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Posts Tagged ‘Andrea Sawatzki’

Bandscheibenvorfälle und Festredner

Es blinkt ein einsam’ Kegel – Berlin Hellersdorf

Es blinkt ein einsam’ Kegel – Berlin Hellersdorf

Der heftige Beischlaf war ein Bandscheibenvorfall. Ausgerechnet die verlassene Fünfzigerin Iris, gespielt von Andrea Sawatzki, erlitt ihn im ZDF („Meine Tochter, ihr Freund und ich”). Frau Sawatzki ist die Idealbesetzung für verlassene Frauen, die zunächst glauben, durch den Verlust des Ehemanns vor dem Abgrund zu stehen, in Wahrheit aber von einer Last befreit sind und plötzlich eine Fülle von Möglichkeiten haben, nicht zuletzt die Chance der Selbstfindung. Man wusste ja nicht, in welchem Ausmaß man sich selbst schon abhanden gekommen war. Andrea Sawatzki spielt so was mit dem ungläubigen, leicht geistesabwesenden Charme einer Frau, die sich letztlich auf ihr Selbstbewusstsein verlassen kann.  Da war ein Kern in mir, der von allem unberührt blieb, so ähnlich hat Heiner Müller das mal gesagt.

Schon zum dritten oder vierten Mal sehen wir, nun im TV, „About Schmidt” mit Jack Nicholson. Und wir wollten den Film auch gar nicht noch mal sehen, konnten uns seiner Suggestion dann doch nicht erwehren. Wie jeder weiß, wurde der Film nach Louis Begley’s gleichnamigem Roman gedreht, zeichnet sich aber dadurch aus, dass er den Roman weitgehend ignoriert. Nur der Held heißt hier wie da Schmidt (allerdings einmal Albert, einmal Warren), wird hier wie da pensioniert, muss den Tod seiner Frau hinnehmen und außerdem ertragen, dass seine Tochter einen Mann heiratet, den er nicht akzeptiert. Der große Unterschied: Begley’s Original-Schmidt ist upper class, ein hochangesehener Anwalt, während Warren Schmidt eher ein kleiner, wenn auch halbwegs gut situierter Mann aus der Versicherungsbranche ist. Und doch oder gerade wegen seiner Eigenständigkeit ist der Film gelungen, und man sieht ihn sich immer wieder an, auch wenn man dabei einige peinliche Situationen durchstehen muss. Jack Nicholson spielt den ins Alter eingetretenen Mann, die Rundlichkeit (als habe er einen Ballon in sich, der ihn leicht über dem Boden schweben lässt), das Tapsige, das Bedächtige, durch das immer mal wieder ein Charmeblitz bricht, aber meistens sieht man seiner Miene an, dass er echt verstört ist von dem, was ihm das Leben und die Leute auf seine alten Tage bieten. Kaum, dass er weiß, was weniger aushaltbar ist: das Dasein als Single oder die familiäre Tristesse, der er bei der Hochzeit seiner Tochter gewahr wird. Beruhigend am Rande immerhin, dass es ihn weltweit zu geben scheint: den geborenen Festredner, der jede Gelegenheit einer Menschenanhäufung ergreift, um eine Ansprache zu halten. Er möchte die Anwesenden zum Lachen und zum Weinen bringen, und ehe er das nicht geschafft hat, hört er nicht wieder auf. Es sei denn, man stopft ihm das Maul.

Sittsame Hertha-Fans im Union-dominierten Köpenick

Sittsame Hertha-Fans im Union-dominierten Köpenick

Kaum, dass wir den Saturn und das Forum Center in Köpenick betreten hatten, erfasste uns eine unwiderstehliche Abneigung, Geld auszugeben. Brauchen wir ein iPad? Ja, schon. Aber brauchen wir es wirklich? Nein, auf keinen Fall. Einen e-Book-Reader? Warum nicht, aber andererseits … Brauchen wir diesen viel zu bunten Pullover. Ja und nein. Was soll man sich bloß kaufen, wenn man sich schon etwas gönnen will. Das Center war weihnachtlich geschmückt und ausgeleuchtet. Puppentheater mit Marketingmaßnahmen wurde geboten. Ostseller in der Thalia-Buchhandlung. Doppelt gebackene Ente am Asia Snack. Die ratlosen Passanten streiften unseren Tisch. Die ersten Hertha-Fans tauchten nach getaner Jubelarbeit auf. Ist ja noch mal gut gegangen, sagte ich. Hoch verdient, sagten die Fans, die von der stilleren Sorte waren (So was gibt’s auch. Seht mich an.). An die Torschützen konnten sie sich kaum noch erinnern. Ach doch. Ndjeng und Ronny. Immer wieder Ronny, der in der vergangenen Saison noch zu dick war für die Hertha und die Bundesliga.

Bella Bella

Und nun zu „Bella Vita” und „Bella Australia” , einerseits zwei ZDF-Filme mit Andrea Sawatzki, andererseits die einsamen Rufer in der Wüste der öffentlich-rechtlichen Fernsehspiele mit all ihrer Zickigkeit, Zimperlichkeit und Albernheit, wobei es ja immer um Trennungen, vermeintliche Trennungen, Karrieren, Reisen ins Ungewisse oder aber um Trunksucht und andere schwer heilbare Krankheiten geht.

Anscheinend wirkt eine so erotische wie komische und unausrechenbare Schauspielerin wie Andrea Sawatzki auf Drehbuchautoren und Regisseure enorm inspirierend, so dass hier aus der nie ganz vollzogenen Trennungsgeschichte leichte, geistreiche, amüsante Filme wurden, in denen wir uns und unsere Mitstreiter im wahren Leben wiedererkennen. Wie gut, wenn die Prämissen richtig gesetzt sind. Die Sawatzki und ihr Mann, der Manager mit den markanten Falten. Die Sawatzki und ihre strenge pubertierende Tochter. Die Sawatzki und ihre irrationale Abenteuerlust. Die Sawatzki und ihre Schwester/Freundinnen und deren schwierige Männer. Die Sawatzki und der charmante Polizist, dessen Ehe auch krachen gegangen ist. Keine Beziehung ist leicht, keine Beziehung ist seicht, überall lauern selbstgestellte Fallen. Es zeigt sich, dass der untreue ältere Ehemann dramaturgisch ungleich produktiver ist als der gehörnte Ehemann. Dieser scheinbar so kluge und dezent gockelhafte Typ, der die Schwärmerei einer jungen Kollegin für wahre Liebe hält, aber sich von seiner Frau, der Sawatzki eben, auch nicht wirklich lösen kann. Warum eigentlich nicht? Bei etlichen Gelegenheiten stellt sich heraus, dass die vergangene gemeinsame Zeit nicht nur eine Last ist, sondern auch ein Schatz. Sie haben so viele einzigartige Erinnerungen, so viele unvergleichliche Geschichten, über die sie gemeinsam lachen können. Liebe ist nur ein Wort, ja, aber Liebe ist auch eine gemeinsame Geschichte, etwas schier Unzerreißbares. Auch die anderen Paare in diesen Filmen sind unverzichtbar mit den komischen Verhaltensweisen, die sie im Laufe ihre Beziehung ausgeprägt haben, seltsam, skurril, respektabel. Am Ende ist es vielleicht das gemeinsame Bekenntnis der Autorin  Melanie Brügel, der Regisseurin Vivian Naefe und der gut gelaunten Schauspieler, das gemeinsame Bekenntnis zur Ambivalenz, das diese Filme in der trivialen Fernsehlandschaft zu einem Wunder werden ließ. Was warf einst die Beziehungsexpertin Erica Jong in den Raum? „Auch nach dem unvergleichlichen Rhythmus der Ambivalenz lässt sich’s wunderbar tanzen.”

Merken wir uns das.