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Was geschah mit der Schallplatte

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All you can do. Ein Tag in den Rieckhallen © FJK 

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Früher Penck

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Soundscape

Die Schallplatte war tot, als die Compact Disc und der CD-Player kamen. Verheugen gab seine ganze Plattensammlung zum Trödler, obwohl er alles andere als ein moderner Mensch sein will. Bis heute bereut er es. Denn die Schallplatte war nicht tot, sie war nicht einmal scheintot. Schon früh sprach man vom besseren Klang der Platte gegenüber der CD. Nun gut, dafür haben wir nicht die Ohren. Aber wir sahen, dass die Sänger und Bands, die auf sich hielten, ihr neues Album nicht nur als CD, sondern auch als LP rausbrachten. Die Platten wurden teurer und schöner, richtige Liebhaber- und  Sammlerstücke. Und auch die Plattenspieler wurden besser und teurer. Etwas für besondere Menschen. Hat man das Recht, sich dazuzugesellen?

Wir wissen es nicht. Der Hamburger Bahnhof zeigt die Ausstellung „Broken Music Vol. 2 – 70 Jahre Schallplatten und Soundarbeiten von Künstler*innen“.  Die zugehörigen Rieckhallen stellen 700 Tonträger in zehn Kapiteln aus. Es geht um das Zusammenwirken von Musikern und Künstlern, auch um den Musiker im Künstler, den die Schallplatte als „fester Gegenstand, der einen körperlosen Klang enthält“, fasziniert oder zumindest sehr interessiert. „Die Schallplatte als Leitmedium des vielfältigen Austauschs von Kunst und Musik.“ 

Die ersten Cover, die wir sehen, tragen Titel wie „Selten gehörte Musik“, „Tote Rennen“, „Better an Old Demon than a New God“, „Sugar, Alcohol & Meat“, und „You’re a Hook“. Selten gehörte Musik ist ein gutes Stichwort, abgehobene Musik, innovative Musik, Avantgarde. Künstler, die immer wieder oder öfter mal die Finger im Spiel haben, sind Laurie Anderson, Joseph Beuys, Yoko Ono, William S. Burroughs, John Cage. Natürlich sind auch berühmte Cover der Beatles, der Stones, von Aretha Franklin zu sehen. Der Reissverschluss auf „Sticky Fingers“ lässt sich wirklich bewegen. Der Besucher kann Platten scannen und die Musik plus Erläuterungen hören, er kann auflegen und sich vor einem Monitor ausstrecken, er kann sich in Klanginstallationen begeben und sein Wissen unentwegt erweitern. 

A. R. Penck darf nicht fehlen. 1978, heißt es, trat er dem Arbeitskreis Jazz der FDJ bei. Das kommt hier unerwartet. A + B = 0. Eine Amiga-Platte sehen wir auch, das Bergisch-Brandenburgische Quartett (mit Stücken wie „Empfindungen und Nachempfindungen“ oder „Kalldautzki“), aber auch  Kurt Schwitters’ Ursonate, Lyrik und Jazz mit Peter Rühmkorf und Johnny Griffin, Laibach („Rekapitulacja 1980 – 84), Jean-Michel Basquiat, Zwitschermaschine – DDR von unten, Andy Warhol, Keith Haring, Damien Hirst, Die tödliche Doris und jede Menge mehr. 

Die Rieckhallen sind unerschöpflich. Immer wenn du glaubst, am Ende zu sein, öffnet sich das  nächste Universum. Die Hallen sind wie Landschaften mit weißen Wänden, an denen nun eben mal Schallplatten hängen. Die Besucher sind Touristen, die sich nur entfernt begegnen.  Man mag sich wundern, dass es diese Großzügigkeit noch gibt.

Warum Broken Music Vol. 2? 1989 fand in der daad galerie in der Kurfürstenstraße die Ausstellung „Broken Music.Artists’ Recordworks“ statt, wenn man so will die Vol. 1. Ursula Block, die die Ladengalerie „gelbe Musik“ in der Schaperstraße betrieb, hatte sie veranstaltet. In die Ladengalerie  gingen sie alle, wenn sie in Berlin waren: John Cage, Yoko Ono, Sonic Youth oder auch Björk. Diese berühmte, schon halb auch vergessene Lokation liefert den Anknüpfungspunkt für die randständige, hochoriginelle Schau, die Sven Bechstette und Ingrid Buschmann in großartiger Kleinarbeit kuratierten. Ehre, wem Ehre gebührt.