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Die Fehlbesetzung mit der roten Weste

Nun muss ich natürlich noch sagen, wem ich es verdanke, dass ich das grandiose Match zwischen Bayern München und Real Madrid (zur Erinnerung 0:4) in voller Länge anschauen konnte, denn eigentlich wollte ich die Lesung zum 75. Geburtstag von Volker Braun in der Akademie der Künste erleben. Also, ich verdanke das Match dem Mann am Officetresen in der Akademie, der einfach nicht in der Lage war, die bestellten Karten herauszugeben. Dabei war er noch nicht mal senil, sondern in den besten Jahren mit etlichen Haaren auf dem Kopf und sonnte sich im Glanz seiner kleinen roten Weste. Er schaute nur kurz und zerstreut auf die Datei und die Liste und schickte mich dann zu der Dame, die die Ehrenkarten verteilte. Was? Ich? Eine Ehrenkarte? Hat sich etwas grundlegend geändert in Deutschland? Nein. Ich stand nicht auf der Liste mit den Ehrenkarten. Also zurück zu der Fehlbesetzung mit der roten Weste. Ich kann sagen, dass ich nicht der einzige war, dem er die bestellte Karte nicht herauszugeben vermochte, ich stand da unter lauter hochgradig erregten oder zutiefst deprimierten Leuten, die nicht wussten, was ihnen geschah. Und da hatte der Mann mit der roten Weste einen grandiosen Einfall. Er kümmerte sich konsequent nicht mehr um seine Kunden, sondern begann, etliche Dutzend 1-Cent-Münzen noch nicht einmal zu zählen, sondern hin und her zu schieben und nach einem geheimnisvollen System zu sortieren, als wäre das jetzt die wichtigste Sache der Welt, wichtiger als die Ukraine, wichtiger als Volker Braun und wichtiger vor allem als Leute wie ich, die sich sowieso in einem schwierigen Gemütszustand befanden, weil ihnen wegen ihrer verdammten kulturellen Interessen ein wichtiges Fußballspiel entging. Der Mann war von seinen winzigen Münzen nicht mehr abzubringen. Woher kamen die überhaupt? Der Eintritt kostete doch 5 € glatt? Er war regelrecht verzaubert. Leb wohl, Akademie der Künste und der Dünste, dachte ich, leb wohl mit deinen braven Mitarbeitern, mich siehst du lange nicht mehr. Rechtzeitig zum Anstoß war ich zu Hause, und das Bier war kaltgestellt. Ich war glücklich. Aber wenn ich Bayern-Fan wäre, wäre ich verdammt schnell unglücklich geworden. Mehr will ich nicht verraten.

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