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Survived in Kreuzberg

Zwischen Mitte und Kreuzberg
© Fritz-Jochen Kopka

Jannowitzbrücke hatte ich noch viel Zeit, also ging ich zu Fuß zum Aufbau-Haus, zunächst durch die Brücken-, dann durch die Heinrich-Heine-Straße. Ich sah auf dem Weg von Mitte nach Kreuzberg alte Bierkneipen, andererseits mehrere Sushi-Bars warum weshalb weswegen, und wenn die Brückenstraße endet, kann man noch eine weiße und eine schwarze Hand als Wandmalerei bewundern, dann gibt’s ein paar schlichte Wohnblocks und keine Läden mehr, schließlich Physiotherapeuten, Kosmetiker und Fitness-Coaches. Dann der Kreisverkehr, der den Moritz-Platz für die Fußgänger so ungemütlich macht. Keine einzige Ampel, und der Autoverkehr fließt unablässig und träge dahin. Anders die Gymnasiastinnen, sie kichern, gackern und haben sich unendlich viel zu erzählen, während phlegmatische Bettler erwarten, dass man sie ungebeten mit einer Spende bedenkt. Jetzt habe ich doch noch den Sänger in der S-Bahn vergessen, der ein ziemlich witziges Lied spielte über Probleme, die er früher nicht hatte, ich gab ihm was und fragte: eigener Song? Leider nein, sagte er. Gut ausgesucht, sagte ich. War ja auch so.

Verheugen braucht von seiner Wohnung in der Allee eine halbe Stunde bis hierher. Eingangs der Buchhandlung sucht er sich einige Kunstpostkarten zum Preis von 1€ aus. Den Buchhändler fragt er nach dem Gesprächsbuch von Alexander Kluge und Ferdinand von Schirach. Kluge hält er sowieso für einen der allergrößten. Kann nicht sein, sage ich, der ist mir zu redselig. Solche Einwände schätzt Verheugen überhaupt nicht. Ich hole mir bei Modulor einige Dinge für meine künstlerische Arbeit, wie ich selbstironisch behaupte, aber die Ironie wird nicht erkannt (das geht mir oft so).

Jetzt müssen wir eine Kneipe suchen. Auf der anderen Seite ist schon eine, sie heißt „Zur Mütze”, klingt originell. Sicher ne Raucherkneipe, sagt Verheugen, er sieht es auf hundert Meter Abstand an den Gardinen und hat recht. Da er seinen Tabak nicht dabei hat, hat er keine Lust, in die Raucherkneipe zu gehen, und auch nicht in die nächste und nicht in die übernächste, hier häufen sich die Raucherkneipen, das ist Kreuzberg, in seinem Viertel kennt er nur eine einzige. Er prüft die Bierpreise. 2,90 €. Ist das nicht zu viel für Kreuzberg?

Vor zwanzig Jahren oder so habe ich hier gearbeitet. Ich bin es gewöhnt, dass sich eine Gegend, wenn man sie nach so langer Zeit wiedersieht, total verändert hat, aber hier: Es gibt noch die Stiege, es gibt noch das Restaurant „Max und Moritz” , sicher nicht mehr mit dem strengen Wirt, dem einfach die Nase mancher Gäste nicht passte und der missmutig von seinem Tresen aus in sein Lokal blickte, es gibt sogar noch das kleine Antiquariat. Wir entscheiden uns für die Stiege.

Verheugen ist sofort eingenommen vom historischen Ambiente, der dunklen Wandtäfelung, den alten Radios, die überall rumstehen. Der Wirt sieht noch so aus wie vor fünfzehn Jahren, so dass die Frage erlaubt sein muss, ob hier die Zeit stehen geblieben ist. Ist sie nicht. Aber wir bleiben manchmal stehen, bleiben uns treu, die Zeit kann uns nichts anhaben, wenigstens scheinbar. Zwei ältere Damen sitzen ein paar Tische weiter und essen Calamari livorno, der Geruch verbreitet sich. Geschenkt. Die eine könnte ich kennen, sie sieht aus wie die Lektorin XYZ aus dem Verlag ABC. Eine Dame, für die das Alter eine Gnade ist, ich sage nicht warum. Wirt und Kellner treten ab und zu vor die Tür und rauchen eine. Good bye, Kreuzberg, wir kommen wieder.