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So genannte letzte Filme

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Berlin, Karl-Marx-Allee © JuTh

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Sind wir denn hier in Helsinki? Berlin. Warschauer Brücke © FJK

Das war Sonnabend. Wir saßen im Kino „International“, sahen „Fallende Blätter“, den wieder mal letzten Film von Aki Kaurismäki und dachten nach vielleicht einer Stunde: „Sehr schlicht und doch schön“. Wir hatten es mit armen und einsamen Menschen zu tun, prekären Existenzen, düsteren Stadtvierteln in Helsinki, trostlosen Wohnungen und fühlten uns doch nicht schlecht. Alles ist so alt, man glaubt, in den sechziger Jahren und sie hören doch die schlimmen Nachrichten aus dem Ukraine-Krieg: Ansa, die blonde Frau aus dem Supermarkt, und Holappa, der Mann vom Bau, der vielleicht selber seinen Vornamen nicht weiß, aber wo der Schnaps steht, das weiß er, im E-Kasten, im Garderobenspind, in der Werkzeugtasche oder, ganz praktisch, der Flachmann in der Jackentasche. Ich bin deprimiert, weil ich so viel trinke. Und ich trinke, weil ich deprimiert bin. Was soll man da machen. Aber Holappa ist ein Trinker, der nie seine Würde verliert, weiß der Teufel, wie er und wie Aki Kaurismäki das hinkriegen. In einer Karaoke-Bar sieht er Ansa, und sie sieht ihn, und da dauert es nicht mehr lange, bis sie zusammen ins Kino gehen, da hat Ansa ihre Arbeit schon verloren wegen einer albernen, längst abgelaufenen Packung Linsen oder so ihrer Tasche. Sie kümmert sich um neue Jobs, die abermals prekär sind, sie hat keine großen Ansprüche ans Leben, bis auf den, nicht bis ans Ende einsam sein zu wollen. Sie lädt Holappa, den sie zwischenzeitlich schon verloren hatte, zum Essen in ihre Wohnung ein, die sie geerbt hat; sie sieht dass er dem Alkohol verfallen ist, sie sagt: Mein Vater hat sich totgesoffen, mein Bruder auch. Ich mag dich sehr. Aber ich will keinen Säufer. Und Holappa sagt: Und ich lass mir nichts vorschreiben, nimmt seine Jacke vom Haken und geht. Aber diese Geschichte hat ihn bis ins Tiefste getroffen. Er rafft sich zur größten Heldentat eines Trinkers auf und gießt den Schnaps in den Ausguss. Sie kommen wieder zusammen, da hat Ansa einen Hund von der Straße aufgelesen, und der nüchtere Holappa ist unter die Straßenbahn geraten. Hat der Hund einen Namen?, fragt Holappa, an Krücken, auf einem gemeinsamen Weg. Chaplin, sagt Ansa.

Was lernen wir noch von Aki Kaurismäki: Dass die Lieder über das Elend in diesem Film keine elenden Lieder sind. Dass die Solidarität, das Mitgefühl unter diesen Menschen ein seltener und umso wertvollerer Stoff ist, und dass Ansa, gespielt von Alma Pöysti, und Holappa, gespielt von Jussi Vatanen, keine untertänigen Kreaturen sind. Sie lassen sich nicht demütigen. Sie sind stolz. Man kann an Peter Rühmkorf denken: Bleib erschütterbar und widersteh.  

  1. madge1946
    September 18, 2023 um 10:04 am

    Da muss ich auch hin. Sehr schöner Filmbericht.

  2. September 18, 2023 um 11:08 am

    Ja, unbedingt. Nichts wie hin. Neben einem solchen Film kommen einem etliche Tatorte und Polizeirufe reichlich albern vor.

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