Startseite > Fußballfieber > Sommer-Dilemma

Sommer-Dilemma

IMG_1720

No flag, nowhere ©FJK

IMG_1721

An der Algarve, vor Portugal gegen Tschechien. Später fegte ein scharfer Wind durch die Fußgängerzone. Ich war nicht da, aber ich habe meine Leute. © JuTh

Vier Distanzschüsse, ein Elfmeter und ein Eigentor – das war das Eröffnungsspiel der Euro 2024, Deutschland – Schottland 5:1. Normalerweise werden 90 von 100 dieser Distanzschüsse geblockt, irgendein Bein oder Körperteil ist immer zwischen Schütze und Tor, aber die Schotten geizten irgendwie mit Anwesenheit in ihrem Strafraum. Und die Deutschen spielten so gut, dass die Medien ihnen huldigen, als wäre sie schon Europameister. Wer soll sie, wer soll uns jetzt noch stoppen. Ich habe überhaupt keine Gefühle, schon gar keine patriotischen. Der Spiegel faselt von einem begeisternden Spiel, zauberhaft soll es gewesen sein. Wer immer glaubt, schlauer zu sein als alle anderen,hat sowieso keine Ahnung vom Fußball.
Wir haben es längst gemerkt: Diese Europameisterschaft soll die miese Stimmung im Land kippen und einen wirtschaftlichen Aufschwung bringen; das Sommermärchen von 2006 soll neu aufgelegt werden. Aber schon das Wetter ist nicht danach. Mal ist es kühl, mal gießt es in Strömen. Wir sehen keine schwarzrotgoldenen Fahnen und Wimpel. Selbst der Deutsche von schräg gegenüber, der früher sein ganzes Grundstück beflaggt hatte, hat nur drei bescheidene Fähnchen im Vorgarten gehisst. 

Bei anderen Nachbarn flimmert der Fußball neuerdings durch die Fensterscheiben. Ich dachte, ihr interessiert euch nicht für Fußball? Nur weil Europameisterschaft ist. Europa- und Weltmeisterschaften, da sind wir natürlich dabei. Ja. Interessant. Interessant, wie wenige Leute mitbekommen, dass der Fußball der Nationalmannschaften eigentlich out ist, wie Nationalismus auch out ist. Der wahre, ungeschminkte, raue Fußball ist der Fußball der Klubs.

Natürlich quatschen sie auch im Deutschland Radio aus gegebenem Anlass vom Fußball. Gunter Gebauer, der Sport-Professor ist am Start, eine Moderatorin, eine Sportjournalistin und einige Anrufer, auch Anruferinnen. Da wird viel Lobendes über das Völkerverbindende des Fußballs gesagt, aber auch gefragt, warum sich die schwulen Fußballer noch nicht geoutet haben, wie es der kühne Thomas Hitzlsberger einst getan hat (nach seiner Karriere). Ansonsten wird viel gelacht, vornehmlich ist der Fußball doch ’ne ganz drollige Sache. Ja, genau, das hat immer noch diesen Touch von: 22 Männer rennen hinter einem Ball her, kann man nicht jedem einen geben. Ich kann mir das leider nicht anhören. 

Ich stelle fest, dass ich anders als früher oft auf der Seite der Außenseiter stehe. Den Albanern, den Serben und besonders den Österreichern hätte ich wenigstens den Ausgleich gewünscht. Die Österreicher hatten das bessere System und die besseren Kombinationen, die Franzosen hatten die schnelleren Schienenspieler, die besseren Dribbler und brauchten ein Eigentor der Ösis, um zu gewinnen. Dass die Franzosen immer noch diesen Griezmann mitspielen lassen – unverständlich. Und dann auch noch Giroud einwechseln!!!

Harry Kane wünsche ich eine Rote Karte oder dass er kein einziges Tor schießt in diesem Turnier, was ihn noch mehr schmerzen würde. Was hab ich eigentlich gegen den?! Ich weiß es selbst nicht. 

In der Schweiz wird eine große Friedenskonferenz für die Ukraine abgehalten. Hundert Staaten mühen sich. Und wir, hier in Deutschland, lassen es einfach so geschehen, dass die Ukraine mit 0:3 gegen den Außenseiter Rumänien untergeht. Andererseits hat man gesehen, dass die Rumänen auch einer gequälten Nation angehören. Es war die reine Freude, der reine Jubel, was wir da sahen. Erleichterung, Erlösung. Wir sind nicht der letzte Dreck von Europa. Und sie hatten auch wirklich sehr gewitzt und geschickt gespielt. 

Cristiano Ronaldo in seinem 39. Jahr. Macht keine langen Läufe, keine langen Dribblings mehr, sucht immer gleich den Abschluss. Trotzdem benötigen die Portugiesen zwei Missgeschicke der Tschechen, um zu gewinnen. Was wäre der Fußball ohne das Irrationale!

  1. Du hast noch keine Kommentare.
  1. No trackbacks yet.

Hinterlasse einen Kommentar