ermittelt wird. Was soll denn so falsch daran sein, aus der Zeit zu fallen! Dies ist nicht meine Zeit!

Der große Tote

Helmut Schmidt. Er hatte eine seltsame, altfränkische Frisur, die ihm aber stand. Es gab für ihn keine andere. Am Tag nach seinem Tod würdigen sie ihn von allen Seiten. Mit einer gewissen Würdelosigkeit. Sie vergaßen etwa nicht, darauf hinzuweisen, dass sie den Qualm seiner Mentholzigaretten ertragen hatten, „deren Vorrat unerschöpflich schien”. Was für ein Quatsch. Wenn eine Packung leer ist, muss man eine neue kaufen. Unerschöpflich! Der Weltökonom. Der Jahrhundert-Lotse. Politiker, Publizist, Philosoph (Pianist fehlt noch). Der Mann, der die RAF besiegte. Ästhet der Macht. Wirtschaftskanzler, Gipfelstürmer, Währungsreformer. Der Hanseat. Üb immer Treu und Redlichkeit. Weltmeister der Raucher. Schmidt Schnauze. Oberleutnant der Wehrmacht. Haben Sie gedient? Altkanzler und Altraucher. Großer Staatsmann und noch größerer Staatsschauspieler. Jahrhundertfigur. Instanz, Idol, Integrationsfigur. Die energische Exzellenz. Der Marc Aurel der deutschen Sozialdemokratie. Bestseller-Autor. Berater der Nation. Legende zu Lebzeiten. Ewiger Lehrmeister. Vom Macher über den Denker zum Mahner. Deuter des Weltgeschehens. Der unbeirrbare Raucher.

Er war so stur wie Peter Scholl-Latour (war das jetzt schon ein Gedicht?). Dass er zeigte, auch Raucher können lange leben, wurde zum Ärgernis. Dass er die Deutungshoheit des politischen Weltgeschehens zu haben schien ebenfalls. Er konnte ja aber nichts dafür, dass er ständig gefragt wurde und zu allem eine fundierte Meinung hatte. Er war wohl der erste deutsche Kanzler, der deutsches Selbstbewusstsein gegenüber den dominanten Amerikanern zeigte. Die konnten sich nur wundern. Heute wundern sie sich nicht mehr.

Aktuelles aus dem Leben der Raucher

Februar 26, 2015 1 Kommentar
Die Trennlinie zwischen Genussraucher und Nichtraucher kann sehr durchlässig sein

Die Trennlinie zwischen Genussraucher und Nichtraucher kann sehr durchlässig sein, in den Hackeschen Höfen Berlin

Nur am Rande bekommt man Kenntnis davon, dass das Thema Rauchen noch nicht ausgestanden ist und auf recht hohem Niveau diskutiert wird. Die Raucher wehren sich. Und nicht nur die Raucher, sondern auch ihre Sympathisanten. Von 13 000 Lokalen in Berlin sind 632 Raucherkneipen. Immerhin oder gerade mal noch 632? Die Raucher, die noch vor zehn Jahren ein normales Leben führten, müssen jetzt vor die Tür gehen, wenn sie ihre Genusszigarette rauchen wollen, oder in käfigähnliche Verschläge mit schlechter Sicht. Sie müssen sich wie Ausgestoßene fühlen. Menschlich ist das nicht. Bei einer Diskussion in den Tilsiter Lichtspielen in Berlin monierte der Redakteur Johannes Richardt, dass sich in den letzten Jahren ein paternalistisches Politikverständnis breitgemacht habe, das sich anschickt, auch Privatsachen regeln zu wollen, zum Beispiel, ob jemand raucht oder nicht. Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als um Freiheit.

Ein Stück weiter auf dem Rand unserer Wahrnehmung die Geschichte von Raucher Friedhelm Adolfs. Ihm hat die Vermieterin nach vierzig Jahren die Wohnung gekündigt, weil es dem 76jährigen Rekordraucher gelang, durch Nichtlüften der Wohnung und überquellende Aschenbecher das Mehrfamilienhaus, in dem er wohnt, zu verpesten. Aber der Mann, dessen gesamte Existenz so auf das Rauchen reduziert wird wie einst die Schleckerfrau auf ihren Job beim Drogeriegroßhändler, zeigt null Schuldbewusstsein und wehrt sich vor Gericht. Es scheint, dass er langsam Heldenstatus bekommt. Man nennt ihn den zweitbekanntesten deutschen Raucher nach Helmut Schmidt und stellt ihn als Opfer fanatischer Nichtraucher dar. Auf Fotos sieht man ihn unerschrocken in einer selbst erzeugten Qualmwolke vor dem Bundesgerichtshof. Ein Mann mit Hut, Lulle und Krawatte. Kein Vorbild, aber ein Kämpfer für die Freiheit. Nicht ausgeschlossen, dass der Bundespräsident ihn zum nächsten Neujahrsempfang einlädt.

Und noch wat aus dem Leben der Raucher

Wer hat meine Friedenspfeife geklaut?  Berlin Mitte. Rosenthaler Straße

Wer hat meine Friedenspfeife geklaut?
Berlin Mitte. Rosenthaler Straße

Das Hotel Sport in Jablonec war ohne Frühstück. Wir stiegen vom Berg in die Stadt hinunter und suchten nach einem Café. War gar nicht so einfach. Hinter der ersten Tür, die wir öffneten, war die Luft so dick, dass wir einen Hustenanfall bekamen. Hinter der zweiten Tür ebenfalls. Restaurants, in denen man raucht, waren wir nicht mehr gewöhnt. Ist das nun ein Fortschritt oder ein Rückschritt. Hinter der fünften oder sechsten Tür existierten sowohl ein Raucher- als auch ein Nichtraucherraum, die freilich ineinander übergingen, aber das war ja schon mal was. Wir hatten wirklich Knast und holten uns vom Tresen, was es eben so gab. Drüben, auf der anderen Seite der unsichtbare Grenze, zogen sie an ihren Zigaretten und tranken in Halblitergläsern das gute böhmische Bier. Der Tscheche ist sehr leistungsfähig, während wir einer Schicht angehören, die dank der westlichen Lebensweise ohne jede Widerstandsfähigkeit ist. So weit sind sie in Böhmen noch nicht herunter- oder heraufgekommen.

Aber warum rauchen sie auch bei uns in der Rennbahngaststätte in Berlin-Karlshorst? Ist das eine böhmische Enklave? Wohl kaum. Die Leute füllen da ihre Wettscheine für alle möglichen, vor allem Pferdewetten aus und beobachten unter großer Anspannung den Rennverlauf auf den Monitoren. Es geht um Haben oder Nichthaben, um Gewinn oder Verlust, aber wenn man die Gestalten in ihrem Zustand sieht, wohl auch um Leben oder Tod. Sie leben alle in einem Grenzbereich, und es ist wohl richtig, dass sie nicht mehr richtig atmen und nur noch durch das Ziehen an der  Zigarette Sauerstoff in einer nicht zu großen und nicht zu geringen Menge aufnehmen können. Insofern muss man ihnen das Rauchen einfach erlauben. Alles andere wäre Mord.

In den ersten zehn Jahren nach der Einheit hatte das Rauchen noch kein ganz schlechtes Image. Wir saßen in unserer Redaktion und kämpften ums Überleben der Zeitung. Jede Woche wurden die besten Köpfe (hier wäre übrigens das moderne Wort „selbsternannt” am Platz) des Teams zu einem Brainstorming zusammengerufen. Die Regel war, dass Ideen ausgespuckt werden sollten und jeder Einfall, mochte er auch noch so abstrus sein, gegen jeden Einwand geschützt war. (Wahrscheinlich waren es diese Brainstormings, an denen wir letztlich gescheitert sind.) Wir hatten ein paar karrierebewusste junge Männer aus besten Familien dabei. Ich glaube, dass sie eigentlich Nichtraucher waren, aber zu diesen Sittings tranken sie teuren Rotwein und qualmten dicke Zigarren. Sie waren sich ziemlich sicher, dass sie von den Frauen der Runde in diesen Momenten als Helden verehrt wurden. Dafür nahmen sie auch gern einen Durchfall in Kauf. Nach der Arbeit wartete nur eine Eigentumswohnung ohne Frau auf sie. Die Frauen wurden damals bei diesen Eigentumswohnungen noch nicht mitgeliefert. Also blieben sie so lange wie möglich in der Redaktion und rauchten sich die Hosen voll.

Aus dem Leben der Raucher

Ein Raucherbuch, wie stolz das klingt

Ein Raucherbuch, wie stolz das klingt

Vor ein paar Tagen habe ich ein Buch bestellt, vornehm, wie ich manchmal gezwungen werde zu sein, nicht bei Amazon. Als es schon zu spät war, sah ich in den Bemerkungen zum Buch: „Band aus einer Bibliothek eines Rauchers”. Das war natürlich ein Hammer. Ich sah sofort die unglücklichen Gestalten auf den Flughäfen, die, wie Raubtiere in einen kleinen Raum gepfercht, ihre Lulle durchziehen. Oder die Kneipenbesucher, die im harten Winter vor die Tür gehen, um dort zu rauchen und zu zittern. Vor gerade mal vierzig Jahren hab ich selbst noch geraucht. Ich erinnere mich an die Haushaltsauflösung bei einem verstorbenen Berliner Sportjournalisten, der einst auch Dichter gewesen war. Vier Räume, in denen fast ausschließlich Regale voller Bücher standen. Hauptinhalt der Wohnung war dennoch der kalte Rauch aus sechs Jahrzehnten. Die Bücher hatten sich mit diesem Rauch vollgesogen. Richard Pietraß, der auch dabei war, nannte die Bücher Böcke, weil sie so stanken. Er versuchte sie in seiner Wohnung irgendwie zu isolieren, was schwerlich gelingen konnte; verzichten wollte er auf sie keinesfalls. Der qualmende Sportjournalist war ein Mann von Niveau gewesen, er besaß seltene Erstausgaben vieler großer Dichter, was den Nachlassverwalter nicht weiter kümmerte: Er verkaufte nach der Norm „große Bücher 10 Mark, mittelgroße Bücher 5 Mark, kleine Bücher und Zeitschriften 1 Mark”.

Heute kam nun bei mir der „Band aus einer Bibliothek eines Rauchers” an. Ich berührte das Päckchen mit spitzen Fingern, hielt vorsichtig die Nase daran. Durch die Verpackung drang noch kein Geruch. Drinnen war der Band noch mal mit Zeitungspapier eingeschlagen von der Wochenzeitung „Die Zeit”. Es kann sein, dass ich Schnupfen habe. Das Buch roch nicht halb so stark, wie die Böcke aus der Wohnung des Sportjournalisten es bis heute tun. Was soll ich sagen. War der Hinweis auf die Bibliothek eines Rauchers nötig? War er hilfreich? Wahrscheinlich nicht. Er war zeitgemäß.