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Der Fußball ist nicht in die Literatur verliebt

The Special Two

The Special Two

Demnächst wollte ich von den zwei Fußballbüchern aus einer unübersehbaren Menge reden, die ich mag. Heute ist demnächst.

Die Literatur kann das Dynamische, Irrationale des Fußballs nicht wiedergeben, das Spannungsfeld zwischen Spieler und Fan, und wenn sie resümiert, serviert sie nur kalten Kaffee. Im Fernsehen ist alles vorhersehbar; die Statements der Parteipolitiker, die Rollenverteilung in den Talkshows, die Dramaturgie der Fernsehfilme, Christine Neubauer und Fritz Wepper. Alles wiederholt sich unverschämt oft. Nur der Sport und besonders der Fußball sind im TV trotz einiger Manipulationsversuche unvorhersehbar. Wer hätte je ein Elfmeterschießen gesehen wie das beim Confedcup  zwischen Spanien und Italien. Weil das Unvorhersehbare nur von Wert ist, wenn es durch seinen Realitätsgehalt beglaubigt wird, scheitert die Literatur immer aufs Neue am Fußball.

Die zwei Fußballbücher, die ich schätze, sind „Fußballfieber” oder besser der Originaltitel „Fever Pitch” von Nick Hornby und „Elf Jungens und ein Fußball” von Hanns Vogts. Das ist nun zweifellos ein Kinder- und Jugendbuch, erschienen im Franz Schneider Verlag München. Eine Tante aus dem Westen hat es mir in den fünfziger Jahren geschickt, wir nannten diese Schneider-Bücher Lackbücher, und drinnen steht auch „Einband abwaschbar”. Bei irgendeinem Umzug blieb dieses Buch im Keller liegen, was nur bedeuten kann, dass ich glaubte, darüber erhaben zu sein, und da ich das in Wirklichkeit nicht bin, habe ich mir das Buch kürzlich bei ZVAB wieder besorgt. Ich erkannte das Titelbild sofort wieder, und konnte manche Passagen mühelos vollenden, wenn ich den Anfang gelesen hatte. Das Buch ist unverkennbar ein Nachkriegsbuch, die Jungens sind arm und fußballverrückt. Es spielt im Ruhrpott.

„Die Straßen stellten ihre Mannschaften zusammen, die einzelnen Viertel, die Schulen. Fast täglich wurde ein neuer Straßenklub gegründet. Mannschaften starteten, Mannschaften platzten. Spiele wurden gewonnen und gingen verloren, oder sie wurden wegen Streitigkeiten oder wegen nahender Dunkelheit abgebrochen. Bis zur vollkommenen Erschöpfung wurde gestritten, zäh und verbissen. Spiel um Spiel, Runde um Runde. Härter als die Bälle waren die Füße und Köpfe der Jungen, die sie schossen.”

Das alles und noch viel mehr kann ich singen. Unsere Mannschaft ist die siebente Klasse der Pestalozzischule, die Bande des Heini Biedermann. Das Buch ist das Epos einer Teamfindung, die Zerstörung und Wiedergeburt einer Mannschaft, die am Anfang 1:8  gegen die Mittelschüler untergeht und am Ende, nachdem die Mannschaft zerfallen ist und sich auf schwierigen Wegen wiedergefunden hat, gegen dieselbe Mannschaft siegt. Dabei rückt Soziales ins Bild. Die Jungs sammeln den von Güterzügen heruntergefallenen Koks in harter Knochenarbeit, verhökern ihn und kaufen sich einen echten Lederball. Sie lassen auch den Alten, den letzten, schwer gekränkten Quertreiber, nicht fallen und lernen ihn erst richtig kennen: Der Alte traf das Tor nicht, weil er, als ältestes von sieben Kindern, viel zu große Damenschuhe tragen musste. Der Vater ist im Bergwerk verunglückt. Im wiedererstandenen Team läuft der Alte als Verteidiger, nicht mehr als Stürmer, auf, da kann er die Bälle nach vorn dreschen und muss das Tor nicht treffen.

„Tore müssen fallen. Ein Spiel ohne Tore ist eine Suppe ohne Salz … Stau kämpft wie ein Löwe um den Ball. Stau spielt das Spiel seines Lebens … Eine Vorlage kommt zu Punsel. Punsel umspielt den linken Verteidiger. Punsel will schießen. Er schießt nicht – er stolpert über den Ball. Eller ist dicht neben ihm. Eller erfasst die Situation. Er schießt blitzschnell flach in die Ecke, ›Toooooor!‹

2:1!

Das siegbringende Tor ist gefallen.”

Jeder der elf Jungen hat einen Spitznamen, jeder hat einen Charakter, ein Schicksal, allerhand für ein Kinderbuch von knapp hundert Seiten. Und der Mann, Hanns Vogts, konnte wirklich schreiben. Knapp und kräftig. Ganz sicher war er vom Fußball fasziniert und konnte seiner Faszination Ausdruck verleihen.

Nick Hornby zu mögen ist kein Kunststück. Nick Hornby, der die Popmusik und den Fußball liebt. Oder liebt er nicht den Fußball, sondern Arsenal London? Er schreibt die Geschichte des Fans Hornby, der seinem Club rettungslos ausgeliefert ist. Unglaublich sind die Zumutungen, die das Team einem Fan auferlegt, selten sind die Glücksmomente. Und dennoch. Nick Hornby geht dahin, wohin schon sein Vater ging und wohin auch sein Sohn gehen wird. Hofft er jedenfalls. Alles andere wäre eine Katastrophe. Hornby sagt nichts Beschönigendes über das Team seines Herzens, über den Fußball, über die Psychologie des Fans.

„Über langweiligen Fußball zu klagen, ist ein wenig so, wie über das traurige Ende von ›King Lear‹ zu klagen: Man begreift irgendwie nicht das Wesentliche … Fußball ist eine Ersatzwelt, so ernsthaft und anstrengend wie die Arbeit, mit den gleichen Sorgen, Hoffnungen, Enttäuschungen und gelegentlichen Hochgefühlen. Ich gehe aus vielerlei Gründen zum Fußball, aber ich tue es nicht der Unterhaltung wegen, und wenn ich mich an einem Samstag umschaue und die anderen überängstlichen, bedrückten Gesichter sehe, merke ich, dass es anderen auch so geht. ”

Warum das alles. Während der Fußballfan seiner Leidenschaft frönt, vergeht Zeit. Zeit, die er ansonsten totschlagen müsste. In der er sich bilden, Geld verdienen könnte. Aber das alles wollen wir nicht dauernd. Wir wollen nicht dauernd Zeit totschlagen. Wir wollen uns nicht unentwegt bilden. Wir wollen schon gar nicht unablässig Geld verdienen. Wir wollen auch in dieser Parallelwelt leben, auf die die Frauen eifersüchtig sind. Wir wollen ein Mysterium ergründen, von dem wir wissen, dass es unergründbar ist, aber wir wissen auch, dass wir ab und zu erhellende Momente erleben werden.

„Ich spürte”, sagt Nick Hornby, ziemlich am Anfang seiner Laufbahn als Fan, „ich spürte, dass ich nicht tapfer genug war, um ein Fußballfan zu sein.” Und doch wurde er es. Ein Mensch wächst über sich hinaus. Eine phantastische und ziemliche trübe Angelegenheit.