Archiv

Posts Tagged ‘Wulff’

Zurückgetretener Vorteilsnehmer

Februar 20, 2012 1 Kommentar

Am Rücktritt des Bundespräsidenten gefällt mir, dass das Thema endlich vom Tisch ist, das wochenlang als wichtig gekocht wurde, ungeheuer wichtig. Gestern ein bisschen Dreck aufgewirbelt, heute ein bisschen Dreck aufgewirbelt und immer so weiter. Gut, dass man damit nicht weiter belästigt wird. Oder war doch etwas Bemerkenswertes an dieser Geschichte, Kampagne oder Treibjagd? Dass es nicht Dreck war, sondern Vorteile, die da aufgewirbelt wurden? Vorteile, die einem Menschen in herausgehobener Stellung angeboten werden und die er in der Regel annimmt. So kristallisierte sich ein Bild des Bundesdeutschen heraus, der weiß, wo Bartel den Most holt oder der immer mit dem Arsch in die Butter fällt oder wie man das auch sonst immer nennen will. Der Mensch als Schnäppchenjäger. Der Vorteilsnehmer, der, wenn er einen guten Tag hat, auch Vorteile gewährt. Ein besonders sympathisches Bild ist das gerade nicht. Denn dem Menschen geht es auch ohne diese Sondervorteile nicht schlecht. Warum muss er Angst haben, dass er zu kurz kommt. Dass die öffentliche Meinung in dem Fall („der Causa Wulff” – wie ich diese Art zu reden verabscheue) lange unentschieden war, hängt auch damit zusammen, dass es keiner gerne hat, wenn man in seinem Leben herumwühlt. Wie hat jemand sein Haus bezahlt? Wie reich sind seine Freunde? Warum lässt sich jemand unentwegt einladen? Auch nicht sympathisch, dass die Moral und die Glaubwürdigkeit eines Amtsträgers von Leuten untersucht wird, die selbst Vorteile in Anspruch nehmen und nach deren Moral man besser nicht fragen sollte. Und dass im Laufe dieser Geschichte sich die Bildzeitung zur Bastion der Pressefreiheit ausrufen lässt. Vorbei.

Ich erwarte von einem Bundespräsidenten nicht viel, aber das, diese Geschicklichkeit im Vorteilsnehmen oder auch das Glück, das jemand dabei hat, das erwarte ich von einem Bundespräsidenten gerade nicht. Von einem Bundespräsidenten erwarte ich ab und zu eine gute Rede, die er sich am besten selbst ausgedacht hat, jedenfalls die Grundgedanken, die substantielle Tiefe und persönliches Profil, ach was: Charakter zeigen sollten. Er sollte einen weiten Horizont haben, der es ihm erlaubt, für sehr unterschiedliche Menschen ein wertvoller Gesprächspartner zu sein. Ein Mensch, der erzählt, dass er weinte, als er mit fünfzig Jahren erstmals in seinem Leben frei wählen durfte, beeindruckt durch seine Gefühle und die Unbekümmertheit, mit der er sie ausspricht, unabhängig davon, dass er sicher sein kann, dafür Beifall zu ernten – aber es ist eben die Richtung, von der ich meine, dass sie nicht ausreicht. (Klar, dass der FDP-Vorsitzende Rösler auf der Höhe seiner Ahnungslosigkeit ausgerechnet auf diesen Zug des Kandidaten abhob.) Ich habe keine Idee für einen Bundespräsidenten. Er sollte nicht allzu unreflektiert und nicht allzu inflationär über Freiheit reden. Ein Gelehrter würde mir vorschweben, ein eigenwilliger Denker, ja, natürlich auch eine Gelehrte, eine Denkerin, aber nicht Alice Schwarzer. Und auch nicht Arnulf Baring oder so. Die, die man kennt, sind durchs Fernsehen alle verbraucht.

Vielleicht täusche ich mich auch. Vielleicht benötigt der Bundespräsident in der heutigen Zeit jene Rührseligkeit, über die der Kandidat verfügt, vielleicht steht es ihm, immer einen Tick zu privat zu sein, auch wenn es mich nicht interessiert, ob sich jemand am Ende des Tages noch nicht gewaschen hat. Es macht ihn menschlich, gewiss, aber wohin soll das führen.

Kategorien:Deutsche Grammatik Schlagwörter: , ,