Archiv

Posts Tagged ‘Touristenströme’

Weiter gelockerte Tage

Dein Friseur, das fremde Wesen
© FJK

Termine sind selten in Seuchenzeiten. Ich hatte einen. Es ist so, dass ich einer der letzten Deutschen bin, die noch beim Friseur waren, und nun einer der ersten, die wieder zum Haareschneiden gehen, bei gänzlicher Abwesenheit von Eitelkeit, das muss ich sagen. Dabei muss ich an die TV-Korrespondentin denken, in deren Land die Friseure die Arbeit ebenfalls eingestellt hatten und die sich jeden Tag mutig der Kamera stellte, obwohl sie immer Voran-Wahnwitz-mäßiger aussah; das muss man erst mal aushalten als Frau.

Die Baugrube, nicht von Platonow

Where are all the Tourists gone

Einsamer nie als in der Pandemie

In der Bahn saß ein junger Hero demonstrativ ohne Maske. Ab und zu schreckte ich auf, weil ich dachte, er werde erdrosselt, dabei lachte er nur über seine eigenen Scherze, die er ins Handy trompetete. Rummelsburg blieb die Bahn stehen. Es ging um einen Polizeieinsatz am Hauptbahnhof. Das ist es ja immer, was den Verkehrsfluss hindert: Polizeieinsatz am Hauptbahnhof, Notarzt-Einsatz am Alexanderplatz, Signalstörungen und Weichenschäden. Der erdrosselte Hero trat aus der Bahn und drohte in Richtung des Fahrers mit der Faust. Herren des Landes. Die Bahn fuhr wieder an, der Hero war verschwunden. Vielleicht in einem anderen Wagen, vielleicht in Luft aufgelöst.

Die Baugrube am Hackeschen Markt. Derzeit ist ein Spezialist für Dichten, Schützen, Isolieren am Wirken. Emsige Maschinen. Die Arbeiter tragen Helme und haben alles unter Kontrolle. Café Cinema öffnet wieder.

Auch wenn die Maßnahmen gelockert sind: Die Stadt ist leer. Man sieht es im Torweg zu Haus Schwarzenberg, wo sich normalerweise die Touristenströme kreuzen. Kein Mensch zu sehen. Nur Wimpel-Ketten und Streetart.

Bei Hanley’s, meiner Friseurin, eine Reihe Piktogramme, Gebote und Verbote. Die Meister von Schere und Fön, der Farbe und der Schnitte, maskiert und bekittelt. Ein Gefühl von Fremdheit. Ich denke, in einem Science-Fiction-Film gelandet zu sein, wie ich überhaupt glaube, dass das, was wir jetzt erleben, vorweggenommene Zukunft ist. Wie sich auf den Straßen die Menschen mit schlechtem Gewissen aneinander vorbeischleichen. Jeder kann Täter, jeder kann Opfer sein, keiner weiß.

Sechs Wochen waren die Scheren stumm, jetzt klappert’s wieder, summ summ summ. Es muss eine logistische Meisterleistung gewesen sein, alles zu ordern, was gebraucht wird, um das Hygienekonzept umzusetzen: Masken, Kittel, Handschuhe, Desinfektionsmittel, Klopapier. Die Arbeit hat etwas Heiliges bekommen. Man weiß, dass sie nicht sicher ist und arbeitet fokussierter als je.

Hiob unterm Saturn

Vor acht Wochen traf ich an der Ecke Rosenthaler/Hackescher Markt meinen alten Chefredakteur, jetzt sehe ich aus dem Augenwinkel eine cremefarbene Dame, die kokett über die Kreuzung hüpft (es ist schon rot) und ihr Alter mit Puder verdeckt. Um sie herum staubt es. Könnte sein, dass ich sie kenne, aber mit manchen Vergangenheiten will man nichts mehr zu tun haben. Auf dem Markt esse ich Köfte für 5,50 €. Die Türken teilen großzügig aus, auch sie sind froh über die Wiederkehr der Arbeit.

In der Spandauer Straße haben irgendwelche Tunichtgute die Luft aus den parkenden Fahrrädern rausgelassen. Sowas findet man ja ausgesprochen witzig. Spirituosen Koch ist wieder offen. Ich kaufe eine Flasche J & B. Das ist ja das, was mich mit Heiner Müller verbindet. Auch auf dem Saturn kann man wieder einkaufen: 1 Farbpatrone und Roma, die Netflix-Produktion. Aus dem zweiten Stock blickend sehe ich unten einen dünnen Mann in einer großen Lederjacke. Zwei Schritte nach links, drei Schritte nach rechts, nach vorn, nach hinten. Sein Schatten ist blass. Ich nenne ihn Hiob. Könnte uns alle so nennen.

Das Schloss liegt gut im Plan

Marx schaut noch grimmig, Engels hat resigniert © Fritz-Jochen Kopka

Marx schaut noch grimmig, Engels hat resigniert
© Fritz-Jochen Kopka

Angeblich lohnt es sich, nach dem Berliner Schloss zu sehen, dem Neubau, bei dem es nicht die üblichen Schwierigkeiten sonstiger Großprojekte gibt. Ist in diesem Fall kein Wunder: Erstens haben unsere Vorfahren den Bau schon mal vorgemacht, es ist in den modernen Zeiten allemal leichter, ein altes Schloss zu bauen als einen Großflughafen, eine Philharmonie oder einen unterirdischen Bahnhof. Und zweitens: Was hindert die Bauherren eigentlich, die Kosten und die Fristen schon von Anfang an realistisch einzuschätzen und noch ein Polster draufzugeben, n plus x oder so. Kann sein, dass man das Projekt schwerer durch die Gremien bekommt und lieber den Spott über die explodierende Bausumme und die Verschiebung der Fertigstellung erträgt. Jeder Hohlkopf in Presse, Funk und TV glaubt, da noch einen Witz in petto zu haben; und es stimmt ja, die Leute lachen immer noch und fühlen sich erhaben über solchen Planungsmurks. Beim Schloss stimmen die Kennziffern anscheinend mehr oder minder.

 

Die Rückseite des Schlosses ist schon ziemlich fertig

Die Rückseite des Schlosses ist schon ziemlich fertig

Der Baum über der Kuppel muss noch entfernt werden

Der Baum über der Kuppel muss noch entfernt werden

Wer vom Alexanderplatz aus zum Schloss will, muss über den Weihnachtsmarkt. Jeder Berliner, der nach dem Anschlag über einen Weihnachtsmarkt geht, erhält die Heldenmedaille, wenigstens virtuell. Wir sehen zuerst die moderne Rückfront des Schlosses auf der Spreeseite und diesseits der Spree, in einer Dreckecke, das Marx-Engels-Forum, das zu einem Wanderdenkmal geworden ist. Sacco und Jacketti alias Marx und Engels schauen bedröppelt auf den Fortgang der Bauarbeiten, sie sind mit ihrer stolzen Idee nun in der Freiluft-Besenkammer des Hohenzollern-Schlosses gelandet und bewahren Haltung im Gegensatz zu den Edelstahlstelen mit Schattenrissen von Fotos aus der Geschichte der Arbeiterbewegung; das sieht schon ziemlich kläglich aus. Und das Schloss, ja, da Schloss, es ist einfach sehr, sehr groß. An der historischen Fassade wird gearbeitet, Gerüste erlauben nur einen fragmentarischen Blick, das mag alles sehr schön werden, aber wie man diesen Koloss füllen und bespielen will, ist rätselhaft. Im Halbschlaf träumt mir, dass in Deutschland die Monarchie ausgerufen und Angela Merkel zur Königin erklärt wird, was ihr einen schweren und verletzenden Wahlkampf ersparen würde. Dann bekäme sie das Schloss und mit ihr die Ex-Kanzler und nunmehr Ex-Könige Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Die drei müssten die Köpfe zusammenstecken und beraten, wie sie das Gebäude füllen. Jeder der drei hätte da seine Wohnung, seinen Hofstaat und die Sachzeugen der Highlights seiner Regierungszeit. Damit wäre das Schloss sicher noch nicht voll, aber den drei Kanzlern/Königinnen würde schon noch was einfallen. Die Frage ist, ob wir mit dem Schloss glücklicher sein werden als ohne das Schloss und ob dieser Platz schöner aussehen wird als vorher, was kein Kunststück wäre.

Blick aus der Humboldt-Box

Blick aus der Humboldt-Box

Wenn man das Schloss besucht, ist man drin in den Touristenströmen und empfindet die Ödnis vorgezeichneter Wege. Der Fremde wird einiges Aufregende entdecken, er ist in der Gruppe und findet Platz in überdimensionierten Restaurants, wo das angeboten wird, was es überall gibt. Der Einheimische sieht, dass die Stadt sich viel zu schnell verändert und dass sie in ihrer Mitte alles Inoffizielle und Intime verliert. Du kannst eine Idee haben, du musst aber auch die Miete zahlen können. So doof war der Plan nicht, ein Haus des Volkes in die Mitte der Stadt zu setzen mit originellen Restaurants, Sälen für große Konzerte, einem kleinen Theater, einer Bowling-Bahn, einem Jugendtreff, einer Galerie. Einerseits soll die Stadt aussehen wie zu Königs Zeiten, andererseits soll sie den Ansprüchen der Zukunft genügen, und noch mal: Man gibt ihr zu wenig Zeit.

Zwischen den Zeiten

Zwischen den Zeiten …

Immerhin gibt es ein Entrinnen aus der Mitte, du kannst schon am Hackeschen Markt draußen sein, in die Sophienstraße und in die Großen Hamburger einbiegen, wo zwei junge Männer in einem irischen Shop etwa hundert Kopfbedeckungen ausprobieren und von jeder noch ein bisschen mehr fasziniert sind als von der vorher ausprobierten. In der Boutique nebenan läuft ein Song von Angus und Julia Stone. „I’m a soldier, but I don’t know, how to fight … I’m the darkness but I want to be the light.” Beim Schreiben der Rechnung versagen sämtliche analogen Kugelschreiber. Wir sind endlich wieder in Berlin. Das Eckhaus, das vor Jahren seine grob gemauerten Wände in ihrer verwirrenden Nacktheit darbot, ist inzwischen vornehm verputzt. Ein Paar Meter weiter leuchtet der Laden „Viel Spiel” durch die Dunkelheit. Kein elektronisches Fiepen ist zu vernehmen im Paradies zeitloser Spielsachen aus Holz und Blech, Pappe und Papier für Kreative und Phantasten.

… und jenseits der Zeit

… und jenseits der Zeit