Archiv

Archive for September 2012

Ist das noch regulär?

September 30, 2012 1 Kommentar
© FAS, Fritz-Jochen Kopka

Der doppelte Luiz Gustavo. Wenn sowas Schule macht …

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) tut mehr, als man selbst von einer Qualitätszeitung verlangen kann. Sie gibt subtile Fingerzeige für die Gründe des Erfolgs der Münchner Bayern in der Fußballbundesliga. Im Spiel gegen Werder Bremen stand der Brasilianer Luiz Gustavo gleich zweimal auf dem Platz. Einmal in der Startelf auf der Doppelsechs. Zweites wurde er in der 75. Minute beim Stand von 0:0 für Bastian Schweinsteiger eingewechselt. Sechs Minuten später schoss er das 1:0 für Bayern München. Welcher Luiz Gustavo war es? Der aus der Startelf oder der eingewechselte? Weitere Fragen kommen auf: Warum macht die investigative FAS so wenig aus ihrer Recherche und versteckt sie gleichsam im statistischen Teil? Vermutlich doch, weil sie ehrlicherweise zugeben muss, nicht zu wissen, wieso es ein Vorteil ist, wenn ein Spieler gleich zweimal auf dem Platz steht und – vor allem – wie so etwas überhaupt möglich ist. Und für die Liga noch wichtiger: Entspricht man mit der Verdoppelung eines Spielers noch dem Regelwerk des DFB? Sollte Werder Bremen Protest einlegen? Muss man einen Verein, der mit solchen Mitteln kämpft, ganz aus dem Wettbewerb entfernen? Wir geben zu, verwirrt zu sein.

Kategorien:Presseschau Schlagwörter: , ,

Was ist denn bloß bei Mad Men los

Mad Men. Season five hat begonnen, unsere Lieblingsserie, das heißt, die einzige, die wir sehen, und da reiben wir uns die Augen und die Ohren. Warum sind die Kollegen da plötzlich so überdreht, warum agieren sie so kabarettistisch? Warum will Don Draper seiner jungen Frau dauernd an die Wäsche? Warum muss die nun auch noch weiter in der Agentur arbeiten? Warum muss man so schnell erfahren, dass diese Ehe auch bald scheitern wird? Welche Gründe gibt es für Pete Camphells aufblühende Hysterie? Spielt etwa Roger Sterlings selbstgefällige Senilität dabei eine Rolle, die Albernheit des kaltgestellten Schürzenjägers und Charmebolzens?

Die Kreativen (vor und hinter der Kamera) haben sich noch nicht wieder gefunden. Kann aber noch passieren. Sollte auch passieren. Oder ist die Geschichte, wie man so schön sagt, auserzählt?

Auch die deutsche Synchronisation ist dazu angetan, dass man die Figuren im Moment nicht mehr ganz ernst nehmen kann.

Don Draper wird vierzig. Oh, möchte man ihm gratulieren, Sie sehen aber wesentlich älter aus.

Kategorien:Tatort TV Schlagwörter: , ,

Wahnsinnsfilm

© Fritz-Jochen Kopka

Wenig später war alles viel bunter

Frauen tanzen mit Frauen. Trinker trinken mit Trinkern. Halbtote begegnen Halbtoten. Neben der zertrümmerten Mauer spielt Herbst in Peking We Need Revolution. Und immer wieder sehen wir die Kreuzung Schönhauser//Pappel-/Kastanienallee/Eberswalder/Dimitroff-Straße. Der sogenannte Magistratsschirm. Die U-Bahn, die hier weit über der Erde fährt und somit Ü-Bahn heißen müsste. Die DDR ist zusammengebrochen. Die Westen ist noch nicht ganz da. Die erfahrenen Loser wissen schon, dass sie wieder die Loser sein werden. Die jungen Loser wissen es noch nicht. Und manche bekommen gar nicht mit, was los ist. Genug Geld für Bier wird doch immer noch da sein, oder? Bange Gedanken. Sonst braucht man doch nichts.

Was sind das für Schuppen! Was sind das für Tapeten! Was für ein Licht! Egal, das Tanzbein geschwungen und mitgesungen: Wir nehmen alles so hin, wie es kommt. Wir können’s ja nicht ändern. Die Dummen werden wir immer wieder sein. Wie lassen uns nicht unterkriechen! Den Humor lassen wir uns nicht nehmen.

Das alles haben wir vergessen. Die U-Bahn fährt ungerührt zwischen Pankow-Vinetastraße und Thälmann-Platz.

Die Näherinnen stellen in ihrer Textilbude („modisch – schick – flott”) die Unverkäuflichkeit ihre Ware fest: Im Moment is kein Modell bei, dass ich anziehen würde. Die Röcke und Modelle sind nicht absetzbar, da die einfach nicht modisch sind, ich muss das mal so sagen.

Das nächste Geschäft: Wir haben den Laden selbst aufgebaut, 41 Jahre, und jetzt werden wir fertig gemacht vom Westen. Also, wir haben ganz klein angefangen, und jetzt geht alles flöten.

Altenheime, Rentnertanz, die Haare mit Wasser gekämmt, die Krawatte sorgsam gebunden, gekonnt ist gekonnt: Da kriegt’ ich denn noch ne andere Frau, war’n Jahr mit ihr zusammen, war Pech jewesen ooch wegen den allgemeinen Krebs. Wie et is. Den Ärmsten beißen immer die Hunde. Wir haben uns beide inner Volkssolidarität kennengelernt.

Wer jung ist, macht Projekte, ob im Knaackklub oder im besetzten Haus: Sind wir bemüht, Informationen rauszugeben zwecks Häuserkampf. Wir haben ne Druckmaschine, die is aber noch nich hier, weil das Transportproblem noch nicht gelöst ist.

Ost trifft West zum Prater-Ball. Wahnwitzige Maskeraden. Nobel geht die Welt zugrunde.  Die Sängerin singt versuchsweise: Ich wollt nur mal mit dir reden, oder ist es eher ein Murmeln?

Gönnerhafte Westfrau fragt Ostfotograf: Habense dich denn schon auf Stasi überprüft? Und, sauber? Unbelastet? Und schon so ’ne tolle Kamera? Für wen arbeitest du überhaupt? Wird alles von Springer eingenommen.

Im Wiener Café spielt eine rumänische Combo Schwarze Augen und Rosamunde. Rosamunde, schenk mir dein Sparkassenbuch. Ein Bartträger feiert Geburtstag und möchte von allen Frauen umarmt werden. Da sitzt auch Mühle, die Szenegestalt mit dem nihilistischen Charme und der häuslichen Strickjacke. Sieht immer aus, als fröstele ihn. Wird gebeten, noch mal die Geschichte zu erzählen von einer Prämie, die er bekam, 36 000 DDR-Mark. Honorar war das, berichtigt Mühle, Honorar. Davon hat er sich ein Segelboot und seiner Frau einen Mantel gekauft. Und der Rest? Das andere ging durch die Kehlen meiner Freunde und durch die meinige auch.

Im Wiener Café ist der Mensch nicht irgendwo, sondern unter Prominenten. Ich war die Verlobte von Manne Krug. Kann ich beweisen. Ich verkehr mit Manne noch eenmal im Jahr mit seine Frau. Jetzt bin ick glücklich. Jetzt werde ich ma wat von Trude Herr singen.

Mühle bettet sein benebeltes Haupt an die Brust von Mannes Ex-Verlobter. „Da ist es, wo man schöner ruht als in dem Freudenbett der Königin …”

Die Westmark ist da. Frau Ziervogel geborene Konnopke, weiß nicht, was auf sie zukommen wird mit ihrer Currywurstbude. Alles ist ungewiss. Die Jalousie geht hoch. Die ersten Kunden stehen schon da mit dem neuen Geld. Für Konnopke wird’s weiter gehen, soviel steht fest.

Das ist der Film „Berlin Prenzlauer Berg 1990”. Petra Tschörtner ist zwischen 1. Mai und 1. Juni mit der Kamera durch Etablissements, Betriebe und Straßen gelaufen. Häuser angeschaut, Verfall, mit Leuten geredet, das Mikro hingehalten. Ein Wahnsinnsfilm, sagen die Leute heute. Ein Wahnsinnsleben damals zwischen den Welten. Man kann den Film unter kraftfuttermischwerk.de/blogg/?p=41300  anschauen. Wir sehen Menschen, die mehr sagten als „Wahnsinn” in dem Moment, als sie Grenzen überwinden konnten.

Petra Tschörtner ist in diesem Jahr gestorben, 54 Jahre alt. Sie hat eine Spur gelegt.

Kategorien:Berlin Schlagwörter: , , ,

Der Täter-Versteher

September 24, 2012 1 Kommentar

Wir kennen den Frauen-Versteher, der keinen besonders guten Ruf hat, wir kennen die Prominenten-Versteherin, die sich in der Regel selbst für prominent hält, und jetzt lernen wir den Täter-Versteher kennen, das ist Peter Faber, der Kommissar im Tatort Dortmund, dessen erster Film „Alter Ego” heißt, und damit ist es auch schon gesagt: Der Kommissar sieht sich als anderes Ich des Mörders, er denkt und fühlt sich in ihn hinein, er simuliert die Tat, und so kommt er dem Täter auf die Spur. Das könnte auf die Dauer und in künftigen Folgen nervend werden, auch das ausgebreitete Binnenklima der Dortmunder Mordkommission, Weisungsbefugnisse, Unterordnung und Aufbegehren, Frust und Unmut, Liebe und Sex – so viel Information über diese vier Kriminalisten wollten wir gar nicht haben. Faber wird von Jörg Hartmann dargestellt und scheint eine schwierige Vorgeschichte zu haben, nimmt nämlich Antidepressiva und löffelt Ravioli aus der Büchse. Da werden wir wohl in künftigen Folgen noch einiges zu erfahren haben. Die Konstruktion dieser Kommissarsfigur beruht auf der Erkenntnis, dass in jedem Menschen Gutes und Böses steckt, das zu fördern und zu beherrschen sei. Vielleicht ist diese Konstruktion ein wenig zu banal. Wir werden sehen.

Die Tatorte haben es sich zu Eigen gemacht, in Zwischenschnitten den Himmel über Deutschland zu zeigen. Und der ist merkwürdiger Weise nie banal. Dafür können wir alle, Filmschöpfer und Zuschauer, nichts.

Kategorien:Tatort TV Schlagwörter: , ,

Schon gelaufen, das Ding

Wir haben den vierten Spieltag der Saison und schon steht, wie in jeder Saison zu diesem Zeitpunkt, fest, dass der FC Bayern München Deutscher Meister wird, wenn man die mediale  Begleitmusik hört. Der alte Jupp lässt rotieren,  Schweinsteiger findet zu alter Frische und am Ende, nach dem gewonnenen Spiel, erhebt sich der unwürdige Präsident feist, satt und zufrieden und ein bisschen höhnisch auch, denn der Meister, Borussia Dortmund, diese Erscheinung von nur regionaler Bedeutung, hat zur gleichen Zeit verloren, und Schalke hat man selbst erledigt. In der zweiten Halbzeit haben wir unsere ganze Klasse ausgespielt, sagt der Trainer. Besonders Thomas Müller. Wenn der einmal in den Strafraum des Gegners eingedrungen ist, traut sich kein Gegenspieler mehr an ihr ran, denn jeder weiß: Wenn er dem genialen Exzentriker zu nahe kommt, gibt es Elfmeter und vielleicht noch die Rote Karte. Thomas Müller ist der beste Elfmeter-Herausholer der Welt, urteilt die Süddeutsche Zeitung. Das wird wohl so sein.

Schauen wir nur zu. Dortmund muss den Titel nicht holen. Das dritte Mal in Folge, das wäre vermessen. Die Bayern aber, die müssen Meister werden. Falls es nicht gelänge – man würde keinen Grund finden. Es wäre reine Metaphysik.

Kategorien:Fußballfieber Schlagwörter: ,

Den Fußball hätte ich fast vergessen

Es gibt Zeiten, da man sich nicht bemüßigt fühlt, ein Wort zum Fußball zu verlieren, etwa nach einer Fußball-Europameisterschaft, einer Olympiade und am Saisonanfang, wenn die Teams sich noch finden müssen und das Geschehen konturenlos erscheint. Und wenn der FC Bayern den Mund noch voller nimmt als sonst, weil eine enttäuschende Vorsaison vergessen gemacht werden muss, wobei der DFB mit günstigen Ansetzungen hilft, wohl wissend, dass ein perfekter Start der Stimmung aufhilft. Merkwürdig berührt war ich schon, als ich beim 6:1 der Bayern gegen den VfB Stuttgart das breit lachende Gesicht von Jupp Heynckes sah (Wie sagt der Volksmund? Er lacht über alle vier Backen). So sieht das unerwartete Glück eines alten Mannes im Seniorenheim aus, wenn die ganze Familie ihn besucht und verspricht: Wir kommen jetzt jeden Monat, Opi. Meine Güte, der Trainer hat die Enttäuschungen der vergangenen Saison mannhaft weggesteckt, warum kann er es mit den Erfolgen der jetzigen nicht ebenso tun! Es sind doch alles nur Momentaufnahmen. Meine Mannschaft hat einfach exzellent gespielt (gegen Mainz) – diese Selbstgefälligkeit tut weh, aber noch nicht so sehr wie die Statements des unwürdigen Präsidenten, der die obsiegenden Dortmunder als eine Erscheinung von nur regionaler Bedeutung einschätzt – dass er sich damit als ewiger Kindskopf zeigt und abermals ein Eigentor schießt, leuchtet ihm nicht ein, denn die Bayern waren ja nicht in der Lage, dieser regionale Erscheinung das Wasser zu reichen. Und nun erst der Start in die Championsleague! Der FC Bayern besiegt das Trauma der Endspielniederlage und spielt gegen den FC Valencia „mit altem, ungebrochenen Selbstbewusstsein und neuer, weiter gewachsener spielerischer Klasse … einen überlegenen, nie gefährdeten 2:1-Sieg” heraus. Ein überlegener 2:1-Sieg, gibt’s so was? Dann müsste es ja auch eine knappe 1:6-Niederlage geben. Was das mediale Umfeld dazu liefert, kann man nur als Herrscherlob bezeichnen. Wer den FC Bayern nicht vollmundig feiert, kommt in den Knast, so hört sich das an. Ein wunderbares Bewährungsfeld für das ZDF-Team mit Bela Rethy an der Spitze. Dem fällt außer seinen Heldengesängen über Schweinsteiger, Kroos und vor allem Robben, der jetzt auch nach hinten, um Missverständnisse zu vermeiden: in der Defensive, arbeitet, nichts ein außer unablässigen Schiedsrichterbewertungen. Jeder Entscheidung gegen die Bayern ist zweifelhaft bis grob fehlerhaft. Wie vorhersehbar und langweilig ist das doch. Und der gute Oli Kahn als Experte in seiner sachlichen, unoriginellen Art hat offensichtlich einen Schreck nach seiner Nationalmannschaftskritik bekommen und passt sich der Festtagsstimmung wieder an.

Ja, unterdessen wurde auch die entzauberte Nationalmannschaft wieder aktiv, wobei das Wort aktiv hier nur eingeschränkt verwendet werden kann. Gegen Österreich sah es so aus, als spiele da eine Mannschaft ohne Trainer, ohne Plan, aber mit viel Glück. Und der Trainer, den es natürlich doch gab, fummelte wieder an seiner Nase herum. Wir haben ein Überangebot spielstarker Kicker im Mittelfeld und einen akuten Mangel in der Abwehr und im Sturm. Was machen wir daraus – die Frage ist offener als je zuvor. Und anscheinend wird sie immer offener.

Und wir armen Hansa-Rostock-Schweine? Wir armen Hansa-Rostock-Schweine haben einen neuen Trainer und mit ihm gleich den ersten Auswärtssieg errungen. Was war mit dem alten? Wolfgang Wolf ist ein grundsolider Mann. Er wurde geholt, um den Abstieg zu vermeiden, das hat er nicht geschafft. Kann man dann weiter machen? Ja, sicher. Aber das Grundsolide ist meistens auch das Uninspirierte, Festgefahrene. In seiner Ratlosigkeit hat Wolf munter durchgewechselt und damit besonders den Offensivspielern den letzten Schneid abgekauft. Nun also Marc Fascher. Der kommt von unten, Hansa Rostock ist für ihn ein Karriereschritt. Wir armen Hansa-Rostock-Schweine schöpfen Hoffnung. Die von unten Kommenden sind meistens noch frisch und tatendurstig.

Usedomer Sittenbilder: Sommerausklang

© Fritz-Jochen Kopka

Weg vom Strand – aber ganz schnell

Wieder am Strand von Bansin. Ach was Strand. Es ist ein Schlachtfeld. Die Waffen ruhen, das Meer schweigt, die Sonne beleuchtet die Schäden, die die Schlacht den Kriegern zugefügt hat. Sie haben jegliches Schamgefühl verloren, liegen hingeschmettert mit verrenkten Gliedern und gespreizten Beinen im Sand und jetzt kann man auch sagen: Der Krieg bekommt niemandem, aber den Männern immer noch besser als den Frauen. Vierzig (oder auch nur zehn oder zwanzig) Jahre Ehekrieg haben Verwüstungen sondergleichen bewirkt, die Leiber deformiert, bizarre Fältelungen, Verfärbungen, Vernarbungen und Wulstungen hervorgebracht. Vielleicht entsteht der schockartige Eindruck am Strand auch dadurch, dass Frauen im gesellschaftlichen Leben wahre Meisterinnen darin sind, aus Kleidung und Mode eine zweite, schönere Haut zu machen, während Männer durch ihre Klamotten nur selten ansehnlicher werden. So kommt es, dass man einfach nicht gewusst hat, dass auch Frauen gewaltige Bäuche haben, und ein Ausdruck wie Mollenfriedhof oder Bierbauch wird fragwürdig. Der Bauch kommt nicht vom Bier allein.

Kategorien:Deutsche Grammatik Schlagwörter: , ,

„Manche sind kaum zu stoppen!”

© Fritz-Jochen Kopka

Nicht jede moderne Schule sieht auch schon modern aus

Erstaunlich, dass eine Versuchsreihe im deutschen Bildungswesen, die im Frühsommer in den Bundesländern Berlin, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gestartet wurde und zwar mit beachtlichem, wenn auch, wie wir meinen, erwartbarem Erfolg, bis zum heutigen Tag so gut wie unbeachtet blieb.

Die Gremien gaben schweigsamen, verstockten oder weitgehend stummen Schülern die Chance, ihre Prüfungen mit dem Handy zu absolvieren. Prüfer und Prüfling sitzen in benachbarten Räumen, der Prüfling selbstverständlich unter Aufsicht einer Vertrauensperson. Der Prüfling gibt die Nummer der Prüfungskommission ein, die Kommission begrüßt den Schüler, stellt das Thema und die Fragen und das Wunder geschieht. Schüler, die in der Vergangenheit der Prüfungssituation einfach nicht gewachsen waren und kein Wort über die Lippen brachten, sehen sich durch das technische Hilfsmittel Handy in der Lage, die Fragen der Prüfer fließend zu beantworten. Wir erkennen unsere Schüler nicht wieder, sagte ein Direktor aus Sachsen-Anhalt, manche sind kaum zu stoppen. Das Mobiltelefon löst ihnen die Zunge.

Durch den unerwarteten Wortschwall der Schüler verlängerten sich die Prüfungszeiten erheblich. Aber das, so der Direktor aus Sachsen-Anhalt, ist ein Umstand, den wir gern in Kauf nehmen. Die Punktzahlen der Schüler haben sich erheblich verbessert. Wir erwarten nun Anmeldungen von Schülern aus anderen Bundesländern, die sich nicht zu dieser Maßnahme entschließen können, wenn das auch nicht Sinn dieser Testreihe sein kann. Aber Bildung ist nun mal Ländersache.

Kategorien:Fakes Schlagwörter: , ,

Kinder, Kollektive, Einzelkämpfer

© Fritz-Jochen Kopka

Besser, das Kind ahmt die Erwachsenen nach als umgekehrt

„Nichts ist peinlicher als Erwachsene, die im Umgang mit Kleinkindern meinen, deren Manieren annehmen zu müssen”, schreibt Roland Reuß, Germanistikprofessor und Herausgeber von Kleist und Kafka, in der FAZ. Das finde ich auch. Dabei glauben diese Leute, sie seien unheimlich modern und demokratisch, wenn sie zum Beispiel auf Kindergeburtstagen herumschreien und spektakeln, um die Kinder, die die Sache cool und gleichmütig angehen, in Stimmung zu bringen. Die machen sich echt zum Affen, diese Erwachsenen, und versauen außerdem noch die Kinder. Reuß geht es, das ist der Hintergrund, um den Austausch zwischen den Generationen und darum, dass nicht die neue Generation mit den Leichtigkeiten ihrer Netzkultur die Ansprüche der älteren Generationen, versinnbildlicht in ihrer Buchkultur, dominiert oder dass, noch verquerer, die ältere Generation sich auf den Level der Netzkultur und der Masse ihrer Anhänger begibt, so wie eben Erwachsene die Manieren der Kleinkinder annehmen.

Dabei unterläuft es Reuß, dass er die Buchkultur glorifiziert. Und dabei das Team gegenüber dem Einzeltäter unverhältnismäßig heraushebt. So geht das: „Gerade wer weiß, wie technisch und finanziell anspruchslos es ist, einen Blog zu führen, hat ein scharfes Bewusstsein von der zusätzlichen Autorität, die den publizierten Worten durch einen Verlag zuwächst. Die Energie, die es braucht, etwas herauszuheben (das die wörtliche Bedeutung von „urheben”), teilt sich dem Herausgehobenen im innersten Kern mit. Das ist dann eben nicht mehr nur die Äußerung eines Einzelnen, sondern eine, deren Veröffentlichung eine materielle und ideelle Solidarisierung anderer bereits erfahren hat.”

Eifer, Engagement, Leidenschaft können blind machen. Wenigstens auf einem Auge. Vernimmt Reuß das Knirschen dieser Apparate nicht? Von Solidarisierung kann in Verlagen und Redaktionen häufig überhaupt nicht mehr die Rede sein, viel mehr von verkrusteten Hierarchien, von finanziellem und (un-)moralischem Druck, von Arroganz, Ahnungslosigkeit, Selbstherrlichkeit, niederträchtiger Konkurrenz, von Stümpern und Verschlimmbesserern in diesen Institutionen. Keine Ahnung, warum man die Einzelleistung denunzieren muss, die doch die Grundlage von allem ist. Und wenn die Einzelleistung als Einzelstimme im Netz an uns herantritt, können wir immerhin hoffen, dass sie authentisch ist und nicht verstümmelt wurde.

Kategorien:Deutsche Grammatik Schlagwörter: ,

Tatort Dorf

September 17, 2012 1 Kommentar

Beim Bremer Tatort werde ich hochgradig nervös. Es ist keine Ermittlerarbeit zu besichtigen, sondern eine Geiselnahme, in die die Kriminalisten verwickelt sind. Der Graf von Monte Christo erlebt schon wieder eine Reinkarnation. Er heißt hier Wolf und hat wegen eines Mordes an seiner Liebsten, die auch ein Flittchen war, im Knast gesessen und wird sich nun rächen und den richtigen Mörder finden inmitten einer irrwitzigen dörflichen Hochzeitsgesellschaft. Das ist eine echte Scheißgeschichte, in der viel rumgeschrien und mit Waffen gefuchtelt wird und normale Leute eher nicht vorkommen. Ich muss sagen, dass ich noch keinen Tatort aus Bremen gesehen habe, der mir gefallen hätte. Frau Postel ist meistens kränklich oder eingeschnappt und ihr Kollege, ja, was soll man über den nun sagen! Hier verliert er seine Hose und rennt unten ohne durch Dunkelheit und Film. Frau Postel heißt im Tatort Inga Lürsen, und er ist der Kollege Stedefreund. Man kann sagen, dass so schamlos ausgedachte Namen immer schon ein Indiz für die Qualität des Drehuchs sind. Wohnte ich auf dem Dorf, würde ich mich wahrscheinlich beschweren über die hirnrissigen Dorfdeppen, wie sie hier vorgeführt werden. Wo leben wir denn. Eine Rezensentin in der FAZ phantasiert etwas „über einen Ton, der zwischen trockenem Witz und Drama äußerst gekonnt balanciert”. Das finde ich fast noch empörender.