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Posts Tagged ‘John Williams’

Wer Stoner liest, muss durch die Hölle gehen (2)

Ihn sehe ich als Vorfahr John Williams’: Karl Philipp Moritz

Ihn sehe ich als Vorfahr John Williams’: Karl Philipp Moritz

John Williams’ Roman mutet altmodisch an, vielleicht war das schon damals so, als er das erste Mal erschien. Ein Hang zu formaler Innovation ist nicht erkennbar. Es finden sich keine funkelnden Sätze, die man anstreichen möchte, was Walter Benjamin (im Essay über Julien Green) für einen Vorzug guter Prosa hielt, „die homogene Schlichtheit der Erzählung”. Benjamin zitiert Paul Léautaud, der sagte: „Paradestücke und effektvolle Stellen sind ein Merkmal minderwertiger Bücher.” Oder denken wir an Schopenhauer: „Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge.”

Im zweiten Jahr an der Uni hat William Stoner ein Erweckungserlebnis. Der Kurs in landwirtschaftlicher Bodenanalyse macht ihm längst keine Probleme mehr, aber der obligatorische Einführungskurs in die englische Literatur verstört und beunruhigt ihn. Archer Sloane, der Dozent, konfrontiert die Studenten mit dem dreiundsiebzigsten Sonett Shakespeares, und Stoner, direkt angesprochen, weiß kein Wort dazu zu sagen. Gut, die anderen Studenten sind ebenso ratlos, aber für Stoner wird das Thema existenziell. Er meldet sich aus den landwirtschaftlichen Kursen ab, wechselt zur Literatur und „ … wurde sich in einem zuvor ungekannten Maße seiner selbst bewusst.” Er hatte nie Freunde gehabt, aber zum ersten Mal spürte er nun seine Einsamkeit.

Zwischen Stoner und seinen Eltern werden Worte kaum ausgetauscht, Gefühle sind nur zu erahnen. Aber er muss ihnen sagen, dass er nicht auf die Farm zurückkehren wird. So habe ich mir das nicht vorgestellt, sagte der Vater, die Mutter weinte, und Stoner „lag noch lange auf seinem Bett und starrte mit offenen Augen in die Dunkelheit.”

Stoner wird Dozent, vermag es aber nicht, die Begeisterung, die er selbst für die Möglichkeiten der Prosa und der Grammatik empfindet, übers Pult zu bringen, was sich aber in mancher Sternstunde seiner Assistenzprofessorenlaufbahn auch ändert.

Das vermutlich größte Unglück seines Lebens sucht Stoner sich selbst aus. Es (oder sie) heißt Edith Elaine Bostwick und kommt aus St. Louis. Hier wissen wir schneller als Stoner: Er ist ihr vollkommen gleichgültig. Warum heiratet sie ihn? Weil sie in ihm sofort das Opfer erkennt, das der Inhalt ihres Lebens als Täterin wird. Durch Stoners Hölle musst auch du als Leser gehen. Das Buch entfaltet einen mächtigen Sog. Halt ihn aus, oder leg den Roman beiseite.

Auch an der Uni hat Stoner Feinde. Er bekämpft sie so wenig, wie er Edith bekämpft. Sein Gegengift ist die unbegrenzte Arbeitskraft. Für einige gezählte Wochen lernt er die wahre Liebe kennen. Das und der Enthusiasmus für sein Fach, die Literatur, entscheiden letztlich, dass Stoner ein Leben gehabt hat. Kein kleines Leben, ein exemplarisches vielleicht. Der Tod mit all seinen Schmerzen kommt wie eine Erlösung.

„Stoner” ist gebunden bei dtv erschienen, Bernhard Robben hat den Roman, mir scheint ganz im Sinne Williams’ (und Benjamins), übersetzt.

Wer Stoner liest, muss durch die Hölle gehen

John Williams unter den besten Köpfen seiner Generation, das heißt, ihren Büchern

John Williams unter den besten Köpfen seiner Generation, das heißt: ihren Büchern

Stoner ist ein Roman von John Williams, der 1965 erschien, Schriftsteller und Leser angeblich faszinierte, um dann – mit 2000 verkauften Exemplaren – weitgehend unbekannt zu bleiben. Das Buch ist in Deutschland damals nicht erschienen. In den mir zur Verfügung stehenden Nachschlagewerken gibt es keinen John Edward Williams und keinen Roman, der Stoner heißt.

Williams ist 1922 geboren, im selben Jahr wie Grace Paley, William Gaddis und Jack Kerouac. Vielleicht hat er einen Mann wie William Stoner, seinen Protagonisten, an den Universitäten von Missouri oder Denver kennengelernt; vielleicht war er selbst so einer. Stoner. Ein Universitätsmensch, für den das Leben jene Härten bereithält, die zu ihm passen. Die er vielleicht verdient, weil er sich nicht wehrt. Und so einer war John Williams dann doch nicht. In William Stoner hat er eine Kunstfigur geschaffen, die in sich stimmt und gegen die der Autor auch nicht anschreiben kann. Der Sohn eines armen Farmer-Ehepaars in Missouri. So wie die Arbeit auf dem Land unerschöpflich ist und nie aufhört, so ist auch die Arbeitsfähigkeit der Landleute grenzenlos. Ohne Klagen wird diese Arbeit geleistet. Schon früh zeigt sich bei Stoner die gebeugte Gestalt seines Vaters, ein Resultat der verdammten Plackerei. Völlig überraschend schickt ihn der Vater an die Universität von Missouri-Columbia, um Landwirtschaft zu studieren und den Boden der heimischen Farm besser bearbeiten zu können. Er wohnt bei den Footes, Verwandten seiner Mutter und ebenfalls Farmer, die ihn für Kost und Logis gnadenlos ausbeuten und die Gelegenheit nutzen, sich auf die faule Haut zu legen. Aber wie gesagt: Die Arbeitsfähigkeit der Landjugend ist unbegrenzt, Stoner schafft auch noch das Pensum der Universität. Ach verdammt. Man denkt unwillkürlich an den Anton Reiser von Karl Philipp Moritz, dem ging’s beinah noch schlechter, aber das war im 18. Jahrhundert.

Mehr über Stoner vielleicht morgen an dieser Stelle

Summer in the City

Die Schattenlinie

Die Schattenlinie

Der Rasen verfärbt sich, vereinzelte Blätter fallen schon von Busch und Baum. Im Nachbargarten haben sie ein Zelt aufgestellt. Die Nachkommenschaft ist angerückt. Es riecht nach Spiritus. Schwarze Grillwolken steigen auf. Elf Erwachsene versuchen, ein Baby bei Laune zu halten. Am ungeschicktesten stellt sich die Alt-Kindergärtnerin an, so mit Babysprache. Das sind die Berufskrankheiten. Schlimmer noch, wenn die Männer die Fußballweltmeisterschaft auswerten nach dem Motto „drei Meter im Abseits und nicht gepfiffen”. Nichts ist so alt wie eine WM vom letzten Wochenende.

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Ich war draußen, sagt Eugen am Telefon. Die Hitze hat ihn unvermittelt und voll getroffen. Er taumelte, musste sich festhalten und eine Bank aufsuchen. Ich kann gar nicht daran denken, heute mit dir Bier zu trinken, sagt er. Ich werde das Haus nicht mehr verlassen.

Du solltest dir einen Strohhut aufsetzen, sage ich.

Ach, du hast doch ’n Knall.

Nein, sage ich, das hilft.

Ich habe gar nicht die Kleidung, die dazu passt, sagt er.

Ich hab nichts anzuziehen, sage ich im femininen Ton. Was fehlt dir denn für Kleidung?

Eine Leinenjacke, sagt er.

Ja, gut, dann kauf dir eine.

Ich habe meinen Etat in diesem Monat schon überschritten.

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Das Rentnerehepaar Brandt schmachtet in seiner Wohnung unterm Dach. Herr Brandt, Bodo, ist mit Turnhemd und breiter Jogginghose mit Seitenstreifen bekleidet, Frau Brandt, Gretel, trägt Kittelschürze. Gegen die Hitze hilft das anscheinend nicht. Es ist bekannt, dass die Gretel den Bodo gerne triezt, der eigentlich alles schluckt. Jetzt aber setzt ihm nicht nur die Gattin, sondern auch die Hitze zu. Und er schreit. Hör auf! Ich halt das nicht mehr aus. Hör auf. Das Beunruhigende ist, dass man dann nichts von Gretel hört. Vielleicht lacht sie sich ins Fäustchen, dass sie es wieder mal geschafft hat. Vielleicht ist sie aber auch ohnmächtig oder so. Nachts um eins schreit Bodo abermals: Was ist denn jetzt schon wieder los! Mein Gott (warum hast du mich verlassen)!! Sieht so aus, als würde er auf dem Balkon schlafen, um seine Ruhe zu haben.

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Das Sommerbad Wuhlheide macht Kasse. 5,50 € Eintritt, und die Leute stehen Schlange. Die Jungs sitzen auf der einen Seite des Beckens, die Girls auf der anderen, auf dem Sprung, zwei gegnerische Parteien, die nichts lieber täten, als sich zu umarmen. Ab und zu fliegt einer per Arschbombe ins Wasser, man muss auffallen, Testosteron gesteuert, wie man nun mal ist. Viele russische Familien, viele schwangere Frauen und unsportliche Männer, viele schwere Leiber. Neben mir Mutter, Großmutter und Sohn, 7 Jahre alt. Die Mutter ist dick, die Großmutter ist dick, der Junge ist dünn, aber sie rufen ihn Dicker, als müssten sie sich für etwas rächen, wofür er nichts kann. Mutter und Oma müssen erst mal „eene roochen”. Der Junge will ins Wasser, aber er soll sich erst mal „akklamatisieren“: Oder willste ’n Hitzschlag und tot sein? Ja, das kennen wir alle aus unserer Kindheit, die Alten können nicht anders, als vor Hitzschlag zu warnen, das Wasser mag noch so lau sein. Es dauert einige Zigarettenlängen, bis der Junge endlich ins Wasser darf. Putins Bruder ist auch im Becken und ein Bruder des Karlshorster Dokfilmregisseurs K., der versucht, sein edles weißes Haupthaar vor dem Wasser zu schützen. Er hält den Kopf wie eine bleierne Ente und bläst die Backen auf, was ihn nicht daran hindert, den jungen Mädchen verdeckte Blicke nachzuschicken.

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Auf Mallorca war es toll, sagt Deborah, meine Friseurin. Allerdings hat sie mit ihren Landsleuten ein Hühnchen zu rupfen. Warum rennen diese Engländer immer mit nacktem Oberkörper rum! Schrecklich.

Na ja, sage ich, weil sie schön strukturierte Muskeln haben.

Keinesfalls, ruft Deborah, im Gegenteil. Es gibt diese kotzhässliche Urlaubskleidung. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, so was zu Hause anzuziehen, aber im Urlaub finden sie das toll.

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In den Abendstunden setze ich mich in den Schatten und lese zum Beispiel in „Stoner” von John Williams (da klingt ein wenig Anton Reiser durch, was für ein trauriger Roman!) oder in Juri Lotmans Text-Theorien, denen ich kaum zu folgen vermag.

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Frau Dr. Hoffmann wirft ihre überflüssigen Zucchini unters Volk und sieht sich dabei als große Geberin. Man soll an die Bergpredigt denken. Der Schriftgelehrte ist nicht erbaut. Ihm schmeckt das neumoderne Zeug nicht, welches so üppig wächst. Das kann doch nichts sein.

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Wir kommen schon etwas früher, sagen die Elektriker. Jetzt ist es noch nicht so heiß.